Die rechtliche Problematik des Gesetzentwurfs

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Plakat der Kinderechtskampagne / Fotos im Text: Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Der Arbeitskreis Kinderrechte hatte am Dienstag zu einer Informationsveranstaltung in das Literaturhaus Berlin eingeladen. Der Jurist Prof. Rolf Dietrich Herzberg und der Kinderrechtler Rolf Stöckel erläuterten ihre Positionen. (Beide Referate sind auch als hpd Podcast zu hören.) Von den Befürwortern der Beschneidung war niemand bereit gewesen, seine Sichtweisen vorzutragen.

Eigentlich hatte es eine Diskussionsveranstaltung zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Frage der Beschneidung von nicht-einwilligungsfähigen Jungen werden sollen. Da sich trotz intensiven Bemühens kein Befürworter der Knabenbeschneidung finden ließ, der seine Sichtweise und seine Argumente vorgetragen hätte, wurde der Abend zu einer Informationsveranstaltung. Der Kinderrechtler und Vorstandssprecher der Deutschen Kinderhilfe, Rolf Stöckel, und der emeritierte Strafrechtler Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg trugen ihre Sichtweisen vor.

Rolf Stöckel - dessen Beitrag in voller Länge auch als hpd Podcast 06/2012 zu hören ist - skizzierte die Aufgabenstellung der Deutschen Kinderhilfe, ihre staatliche Unabhängigkeit und dass die Deutsche Kinderhilfe die erste Organisation war, die sich sehr konsequent und entschieden gegen die Pläne der Bundesregierung ausgesprochen hat, die Beschneidung von nicht-einwilligungsfähigen Jungen zu erlauben.

Er selbst (1998 bis 2009 Bundestagsabgeordneter und Kinderrechtsbeauftragter der SPD-Fraktion und 1989 bis 2004 Präsident des Humanistischen Verbandes in NRW) hatte sich bereits als MdB intensiv mit kinderpolitischen Fragen beschäftigt.

Stöckel verwies u. a. auf die bereits seit Jahren bestehenden Debatten, die in vielen Staaten der Welt hinsichtlich der Beschneidung von Kindern, bei Mädchen wie bei Jungen, geführt wurden und werden.

Er berichtete auch über die Wogen der Emotionalität, die z.B. dazu geführt haben, dass die deutsche Kinderhilfe vor drei Tagen eine Mail bekam – mit einem hebräischen Klarnamen als Absender -, in der stand: „Wer nicht beschnitten ist, der ist ein Nazi!“ Dieser Druck laste natürlich auch auf der Politik, der den Parlamentariern nicht die Luft gelassen habe, sich in Ruhe mit der Thematik zu befassen, was sich in dem Bundestagsbeschluss vom 19. Juli niedergeschlagen habe. Nun solle gegen alle Vernunft und Bedenken ein Gesetz in einem Eilverfahren ‚durchgepeitscht’ werden.

Im Weiteren referierte er über die Problematik des Gesetzentwurfs und die Absicht der Deutschen Kinderhilfe, falls dieses Gesetz zustande kommt, es vor das Bundesverfassungsgericht zu tragen.

Als zweiter Referent trat Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg ans Mikrofon. Er verwies darauf, dass er auf Grund der knappen Zeit nur eine sehr kurz gefasste Darstellung vortragen könne. (In der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) hat Prof. Herzberg seine Argumentation aktuell detailliert und umfangreich dargestellt: „Die Beschneidung gesetzlich gestatten?“)

Den Kern seines Vortrages (der als hpd Podcast 07/2012 in voller Länge zu hören ist) hat er dem hpd freundlicherweise zum Abdruck zur Verfügung gestellt.

C.F.

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VORTRAG ZUR RECHTLICHEN PROBLEMATIK der Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen

von Rolf Dietrich Herzberg

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die Beschneidung eines männlichen Kindes ist nach geltendem Recht eine rechtswidrige Körperverletzung; es sei denn, sie ist medizinisch erforderlich. Und sie wird rechtswidrig bleiben. Denn der geplante Paragraph, wenn er Gesetz wird, ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und darum nichtig.

Die Beschneidung ist eine schwerwiegende, riskante und folgenschwere Körperverletzung. Sie ist zugleich ein Eingriff in das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Dieser Eingriff ist selbstverständlich erlaubt, wenn er medizinisch erforderlich ist, lege artis ausgeführt wird und die Eltern einverstanden sind. Der geplante § 1631 d BGB soll nun das Einwilligungsrecht der Eltern und damit indirekt auch die Rechtfertigung des Beschneiders ausdehnen auf Fälle, wo die Beschneidung des Kindes medizinisch nicht erforderlich ist. Er fügt sich ein in die Vorschriften des familienrechtlichen Kinderschutzes, er betrachtet die Einwilligung ausdrücklich als einen Akt der „Personensorge", die laut Gesetz der „Pflege" und dem „Wohl" des Kindes dienen muss (vgl. §§ 1626, 1627, 1631 BGB). Der neue Paragraph behauptet also Folgendes: Auch die medizinisch unnötige Beschneidung erweist dem Kind Gutes, und zwar genug Gutes, um das Schlechte der Körperverletzung aufzuwiegen. Das wirft folgende Frage auf: Versäumen die Eltern etwas zum Schaden ihres Kindes, wenn sie es nicht beschneiden lassen, obwohl ihre Religion die Beschneidung gebietet?

Manche bejahen das. Von dem, was sie anführen, müssen wir metaphysische Behauptungen von vornherein zurückweisen. Z.B. die Behauptung, die Beschneidung sei ein Geschenk, weil sie einen Bund zwischen Gott und dem Kind stifte. Wir dürfen Verletzungen nicht deshalb erlauben, weil eine Religion solche Aussagen macht und ihre Anhänger daran glauben. Unser Staat ist kein Gottesstaat und er besitzt keine Staatsreligion. Bei uns gelten die Gesetze einer säkularen, der Vernunft und Rationalität verpflichteten Rechtsordnung. Keine Religion steht darüber, jede hat sich darein zu fügen.

Es bleibt die Behauptung von Vorteilen für das Kind, die rational nachprüfbar sind: Hygiene, religiöse Integration, Minderung von Krankheitsgefahren beim Geschlechtsverkehr in späteren Jahren. Aber erstens wöge keiner dieser Vorteile, wenn feststellbar, schwer genug, die Schmerzen, Risiken und belastenden Dauerfolgen der Beschneidung aufzuwiegen. Und zweitens sind weder Hygiene noch Integration noch Gesundheitsschutz in späteren Jahren abhängig von der Beschneidung des Kindes. Man kann alles auch erreichen, wenn man das Kind unversehrt lässt und ihm seinen Körper so erhält, wie die Natur ihn gewollt oder wie Gott ihn erschaffen hat.

Darum erscheint es mir geradezu zynisch, auch die medizinisch unnötige Beschneidung als einen Akt der „Personensorge" auszugeben. Die neue Vorschrift tut, als könnten Eltern ihr Kind dadurch „pflegen" und seinem „Wohl" dienen, dass sie ihm von seinem gesunden Geschlechtsorgan den sensibelsten Teil, der für das Empfinden sexueller Lust besonders wichtig ist, abschneiden lassen. Damit verschleiert das Gesetz, worum es in Wahrheit geht: um eine schlimme Körperverletzung ohne Heilungssinn, reinweg zum Schaden des Kindes; diese soll nicht, wie bei medizinischer Indikation, im Interesse und zum Wohl des Kindes erlaubt werden, sondern im Interesse der Eltern. Deren Interesse mag durchaus altruistische Elemente aufweisen, denn die Eltern können die Beschneidung aus dem Irrtum heraus wünschen, ihrem Jungen damit Gutes zu tun. Aber dieser Irrtum macht das Interesse der Eltern nicht zum Interesse des Kindes. Die Vorschrift löst also einen Konflikt von Interessen. Den Konflikt zwischen zwei Parteien, zwischen den Eltern hier und dem Kinde dort. Und diese Lösung besteht fatalerweise darin, den Eltern grundsätzlich den Vorrang einzuräumen und ihnen die Verletzung des Kindes zu erlauben.

Das aber kann das Gesetz meines Erachtens nicht, ohne dem Grundgesetz zu widersprechen. Kein Zweck, den die Eltern verfolgen mögen, hat die Würde und das Gewicht, die Beschneidung vereinbar zu machen mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Das liegt für Zwecke wie Masturbationsverhinderung, Penisverschönerung, Wascherleichterung oder Fortführung einer Familientradition auf der Hand. Der würdigste Zweck, und dass muss auch in diesem Raum gesagt werden dürfen, ist dann doch noch der religiöse.

Aber auch für den hierzulande im Vordergrund stehenden Zweck gilt, was ich gesagt habe. Ich meine das Anliegen der Eltern, ihrem Glauben gemäß durch die schwere Verletzung des Kindes einen göttlichen Befehl oder eine religiöse Pflicht zu erfüllen. Sie berufen sich dafür auf das Recht, in Freiheit ihre Religion auszuüben. Aber hier hat unser Grundgesetz den Konflikt sogar ausdrücklich gegen die Ausübungsfreiheit gelöst. Denn das Grundgesetz ordnet dies in Artikel 140 an. Es geht dort um staatsbürgerliche Rechte und staatsbürgerliche Pflichten wie z.B. die Pflicht, niemanden zu verletzen oder bei einem Unglücksfall Hilfe zu leisten. Diese Rechte und Pflichten werden im keinem Fall dadurch beschränkt, dass jemand seine Religionsfreiheit ausübt (vgl. Art. 140 GG i.V. mit Art. 136 Abs. 1 WRV).

Im Grunde ist das selbstverständlich. Dass eine Sekte es ihren Mitgliedern zur religiösen Pflicht macht, andere in ihren Häusern aufzusuchen und zu bekehren, beschränkt das Hausrecht und die Pflicht, es zu respektieren, nicht im Geringsten. Wenn der Missionar ins Haus eindringt oder sich weigert, es zu verlassen, macht er sich wegen Hausfriedensbruch strafbar.

Und ein näher liegendes Beispiel: Die Mädchenbeschneidung begegnet uns sehr wohl auch als Religionsausübung. So, wie die muslimische Sekte der Schafi‘iten sie fordert (bloßes Anritzen der Schamlippen), hat sie in jeder Hinsicht schwächere Auswirkungen als die männliche Zirkumzision. Aber in Deutschland ist es ganz unstreitig, dass der Mädchenbeschneider trotz Religionsausübung eine rechtswidrige Körperverletzung begeht.

Die Religionsausübung hat jede Freiheit, aber eben nur im Rahmen der Gesetze. Und zu ihnen gehört § 223 StGB, der Körperverletzungen verbietet. Es ist in meinen Augen eine absurde Annahme, dass jemand von Rechts wegen sein Kind verletzen darf, weil seine Religion es von ihm verlangt.

Nach allem geht mein Gesetzesvorschlag dahin, den § 1631c BGB um ein Beschneidungsverbot zu erweitern. Er sagt dann zwar nur, was ohnehin gilt, aber angesichts des aktuellen Streites sollte er die Sache mit diesen Worten klarstellen:

Nicht einwilligen können die Eltern
1. in eine Sterilisation des Kindes,
2. in eine Genitalbeschneidung des Kindes, es sei denn, sie ist medizinisch erforderlich.

Auch das Kind selbst kann weder in die Sterilisation noch in die Genitalbeschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung

Meine Damen und Herren, ich hoffe inständig, dass der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung im Bundestag keine Mehrheit findet. Aber zugleich befürchte ich, dass politische Rücksichten den Gesetzgeber am Ende die entworfene Beschneidungserlaubnis beschließen lassen. Und ich fürchte, dass ihre Nichtigkeit auch vom Bundesverfassungsgericht nicht erkannt werden wird. Ich will nicht dramatisieren, aber es wäre für mich ein zivilisatorischer Rückschritt und ein Verlust an Humanität und Rechtskultur.

Eine Abgeordnete der SPD-Fraktion hat gesagt und ich mache mir abschließend ihre Worte zu eigen: ,,Ich möchte nicht, dass Deutschland in die Geschichte eingeht als das Land, das Körperverletzung an wehrlosen Kindern legalisiert wegen irgendwelcher Bibelstellen und Tausende von Jahren alten Traditionen. Der Respekt vor dem Leben - das ist doch unsere Lektion aus der Nazizeit".