In einem aktuellen ZEIT-Interview betont der Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Sprecher der Christinnen und Christen in der SPD, Wolfgang Thierse, dass „ohne Glauben kein Staat zu machen sei“. Hierbei ergreift er wieder einmal Partei für eine moralisch-staatstragende Funktionalität, die er Religionen zuschreibt. Diese erst halten gegenüber säkularen oder laizistischen Staatsmodellen orientierende Werte bereit, welche „die Politik von Erlösungserwartungen entlasten“.
Religionen als solche Wertstoffhöfe „sind unersetzlich“, denn ein säkularer Staat kann die übergeordneten Werte wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit weder als solche verhandeln noch diese lebendig vermitteln. Erst Religionen befassen sich mit dem, „was wichtig ist im Leben und was weniger wichtig.“ Für Thierse ermöglichen sie erst über Sprache, Verfassung, soziale Beziehungen, Arbeit und Märkte hinaus jene Vorstellungen, die für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen.
Thierse beschreibt damit die Religion zur eigenen Voraussetzung ihrer Voraussetzungshaftigkeit, da erst durch sie jene gesellschaftlichen Verhältnisse wie Solidarität und Freiheit zum Zuge kommen, die sie wiederum bedingen. Selbst wenn einer solch kryptotheologischen Voraussetzungsbeziehung noch nach dem Munde geredet werden kann, zeigt sich spätestens bei seinen Einlassungen über das Grundgesetz, dass er über eigene Ansichten der Staatsordnung als „ausgleichendes Regelwerk“ hinausgeht.