(hpd) Kritische Gedanken zum Neuen Testament, nennt Rainer Schepper seine Betrachtungen bekannter Worte aus dem Teil der Bibel, der für Christen der wesentliche ist, nämlich die sogenannten Evangelien und die Apostelgeschichte. In zwei Hauptteilen greift er zentrale Verse aus den Evangelien und aus einigen Apostelbriefen heraus und untersucht sie auf ihre Tauglichkeit als ethische Grundsätze.
Bemerkenswert an Scheppers Arbeit ist zum einen die Sorgfalt, mit der er an die gewählten Textstellen herangeht. Er nimmt nicht einfach nur einen Vers aus einem der Evangelien, wie es gewöhnlich bei Predigten geschieht, die einen Text herausgreifen, sondern er vergleicht die Verse über die Evangelien hinweg und stellt auch den Zusammenhang, in dem die Verse stehen, vor. Zum zweiten untersucht er nun diese Stellen auf ihre Tauglichkeit zur Ethik. Schepper trennt dabei zwischen Moral, die er als Einhalten vorgegebener Regeln versteht und Ethik selbst, die er als von jedem Einzelnen gründlich erarbeitete und durchdachte Grundprinzipien versteht, mit denen Menschen ihr tägliches Handeln bewerten und bestimmen. Ganz deutlich wird dies etwa im Kapitel zum Vers „wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Markus 16,16).
Nun wird eine solche Trennung zwischen Moral und Ethik nicht durchgängig in der Philosophie aufrecht erhalten. Die Unterscheidung, die Schepper hier trifft, verweist mehr auf Theorien aus der Psychologie und deren Untersuchungen zur Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit. Dort werden einzelne Stufen des moralischen Urteils in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen postuliert, wobei jene Stufe, die Scheppers Definition von Moral entspricht, nämlich Gehorsam gegenüber vorgegebenen Normen, etwa der Stufe der konventionellen Moral entspricht, sofern Einsicht in die Notwendigkeit der Normen für die ganze Gesellschaft vorliegt, bei bloßem Gehorsam gegenüber vorgegebenen Regeln würde dies sogar nur einer präkonventionellen Stufe entsprechen. Die weitere Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit führt zur Einsicht in die Notwendigkeit übergreifender abstrakter ethischer Grundprinzipien, die aufgrund eigener Entscheidung als vernünftig und für alle geltend erkannt werden und deren Geltung im Diskurs gemeinsam erreicht wird.
Auch wenn Schepper auf solche Hinweise zur Entwicklung moralischen Denkens keinen Bezug nimmt, illustrieren seine Analysen der Textstellen sehr deutlich die Unterschiede zwischen der Einhaltung einer selbst erarbeiteten Ethik und dem Gehorsam gegenüber Regeln, die in sich widersprüchlich und ungenügend sind.
Was Schepper auch immer wieder klar herausarbeitet, sind die Überforderungen, die viele der Verse von Menschen verlangen und deren Auswirkungen auf die seelische Verfasstheit des Menschen. Solche Überforderungen machen nicht nur Angst, wie er schreibt, sie machen auch depressiv.
Schepper vermeidet bei aller Kritik eine reine Schwarz-Weiß-Malerei, er findet lobende Worte für gute Ansätze und Sprüche, macht aber immer wieder deutlich, dass sie im Kontext gesehen eben nur eine Seite darstellen und in Widerspruch zu vielen anderen weniger positiv zu sehenden Textstellen stehen.
Scheppers Buch ist für jeden, der sich mit Bibelzitaten und ihrem Gehalt auseinandersetzen will, eine wichtige Quelle, auch als Argumentationshilfe, wenn mal wieder auf die Überlegenheit einer christlichen Moral und Lehre gegenüber Ungläubigen abgehoben wird. Es ist gut lesbar und sehr übersichtlich und regt vielleicht an, sich auch mit anderen Versen einmal ähnlich kritisch auseinanderzusetzen.
Renate Bauer
Rainer Schepper: Denn es steht geschrieben. Predigten eines Ungläubigen. Neu-Isenburg: Angelika-Lenz-Verl. 2011 (Neuausgabe), 185 S., kart., ISBN: 978-3-933037-83-1, EUR 14,90 .