Christliche Schnorrer

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Straßenszene / Fotos: Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) World Vision Österreich betritt mit einer offensiven Spendenkampagne den öffentlichen Raum im Land. Und wirft Fragen auf, wie weit „christliches Leitbild“ und Entwicklungsarbeit zusammenpassen. Nicht nur bei World Vision.

Vier Jugendliche im orangen T-Shirt mit World-Vision-Logo, ein Mittzwanziger im braunen Shirt mit Dreadlocks ist offenbar der Chef. Sie stehen auf einem vielleicht fünfzehn Meter langen Stück Gehsteig in der Thaliastraße in Wien, aufgeteilt zwischen der Filiale einer deutschen Bäckereikette und einem schmalen Stück zwischen McDonald's und einer Straßenbahnhaltestelle. Passanten laufen Slalom zwischen den Spendensammlern mit ihren Clipboards in der Hand. Mitunter stellt sich ein Sammler in den Weg. Geht ein Passant zu schnell vorbei, kann es vorkommen, dass der Chef ihm in den Weg springt: „Haben Sie eine Minute Zeit?“ „Nein“ „Wieso nicht?“ Keine Antwort. „Wir sind doch von World Vision“. „Darum hab ich auch keine Zeit“ „Also sind Sie nicht sozial engagiert?“ „Ich halt' nur nix von christlichen Organisationen“. Der Chef bleibt etwas überrascht stehen. Der Passant entkommt. Der Chef eilt einem Sammler zur Hilfe, der einen weiteren Mann erfolgreich aufgehalten hat. Aus der Entfernung ist nicht verständlich, womit sie den Passanten bearbeiten.

Spendensammler in einer Fußgängerzone sind nichts Ungewöhnliches. Auch renommierte NGOs wie Amnesty International, Greenpeace oder das Rote Kreuz bedienen sich ihrer. Man versucht, Passanten dazu zu bringen, der jeweiligen Organisation beizutreten oder zumindest Langzeitspender zu werden. Face to Face Fundraising heißt das in der Fachsprache. Ein klassischer Sommerjob für Studierende. Prämien machen einen guten Teil des Gehalts aus und verlocken so manchen zu forschem Auftreten. Was sich negativ auf das Image der jeweiligen Organisation auswirkt.

In Österreich versucht man, mit einer so genannten Qualitätsinitiative gegenzusteuern, wie World Vision Österreich dem hpd schreibt: „Wir legen bei der Straßenwerbung, wie andere NPOs auch, großen Wert auf Qualität. Deshalb haben wir uns der Qualitätsinitiative des Fundraisingverbandes angeschlossen und aktiv an der Entstehung eines gemeinsamen Regelwerks mitgearbeitet. Darin ist unter anderem vereinbart, dass rein erfolgsorientierte Bezahlung untersagt ist. Als Mitglied der ‚Qualitätsinitiative‘ halten wir uns an diese Regeln“, heißt es in einem Mail von Kommunikationschef Matthias Spiegelfeld.

Ein Viertel Gehalt aus Provisionen

Eine formal richtige Antwort. „Rein erfolgsorientiert“ werden die Spendensammler heute nicht mehr bezahlt. Anzeigen in Studierendenjob-Börsen versprechen immer ein gewisses Fixgehalt. Allerdings ist es keine Seltenheit, Prämien von bis zu einem Viertel des Fixums in Aussicht zu stellen. „Das Festgehalt beträgt 1.700 Euro à 5 Wochen (mindestens 4 Wochen), möglich sind über 2.100 Euro Vergütung auf Provisionsbasis, erfolgsbedingt“, heißt es in dieser Anzeige. Die Anzeige unmittelbar darunter bietet:

  • einen abwechslungsreichen + interessanten Job für Rotes Kreuz, Bund Naturschutz, …
  • Teamwork mit jungen Leuten
  • flexible Zeiteinteilung
  • professionelle Schulungen und laufendes Coaching
  • sinnvolle Tätigkeit mit Funfaktor
  • hervorragender Verdienst (ca. € 1.000 – € 3.000/Monat)

Garantien, dass Ehrgeiz und Aussicht auf hohes Gehalt nicht mit den jungen Leuten durchgehen, sehen anders aus. Für die Auftraggeber ist die Lösung nicht ganz billig. Laut Jahresbericht hat World Vision im Vorjahr 639.256,69 Euro für „Spendergewinnung“ ausgegeben. Immerhin sechs Prozent des Gesamtbudgets. Und das bei einem vergleichsweise hohen Anteil an Langzeitspendern.

Straßenaktionen eher ungewöhnlich

Straßensammelaktionen sind bei Organisationen, die in der Entwicklungshilfe tätig sind, eher ungewöhnlich, sieht man vom Roten Kreuz ab. Auf eine Anfrage des hpd heißt es von der Caritas Steiermark, die sich genauso wie World Vision als christliche Hilfsorganisation präsentiert: „Die Caritas führt keine Straßensammlungen durch.“ Lieber setzt man auf Werbung. Plakatfirmen stellen häufig Plakatflächen zur Verfügung, Zeitungen Platz für Inserate. Wenn alle Stricke reißen, finden sich meist Firmen, die eine Kampagne sponsern. Das gilt für konfessionelle wie nicht-konfessionelle Organisationen.

Im Zweifelsfall können die größeren Organisationen auf ihre Mitglieder zurückgreifen, die von Tür zu Tür laufen; mitunter nicht minder bedenklich als die Straßensammelaktionen via Fundraiser-Firmen. Die Dreikönigs-Aktion schickt alljährlich tausende Kinder durchs Land, die an Türklingel und Türklingel läuten. Statt Argumenten gibt’s religiöse Lieder. Kritiker sehen das als Missbrauch kindlichen Engagements und nicht selten als Belästigung. Der Großteil der Öffentlichkeit gibt sich mit derlei Bedenken nicht ab. Die Aktion ist zum Liebkind der Medien geworden. Spitzenpolitiker lassen es sich nicht entgehen, sich mit den kindlichen Spendensammlern fotografieren zu lassen.

Im Wettbewerb um Spenden zeigt sich World Vision im Moment erstaunlich aktiv. Neben der offensiven Kampagne um „Passanten für unsere Entwicklungsprojekte zu interessieren und ggf. für eine Patenschaft oder unseren neuen ‚Starthelfer‘“ (Spiegelfeld) hat die Organisation die Aktion „Wasserspende“ initiiert. In Lokalen zahlen Gäste zwei Euro für ein Glas Wasser. Ein Euro geht an World Vision, einer an den Wirt. Die Aktion hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. In österreichischen Lokalen gibt es traditionell Wasser umsonst. Spenden könne man anderswo heißt es, andere kritisieren, dass die Wirte die Hälfte des Geldes bekommen. Nicht zu vergessen, dass in den Augen mancher die Aktion eine Zugangshürde für weniger zahlungskräftige Kunden ist. Die bestellen das Wasser aus Kostengründen. Allerdings dürfte das bei der Klientel der teilnehmenden Lokale eine geringere Rolle spielen. Es sind beinahe ausnahmslos In-Lokale. Dass sich die eher aus Imagegründen am Projekt beteiligen, lässt sich nicht von der Hand zu weisen. Entwicklungshilfe wirkt sich immer positiv auf das Bild aus, das die Öffentlichkeit von einem hat.

Kaum Jobchancen für Nicht-Christen

Was in einem nicht geringen Ausmaß auch die treibende Kraft hinter World Vision ist. Die Organisation lässt keine Zweifel aufkommen, dass ihr Engagement „christlich motiviert“ ist, wenn auch „überkonfessionell“, was man als Widerspruch in sich sehen kann. Sei es evangelikal wie bei der Mutterorganisation World Vision International, sei es konservativ-katholisch wie beim Österreich-Ableger. Nicht-Christen jeglicher Schattierung haben so gut wie keine Chance auf einen Job in der Organisation. „Unsere Erwartungen an Sie: - Marketingausbildung, - einige Jahre qualifizierte Berufserfahrung, - christliche Motivation, - gute Englischkenntnisse im Wort und Schrift, - fundierte Kenntnisse im PC-Bereich (MS Programme, Internet), - Flexibilität und Belastbarkeit, - Organisations- und Kommunikationsfähigkeit, - Verlässlichkeit in der Umsetzung“, heißt es in einem Stelleninserat von World Vision Österreich. Eine Umsetzung der Richtlinien von World Vision International.

Auch in Entwicklungshilfegebieten greift man vorwiegend auf getauftes Personal zurück. Einheimische mit dem falschen Glaubensbekenntnis können laut Medienberichten froh sein, wenn sie einen Aushilfsjob kriegen. In den USA ist das legal, hat der Oberste Gerichtshof geurteilt. World Vision ist eine religiöse Organisation.

In Österreich ist das nicht ausjudiziert. Auch hierzulande dürfen Organisationen, die als so genannte Tendenzbetriebe gelten, religiös diskriminieren. Das gilt etwa für Caritas und Diakonie. World Vision ist zwar eine offensiv christliche Organisation, ob sie aber Tendenzschutz beanspruchen darf, müsste im Zweifelsfall gerichtlich geklärt werden. Immerhin gehört die Organisation keiner anerkannten Religionsgemeinschaft an, für die der Tendenzschutz ursprünglich konzipiert wurde.

Arbeit und Bekenntnis laufen ineinander

World Vision ist nicht die einzige christliche Organisation in der Entwicklungshilfe, bei der tägliche Arbeit und religiöses Bekenntnis mitunter ineinander laufen. Die Dreikönigsaktion gab laut Jahresbericht im Vorjahr knapp 29 Prozent ihres Budgets für den Posten „Kirche im Dienst an den Menschen“ aus. Einem Laien mag das wenig vorkommen. „Kirche im Dienst an den Menschen“ bedeutet für Nicht-Insider schlicht Entwicklungshilfe wie neue Schulen, Brunnen und dergleichen mehr. Laut Eigendefinition Hauptaufgabe der Dreikönigsaktion. Die definiert den „Dienst an den Menschen“ weniger als Hilfe in diesem Leben als zur Vorbereitung für das Leben danach, das es laut christlicher Auffassung gibt. „Die befreiende Botschaft des Evangeliums zielt auf ein Leben in Fülle für alle Menschen ab. Deshalb unterstützen wir den Aufbau lebendiger christlicher Gemeinschaften, die ihren Glauben fruchtbar machen - im Einsatz für die Ärmsten und die Bewahrung der Schöpfung.“

World Vision ist vergleichsweise zurückhaltender. Laut Sprecher Spiegelfeld werden keine Spendenmittel aus Österreich für direkte Missionsarbeit verwendet. Auch World Vision International betreibt laut eigenen Angaben keine direkte Evangelisierung. „World Vision (Österreich) versteht sich als Hilfsorganisation, nicht als Missionswerk. Insofern enthalten wir uns einer Missionierung, Evangelisierung oder Aufforderung zum Religionswechsel. Wir lehnen jede Form des Proselytismus ab und halten uns strikt an die nationalen und internationalen Standards der humanitären Hilfe, denen gemäß Hilfe und Schutz gewährt werden müssen ohne Ansehen von Herkunft, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder sonstigen Unterscheidungsmerkmalen. Einziges Kriterium bei der Abwägung von Prioritäten der Hilfeleistung bleibt die Not der Menschen. Gleichwohl glauben wir, dass der selbstlose Dienst an den Armen und Notleidenden ein beredtes Zeugnis von der umwandelnden Kraft der Liebe Gottes ist.“

Sanfte Missionierung

Formal richtig. Betroffene empfinden das oft anders, wie ein gut recherchierter Bericht der indischen Wochenzeitung Tehelka zeigt. (Die Rechercheergebnisse zu World Vision International finden sich ab Seite 6.) Der beschriebenen Praktiken bedarf es nicht unbedingt, um auch ohne direkten Proselytismus zu missionieren. Dass nahezu alle Mitarbeiter von Hilfsprojekten Christen sind, dürfte helfen. In einer Forumsdiskussion beschreibt ein User namens Matthews seine Erfahrungen, die er mit World Vision in Entwicklungsgebieten gemacht hat. „World Vision does work with the local churches and uses volunteers. If somebody asked for a church recommendation or Christian literature, World Vision staff would certainly provide that. But the recipient must ask or be seeking information. (…) This gives World Vision the freedom to be in countries where Christianity is illegal. They’re goal is to live out the teachings of Christ to whoever is in need.”

Diese „sanfte Missionierung“ stößt auch auf Kritik. „(…)to deny the conversion pressures of money and medical care or education is naive. Consider the plight of Hindu parents who have a choice between a bare local school or a Christian school that provides paper, pencils, and books. All over the world, vast differences in power and resources say to desperate people: Christians have what you need; Jesus is the answer. The World Vision mission, in its own understated way, acknowledges this”, schreibt Valerie Tarico in der Huffington Post. Ähnlich sieht es Susan Jacoby von der Washington Post.

Man fühlt sich an Spiegelfeld erinnert: „Ein beredtes Zeugnis von der umwandelnden Kraft der Liebe Gottes.“ Ein Zeugnis, das neben unbestreitbarer Hilfe für Notleidende offenbar in vielen Fällen deren Religionsbekenntnis umwandelt. Ein erwünschtes Ziel der Arbeit von World Vision. Das werden einem die Spendensammler der Aktion aber vermutlich nicht sagen.

Christoph Baumgarten