Das Ende der Integration?
Der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören, kritisierte: „Sollte die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland verboten sein, kann sich das Land jede weitere Integrationspolitik sparen“. Unter Integration versteht man allerdings üblicherweise, dass diejenigen, die in ein Land kommen, ihr Verhalten an die dort geltenden Gesetze anpassen, und nicht, dass die Gesetze an das Verhalten von Einwanderern angepasst werden. Jedenfalls nicht, wenn es um Körperverletzung an nicht einwilligungsfähigen Kindern aus religiösen Gründen geht, ebenso wenig wie dies bei „Ehrenmorden“, Zwangsheiraten oder der Genitalverstümmelung an Mädchen getan wird.
Es ist durchaus ehrenwert, dass versucht wird, unverhältnismäßige Folgen des deutschen Strafrechts für religiöse Menschen, die keine Christen sind, zu verhindern. Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist allerdings unter Juristen jahrelang diskutiert worden, und dabei hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eben die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Kinder ohne medizinische Notwendigkeit unverhältnismäßig ist, nicht deren Verbot.
Die bisher vorgetragene Kritik am Urteil des Kölner Landgerichts zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie diese Abwägung nicht zur Kenntnis nimmt, genauso wie ausgeblendet wird, dass die Beschneidung eben mehr ist als nur ein unwesentlicher Eingriff, nämlich durchaus mit Risiken und einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung des Kindes einhergeht, und dass dies bei Kindern auch nicht durch die behaupteten Vorteile der Beschneidung zu rechtfertigen ist.
Somit zeigt gerade die Diskussion der letzten Woche: Der Einschätzung des Gerichts haben auch die Verteidiger der Beschneidung inhaltlich nichts entgegenzusetzen. Die Kritik ist zwar laut, aber nicht legitim.
Vor die Wahl gestellt, einen religiösen Brauch zu schützen oder das Recht nicht einwilligungsfähiger Kinder auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung, hat sich das Kölner Landgericht für Letzteres entschieden. Dies kann und sollte auch von Verfechtern der Religionsfreiheit akzeptiert werden.
Fußnote: Der Umstand, dass im Tierschutzgesetz ausdrücklich eine Ausnahme für das Schächten ohne Betäubung aus religiösen Gründen gemacht wird, könnte den Eindruck erwecken, dass das Recht auf freie Religionsausübung tatsächlich Ausnahmen von allgemeinen Gesetzen erforderlich machen kann. Die Ausnahmeregelung für das Schächten lässt sich allerdings nicht auf die Beschneidung übertragen. Denn obwohl Tierschutz allgemein (und ausgesprochen vage) seit 2002 im Grundgesetz verankert ist (Art. 20a GG), ist der Schutz der Tiere durch das Grundgesetz nicht mit dem Recht von Menschen auf körperliche Unversehrtheit zu vergleichen. Dies wird bereits daran deutlich, dass Tiere überhaupt getötet werden dürfen. Demzufolge zielt das Tierschutzgesetz auch lediglich darauf ab, Schmerzen, Leiden und Schäden von Tieren „ohne vernünftigen Grund“ zu vermeiden (§ 1 TierSchG). Religiöse Gründe zählen nicht als „vernünftiger Grund“. Allerdings hat der Gesetzgeber hier mehr Spielraum als bei der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, und von dem Grundsatz, dass Wirbeltiere nicht ohne vorherige Betäubung getötet werden dürfen, gibt es mehrere Ausnahmen, u.a. auch die „waidgerechte Ausübung der Jagd“ (§ 4 (1) TierSchG).
Solange es aber Ausnahmen aus „waidmännischer Tradition“ gibt, kann die Religionsausübung demgegenüber nicht schlechter gestellt werden. Das Recht auf Religionsfreiheit bewirkt hier keine spezifisch religiöse Ausnahme, sondern stellt lediglich sicher, dass die Religionsausübung nicht schlechter gestellt wird als andere Ausnahmen aus Gründen „des Herkommens und der gesellschaftlichen Akzeptanz“ (BVerfG 1 BvR 1783/99).
Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit hat allerdings Verfassungsrang und es gibt keine Ausnahmen für Körperverletzung aus „Gründen des Herkommens und der gesellschaftlichen Akzeptanz“. Und es sollte auch keine geben.