BERLIN. (hpd) Heute tagt der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum umstrittenen Gesetzentwurf über die medizinisch nicht indizierte Knabenbeschneidung. Die gbs übersandte vergangene Woche mehr als 600 Bundestagsabgeordneten personalisierte Anschreiben mit dem Angebot des Regisseurs, den Film It’s a Boy! exklusiv auf einer geschlossenen Internetplattform zu sehen.
Victor Schonfeld, der jüdische Regisseur des Films, verfolgt die Beschneidungsdebatte in Deutschland mit Interesse und war von sich aus auf die Giordano-Bruno-Stiftung und deren AK Kinderrechte zugekommen. Die gbs ließ den Film mit deutschen Untertiteln versehen und er erlebte am vergangenen Freitag im Literaturhaus in Berlin seine deutsche Uraufführung. Einige Tage zuvor hatte Schonfelds Produktionsfirma den Bundestagsabgeordneten in Zusammenarbeit mit dem AK Kinderrechte bereits die Gelegenheit geboten, den Film im Internet anzuschauen, damit sie wissen, welche Konsequenzen die Legalisierung des Rituals hätte.
Am Wochenende veröffentlichten die Produzenten des Films It’s a Boy!, Victor Schonfeld und Jenifer Millstone, in der taz einen Offenen Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundestages, in dem sie auf die große Bedeutung der heutigen Entscheidung hinweisen. Denn begeht der Deutsche Bundestag „einen Fehler, wird er das Leid der Kinder und Eltern in Deutschland und im Ausland perpetuieren.“ Die Filmemacher appellieren an die Abgeordneten, „sich den Tatsachen zu stellen, die der Film beweist und sich den Eltern und Kindern aller kulturellen Hintergründe zuzuwenden, die unter dem überwältigenden Druck ihres Umfeldes leiden. Sie benötigen Ihre Hilfe.“
Der Film der etwas mehr als 40 Minuten lang ist, wurde in Großbritannien bereits 1998 gezeigt. Damals urteilte The Independent: „Schonfeld gelingt ein absoluter Glücksgriff; und wie alle guten Filmemacher macht er das Beste daraus.“ Für The Times war Schonfelds „verheerende Anklage“ ein „Fernseh-Höhepunkt“. Linda Grant schrieb in The Jewish Chronicle, „It‘s a Boy!“ solle „von jedem gesehen werden… Die Aussage dieses Films verlangt nach einer Debatte”. Der Jura-Professor Reinhard Merkel, Mitglied des Deutschen Ethikrates, schrieb: „Der Film ist ein bewegendes, in Teilen verstörendes Dokument, eine Quelle bedeutsamer Informationen zur Beschneidung, ein Stück Aufklärung im besten Sinn...“
Als hätten sie nie existiert
It’s a Boy! beginnt mit dem Anblick eines süßes Säuglings und den Worten: „Wir schaffen für unsere Babys eine schöne, helle Umgebung – und es gibt ein altes Ritual, mit dem wir unser neugeborenes Kind willkommen heißen.“ Der von einem jüdischen Vater und einer jüdischen Mutter gedrehte Film zeigt in der Folge, wie die religiöse Beschneidung regelmäßig Leid, Folgeverletzungen, Verstümmlungen und Todesfälle nach sich zieht.
Jüdische und muslimische Befürworter erklären, wie wichtig das Ritual sei, dass ihnen Schmerzen oder Folgeerscheinungen nicht bekannt seien, während parallel dazu ein Baby gezeigt wird, das sich gerade in Schmerzen windet. Das ist beeindruckend. Jungen, die in der Folge der Prozedur starben, tauchen in den Familienstammbäumen nicht auf. Sie werden totgeschwiegen, es ist, als hätten sie nie existiert.
Der Grund, weshalb Eltern ihre Kinder diese Tortur durchleben lassen, erklärt eine jüdische Mutter mit den Worten: „Wir wollen nicht von der Gruppe ausgeschlossen werden. Nachdem wir es getan haben, beruhigen wir uns mit medizinischen Mythen“. Sie bezieht sich auf die Mythen, mit der Beschneidung würde beispielsweise „Peniskrebs“ (der verschwindend selten vorkommt) oder Gebärmutterhalskrebs verhindert.
Ein Mohel ließ sich bei einer Zirkumzision filmen. Er ist kein Arzt. Er erzählt, nach seiner Ausbildung zum Beschneider habe er seinen eigenen 5. Sohn selbst beschnitten.
Joshua Hawksworth wird in der Synagoge beschnitten. Er ist acht Tage alt. Die Mutter ist da, ihre Familie ist eigens aus Tel Aviv nach England gekommen. Joshuas Vater ist nicht da. Aber der Großvater hat die „Ehre“, das Kind während der Prozedur festzuhalten. Die Mutter bzw. die Eltern sollten während des Eingriffs ohnehin nicht anwesend sein. Als die Prozedur beginnt, ist klar, warum. Es ist eher unklar, wie es dem Großvater gelingt, das verzweifelte Schreien seines Enkels auszuhalten, statt ihn dem Mohel zu entreißen und aus dem Raum zu flüchten.
Ein kanadischer Schmerzspezialist erklärt, dass kleine Babys mehr Schmerzen verspüren als ältere Kinder. Ihm wird das Video einer Beschneidung vorgeführt und er kommentiert: Wenn das Kind aufhöre zu weinen, hieße das nicht, dass der Schmerz weg sei, sondern das Baby sei so überwältigt, dass es aufgebe.
Der Regisseur fragt den Vorsitzenden einer Beschneider-Organisation, ob es andere Operationen gebe, die an Babys und Kindern ohne Betäubung durchgeführt würden. Dieser erwidert, auch das Verabreichen einer lokalen Betäubungsspritze sei für sich bereits schmerzhaft.
Ein "Schandfleck in meinem Leben"
Der Vater des kleinen Joshua Hawksworth, dessen Beschneidung durch einen Mohel eben noch gezeigt wurde, erscheint im Bild. Er ist aufgelöst und den Tränen nah. Sein Sohn bekam nach der Zirkumzision eine schwere Infektion und liegt nun auf der Intensivstation. Der Vater war in die Prozedur nicht einbezogen worden. Er meint: „Es ist unmoralisch und arrogant, anzunehmen, dass man andere Menschen aus religiösen Gründen schneiden muss.“
Eine Kinderärztin zeigt Bilder von verstümmelten Penissen. Anschließend kommen weitere Opfer von Zirkumzisionen bzw. deren Eltern zu Wort. Es gab beim Sohn Komplikationen; ein Mann hatte nie in seinem Leben Sex, weil sein Penis wie ein Korkenzieher geformt ist; ein Kind starb, die Mutter hat nicht einmal ein Bild von ihm zur Erinnerung; ein Mann wurde vom Vater zum Friseur gebracht und dort kurzerhand auf dem Tisch beschnitten. Er hatte danach Alpträume von einem Pferd, dem lebendig ein Pfund Fleisch herausgeschnitten wird. Die Zirkumzision sieht er als „Schandfleck in meinem Leben“, sie habe nichts zu seiner kulturellen Identität beigetragen.
Eine jüdische Mutter erzählt, ihr Sohn sei fünf Monate alt, sie weigere sich, ihn beschneiden zu lassen. Mehr jüdische Eltern müssten sich weigern, ihre Kinder zu verletzen.
Joshua geht es besser. Sein Vater entscheidet sich, die Filmaufnahmen der Zirkumzision seines Sohnes anzuschauen. Sie machen ihn wütend und traurig. Er bedauert, dass er nicht dort war, um seinen Sohn zu retten.
Zeit für einen historischen Wandel
Victor Schonfeld ist ein jüdischer Vater und Filmemacher. Er hat sich mit dem Film eindeutig positioniert. Zu den Diskussionen in Deutschland meint er:
„Man hat von führenden Vertretern der Juden in Deutschland gehört, dass eine Nation mit dem historischen Erbe der Ermordung jüdischer Kinder nicht das Recht habe, jüdischen Eltern vorzuschreiben, was sie mit ihren Kindern tun dürfen und was nicht. Dieses Argument ist emotional und manipulativ – und muss zurückgewiesen werden. Es gibt Juden auf der ganzen Welt, die es ablehnen, den Holocaust herabzusetzen, indem er dazu missbraucht wird, Dinge zu verteidigen, die nicht zu verteidigen sind. Als ein jüdischer Vater mit tiefen Wurzeln im jüdischen Leben, bitte ich Sie eindringlich, sich die filmisch dokumentierten Belege anzuschauen und den Eltern und Kindern Beachtung zu schenken, die – als Ergebnis eines sozialen Anpassungsdrucks, dem sie sich selbst nicht widersetzen können – schwer leiden. Es ist Zeit für einen historischen Wandel in Sachen Beschneidung.“
Man kann nur hoffen, dass die Bundestagsabgeordneten diesen historischen Wandel heute einleiten und dass sie sich klar für das Recht von Kindern auf einen intakten Körper einsetzen.
Fiona Lorenz
Der Film ist (kostenpflichtig) im Netz verfügbar.