Wolgograd heißt wieder Stalingrad

465px-bundesarchiv_bild_183-18684-0002_dresden_tod_stalin_parade_kvp.jpg

Trauerparade 9.3.1953 in Dresden anlässlich Stalins Tod / Foto: Zentralbild Höhne-Pohl, Bundesarchiv (Bild 183-18684-0002)

RUSSLAND. (hpd) Auf Beschluss der Stadtduma soll Wolgograd künftig wieder (zeitweilig) nach dem ehemaligen Sowjetdiktator Josef Stalin benannt werden, wie bereits von 1925 bis 1961. Damit erfahren die Veteranen der Roten Armee Würdigung, die der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eine verheerende Niederlage beibrachten. Am 2. Februar 1943 siegte die Rote Armee in Stalingrad.

Der neue Name ist nur symbolisch zu verstehen, lediglich an einigen Tagen im Jahr soll die Stadt ihn tragen. Ortsschilder und Landkarten müssen also nicht geändert werden. Dennoch wirft die Entscheidung ein schlechtes Licht auf Russland, denn sie kann sich nur in der „lupenreinen Demokratie“ Putins ereignen.

In nur einer Woche häufen sich die Gedenktage. Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar, 80 Jahre Machtergreifung der NSDAP am 30. Januar, 70 Jahre Sieg der Roten Armee in Stalingrad am 2. Februar und am 5. März wird Stalins Tod 60 Jahre her sein. Während Deutschland seine eigene Vergangenheit kritisch betrachtet und die Verbrechen der Herrschaft Adolf Hitlers aufarbeitet, lässt sich im postsowjetischen Russland der gegenteilige Trend beobachten. Dort gilt Stalin immer noch als Retter in großer Not, der die Faschisten entschlossen zurückdrängte. Dass er aber sein eigenes Volk brutal unterdrückte, wird nur selten zur Kenntnis genommen. Genauso wie unter den Tisch fällt, dass Hitler und Stalin ebenso Todfeinde, wie auch Komplizen waren.

Massenmord

Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn, der selbst im Gulag-System inhaftiert wurde, warf Stalin den Tod von 60 Millionen Menschen vor. Konservative Historiker, vor allem aus den USA, schlossen sich im Klima des Kalten Krieges dieser Sicht oft an. Wie wir heute wissen, sind diese Zahlen nicht länger haltbar. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Archive geöffnet und mit jeder weiteren neuen Studie ergaben sich immer niedrigere, wenn auch immer noch bestürzende Opferzahlen. In der heutigen Wissenschaft kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass zwischen 1922 und 1953 vermutlich 10 bis 15 Millionen Menschen durch Stalins Entscheidungen starben.

Dabei gab es in der Sowjetunion Phasen relativer Ruhe und solche unbarmherziger Brutalität. Tatsächlich starben die meisten Opfer Stalins in nur 6 Jahren. 1932/33 bei der großen Hungersnot in der Ukraine, 1937/38 während des Großen Terrors und 1944/45, als tatsächliche oder vermeintliche Kollaborateure der Nazis bestraft und ganze Ethnien auf der Landkarte verschoben wurden. Jede dieser drei Phasen verdient genaue Betrachtung.

Hungersnot in der Ukraine

Zwar wurde die große Hungersnot nicht bewusst herbeigeführt und kann nicht als Genozid gelten, auch wenn uns das ukrainische Nationalisten weismachen wollen, doch einfach nur ein „Versehen“ anzunehmen, greift zu kurz. Stalin hatte die Absicht, die Erträge in der „Kornkammer Europas“ durch Kollektivierungen weiter zu verbessern. Selbst in der eigenen Partei gab es Stimmen, die vor einem zu radikalen Kurs warnten. Die Bauern mussten zu ihrem „Glück“ gezwungen werden. Wer sich widersetzte, lief Gefahr, erschossen zu werden. Aber selbst als die verfehlte Kollektivierung offensichtlich wurde, lenkte Stalin nicht ein. Auch als die ersten Menschen bereits verhungert waren, pochte er auf die strenge Einhaltung der Erntequoten. Bauern mussten ihr Saatgut abgeben – jedem hätte klar sein müssen, dass ihr Hof damit spätestens im folgenden Jahr dem Ruin geweiht war.

Selbst als die Hungersnot einsetzte, half Stalin den Notleidenden nicht. Die Katastrophe hätte abgewendet werden können, wenn der Sowjetstaat das in den Silos einlagernde Getreide verteilt hätte. Stattdessen verkaufte er es auf dem internationalen Markt, um seine Industrialisierung zu finanzieren. Die Szenen, die sich in der Ukraine abspielten, klingen unvorstellbar. Manche Eltern töteten und kochten ihre Kinder, andere rangen ihnen mit letzter Kraft das Versprechen ab, ihre Körper nach ihrem Ableben zu verspeisen. Reue empfand der Diktator nie. Das Sterben erklärte er mit mangelndem Glauben an die marxistischen Ideale oder mit Agitation des Nachbarlandes Polen.

„Säuberungen“ und Terror

1936 löste die Stalin die große Parteisäuberung aus. Zehntausende Mitglieder der kommunistischen Partei starben, fast niemand, der 1917 in leitender Stellung die Revolution erkämpfte, überlebte. Weniger bekannt ist, dass Stalin auch Massenoperationen gegen vorgebliche Spione befahl. Alle Polen im Sowjetreich mussten mit der Angst leben, als Agenten ihres Heimatlandes enttarnt und hingerichtet zu werden. Dennoch blieb die Definition der Opfergruppen in den meisten Fällen diffus. Selbst Stalins engster Mitarbeiterstab musste in ständiger Furcht leben.

Im Zuge der Säuberungen ließ Stalin auch gute Freunde, mit denen er sich nächtliche Saufgelage lieferte, liquidieren. Nicht jedes Mitglied der obersten Führungsriege starb, aber dennoch wurden alle terrorisiert. Staatspräsident Kalinin, Außenminister Molotow konnten sich nicht gegen die Inhaftierung ihrer Frauen wehren. Die Frau von Stalins Privatsekretär und Kabinettschef Poskrjobyschew wurde ermordet, er selbst vom Diktator verprügelt. Die Politbüromitglieder Ordschonikidse und Kaganowitsch verloren ihre Brüder. Stalins Nachfolger Chruschtschow war nicht mächtig genug, die Verhaftung seiner Schwiegertochter zu verhindern.

Jeder Politiker wusste, dass seine Mitarbeiter gefoltert wurden, so dass im Falle eines Schauprozesses genug Material gegen ihn vorlag. Jedes Mitglied des Politbüros wurde von einer Leibgarde vor Attentaten geschützt, doch war ihm klar, dass es diese Leute waren, die ihn in die Foltergefängnisse der Lubjanka schaffen würden, sobald nur der Befehl von ganz oben kam. Die Leibwächter sorgten dafür, dass die obersten Politiker abseits der Sitzungen nicht aufeinander trafen, um keine Intrigen zu spinnen. Geheimdienstchef Beria, der wusste, dass seine Privatwohnung von der Agentur, die er selbst leitete, abgehört wurde, äußerte sich moderat abfällig über Stalin. Wenn er es nicht getan hätte, wäre dies schlicht der Beweis gewesen, dass er an einem ungestörten Ort einen Putsch gegen den Staatschef plante. Wer Stalins Befehle nur mangelhaft ausführte, war den Aufgaben nicht gewachsen und wurde ausgeschaltet. Wer die Befehle aber übererfüllte, konnte in den Verdacht geraten, selbst die Herrschaft über die Sowjetunion anzustreben und galt schnell als Bedrohung.

Ethnische Rachezüge

Stalins Politik der harten Hand löste unter den ethnischen Minderheiten Unmut aus. Als Hitler 1941 die Sowjetunion überfiel, waren viele Sowjetbürger bereit, sich dem Kampf gegen das verhasste System anzuschließen. Stalin schwor Rache und ging mit Härte gegen Russlanddeutsche, Tschetschenen, Kalmücken und andere Völker vor. Besonders heftig traf es die Krimtataren. Zu Zehntausenden hatten sie sich dem Vormarsch der Wehrmacht angeschlossen. Als die Rote Armee die Krim jedoch 1944 wiedereroberte, holte Stalin zum Gegenschlag aus. Alle Angehörigen des Volkes wurden nach Usbekistan deportiert, egal ob sie kollaboriert hatten oder nicht, egal ob Mann, Frau, jung oder alt. Auch Tataren, die im Obersten Sowjet saßen, waren betroffen, obwohl man ihnen am allerwenigsten Nähe zu den Deutschen vorwerfen konnte. Im Auftrag Berias wurden über 200.000 Menschen abtransportiert, viele von ihnen zusammengepfercht in Waggons. Fast die Hälfte von ihnen starb während des Transports oder in der Einöde Zentralasiens.

Auch die besondere Grausamkeit, die man oft mit dem Nationalsozialismus verbindet, findet sich in der Sowjetunion. Morde an Behinderten und Invaliden, um während des Krieges Kosten einzusparen, gab es ebenso wie medizinische Menschenversuche. Auch Stalin setzte Giftgas gegen seine Gegner ein. Und niemand davor oder danach erschoss eigenhändig so viele Menschen, wie Wassili Blochin, Chef-Henker der Geheimpolizei NKWD.

Hitler und Stalin

Über weite Teile lassen sich die Verbrechen Hitlers und Stalins jedoch nicht trennen, zu eng sind sie miteinander verwoben. Die Außenminister Ribbentrop und Molotow unterzeichneten 1939 einen Nichtangriffspakt, der in einem Geheim­protokoll die Aufteilung Osteuropas entlang einer Demarkationslinie vorsah. Je eine Hälfte Polens sollte an die beiden Diktatoren fallen. Am 1. September befahl Hitler den Überfall, einige Tage später besetzte die Rote Armee den Osten des Landes. In ihrem jeweiligen Teil herrschten Hitler und Stalin mit ähnlicher Härte. Da sich polnische Widerstandsgruppen nicht um die Demarkationslinie scherten, setzten sie sich mal im Westen, mal im Osten gegen die Besatzung zur Wehr. Um den polnischen Nationalismus effektiver in die Knie zu zwingen, trafen sich Vertreter von Gestapo und NKWD, die Informationen über Widerständler austauschten.

Einigkeit

Auch nach dem Angriff auf die Sowjetunion war Hitler sich in der polnischen Frage immer noch mit Stalin einig. Die polnische Untergrundarmee hatte sich in den Jahren der Besatzung zu einer immer stärkeren Kraft entwickelt. Als die Rote Armee auf ihrem Vormarsch 1944 Warschau immer näher kam, erhob sich das polnische Volk gegen Hitler. Doch Stalin ließ seine Truppen stoppen und wartete ab, bis Wehrmacht und SS den Aufstand niedergeschlagen hatten. Hunderttausende Polen starben so kurz vor Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Ein Gelingen des Aufstands hätte bedeutet, dass Stalin nicht als Befreier aufgetreten wäre. Die Vernichtung der polnischen Heimatarmee als konservative Kraft kam ihm bei der Errichtung einer kommunistischen Herrschaft entgegen.

Von einem militärischen Genie Stalins kann ohnehin keine Rede sein. Seine Fehlentscheidungen vergrößerten das russische Leid während der deutschen Besatzung unnötig. Die Warnungen des britischen Geheimdienstes über einen angeblich bevorstehenden Waffengang der Wehrmacht ignorierte Stalin. Er hielt sie schlicht für einen Trick Churchills, seine bis dahin erfolgreiche Zusammenarbeit mit Hitler zu sabotieren. Als dann deutsche Soldaten in die Sowjetunion vorrückten, rächte sich die große Parteisäuberung unbarmherzig. Die obersten Offiziersränge waren ausgedünnt worden, die Nachrücker noch zu jung und unerfahren, um eine Verteidigung zu organisieren. Sinnlose Haltebefehle und drakonische Strafen für Kommandanten, die den Rückzug antraten, führten zu den Kesselschlachten, bei denen Millionen Rotarmisten in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. Als sich das Blatt wendete und die Sowjetmacht unaufhaltsam vorrückte, wurden Soldaten weiterhin in riesiger Masse bei schlecht geplanten Offensiven in den Tod getrieben.

Leningrad und Stalingrad

Auch die Tragödien zweier Städte sind nicht auf einen einzigen Übeltäter zurückzuführen. Zwar befahl Hitler, Leningrad auszuhungern. Doch Stalin hätte die belagerte Stadt über den zugefrorenen Lagoda-See mit weit mehr Nahrung beliefern lassen können. Stattdessen ordnete er an, dass die kriegswichtige Industrie Leningrads weiterhin zu funktionieren habe und ordnete die Hilfskonvois diesem Ziel unter. Eine Entscheidung ohne strategischen Nutzen. In seiner Stadt, in Stalingrad, ordnete der Diktator an, dass Evakuierungen zu unterbleiben hatten. Eine Massenflucht der Zivilisten hätte ein verheerendes Bild in der Propaganda abgegeben.

Und nicht zuletzt radikalisierten sich die Tyrannen durch ihre Verbrechen gegenseitig. Ohne die stalinistischen Repressionen in Baltikum und Ukraine hätte die Wehrmacht unter der dortigen Bevölkerung auf ihrem Vormarsch mehr Aufwand bei der Rekrutierung von Kollaborateuren betreiben müssen. Das Massaker von Katyn, das der deutschen Propaganda diente, musste nicht erst erfunden werden. Gegen die Westalliierten griff Goebbels tief in die rhetorische Trickkiste. Seine Schreckensvisionen über die Barbareien der Roten Armee bestätigten sich jedoch tatsächlich, als Ostpreußen fiel. Und es ist kein Wunder, dass sich die Wehrmachtssoldaten lieber den Briten und Amerikanern, als den Russen ergaben, als die Grenzen des Deutschen Reichs überschritten wurden.

Hitler trägt die Schuld an allen Opfern des 2. Weltkriegs, aber er trägt sie nicht allein.

In seinem Größenwahn hatte er dem Dritten Reich einen Krieg aufgezwungen, den es nicht gewinnen konnte - er nahm es mit ins Grab. Stalin hingegen regierte sein Imperium trotz aller Fehlentscheidungen so gut, dass es seinen Tod noch um fast 40 Jahre überdauerte. Ebenso hatte er den Grundstein für die Herrschaft Mao Zedongs gelegt, unter dessen Herrschaft über 50 Millionen Menschen starben.

Hitler und Stalin – Unterschiede

Was Hitler und Stalin wohl am deutlichsten unterscheidet, ist der Holocaust, die planmäßige Vernichtung des gesamten jüdischen Volkes. In dieser Konsequenz ging Stalin nicht einmal gegen die verhassten Krimtataren vor, deren massenhaften Tod er zwar billigend in Kauf nahm, jedoch nicht intendierte. Hitlers Kriegsverbrechen kosteten mehr Menschen das Leben als Stalins Herrschaft, dennoch bewegen sich die Zahlen in der gleichen Größenordnung.

Sorgte aber der fokussierte Massenmord zwangsläufig für mehr Leid als der weitläufig gestreute? Wo Hitler eine ganze jüdische Familie vernichtete, konnte kein Vater um seinen Sohn, keine Tochter um ihre Mutter trauern. Wer ein Lager betrat, das eben nicht einzig und allein der Vernichtung diente, hatte ein jahrelanges Martyrium vor sich. Wie will man diese Faktoren gewichten? Leid und Unrecht lassen sich nicht messen, wie Kilogramm oder Megawatt.

Was bedeutet es, wenn der Terror nicht auf ein bestimmtes Ziel gerichtet ist, sondern sich willkürlich neue Opfer sucht? Stalin, dessen Feindbild immer diffus blieb, hätte bei praktisch jedem seiner Untertanen einen Vorwand für Lagerhaft gefunden. Die sowjetischen Bürger fürchteten aber nicht nur die Geheimpolizei, sondern auch den eigenen Nachbarn. Wer wusste schon, ob er nicht belastende Informationen ausplauderte?

Gerade Hitlers klare Grenzziehung zwischen Ariern und Untermenschen gab dem einzelnen Deutschen ein Gefühl der Sicherheit. Wer auf der richtigen Seite dieses Schemas stand, genoss im Dritten Reich einen hohen Lebensstandard. Dass die meisten Deutschen den Nationalsozialismus akzeptierten, lag also nicht an der Angst, im KZ zu landen, sondern weist auf eine tatsächliche Zufriedenheit mit dem System hin.

Berührungspunkte

So groß die ideologischen Unterschiede zwischen beiden Diktatoren auch scheinen mögen, gab es dennoch viele Berührungspunkte. Sie führte zur Komplizenschaft in Osteuropa, genauso wie im Westen. Stalin war eben nicht nur der Herrscher über die Sowjetunion, sondern über alle Genossen weltweit. Seinen Kurs zwang er den kommunistischen Parteien im Ausland auf. Auch in Deutschland näherten sich linke und rechte Extremisten an. Die nationalistischen Positionen der KPD überraschen heutige Ohren, waren damals jedoch logisch.

Die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen 1923 wurde auf rechter Seite zum Kampf zweier Völker stilisiert. Auf linker Seite sah man hingegen die Ausbeutung deutscher Arbeiter durch die Großbourgeoisie Frankreichs. Hin zu einer Kooperation war es nur noch ein kurzer Weg. Leo Schlageter, der wegen seiner Widerstandshandlungen von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt wurde, erfuhr von beiden Seiten des politischen Spektrums Würdigung. Den Rechten galt er als „Erster Soldat des Dritten Reichs“, genauso wurde er aber auch in Publikationen der KPD als nationaler Märtyrer gefeiert. Teils gerierten sich die Kommunisten aber auch als die „wahren“ Nationalisten und warfen Hitler vor, die deutsche Minderheit in Südtirol im Zuge seiner Kooperation mit Mussolini verraten zu haben.

Kommunistischer Antisemitismus

Auch Antisemitismus war in der KPD weit verbreitet. Zwar wurde nicht gegen die jüdische Rasse, wohl aber gegen das jüdische Kapital gehetzt. Kein Widerspruch zu Marx, denn dieser hatte (obwohl selbst Jude!) geschrieben: „Das Geld ist der eifrige Gott Israels, vor welchem kein andrer Gott bestehen darf. […] Die chimärische Nationalität des Juden ist die Nationalität des Kaufmanns, überhaupt des Geldmenschen.“

In der Diktion, dass „Hakennasen“ die Hakenkreuze finanzieren, warfen KPD-Funktionäre jüdischen Kapitalisten vor, hinter der NSDAP zu stehen, um ein Mittel zur Vernichtung der Arbeiterklasse in der Hand zu haben. Der Antisemitismus Hitlers war der beste Beweis für diese These, denn er sollte von den Sponsoren der Partei ablenken. Aus ihrer antizionistischen Position heraus äußerte die Rote Fahne 1929 Verständnis für Pogrome in Palästina, bei denen ca. 100 jüdische Siedler von Arabern getötet wurden.

KPD und NSDAP schwankten immer und waren sich nicht sicher, ob sie sich verbünden oder bekämpfen sollten. Gelegentlich kam es zur Kooperation. Demokratie im Allgemeinen, und Sozialdemokratie im Speziellen, waren beiden Parteien ein Dorn im Auge. Und so riefen beide Parteien 1931 zum Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtags auf, der aber scheiterte. Vorerst konnte die dortige SPD-Regierung im Amt bleiben. Gemäß der Stalinschen Sozialfaschismustheorie war ein Zusammengehen der linken Kräfte auch gar nicht möglich. Die SPD galt als eine Tarnorganisation des Kapitals, die der KPD Wähler mit vorgeblich linken Positionen abspenstig machen sollte, um so indirekt den Faschismus zu ermöglichen. Angebote der Sozialdemokraten, zusammen mit allen linken Kräften eine parlamentarische Mehrheit gegen Hitler zu errichten, wurden abgelehnt.

Molotow-Ribbentrop-Pakt

Auch war der Molotow-Ribbentrop-Pakt nicht bloß Realpolitik zweier Staaten mit gleicher Expansionsrichtung. Genauso war er auch autoritäre Weisung an alle Kommunisten weltweit und damit zutiefst ideologisch. Die britischen Genossen organisierten Streiks in der Kriegsindustrie, um Churchills Angriffe auf Stalins Partner abzuschwächen. Die kommunistische Partei der USA verfuhr ähnlich. Sie wollte die ersten Informationen über den anlaufenden Völkermord nicht wahrhaben. Roosevelts Außenpolitik war Kriegstreiberei, die nur der amerikanischen Industrie diene. Logisch, dass Berichte über Gewalt gegen Juden nur die übliche Propaganda seien. Zudem sollten die USA, in denen ja selbst ein antisemitisch aufgeladenes Klima herrsche, nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Als sei diese kommunistische Holocaustleugnung noch nicht seltsam genug, kommt hinzu, dass selbst viele jüdische Parteimitglieder diese Linie mittrugen und den Mord am eigenen Volk kleinredeten. Zu diesem Zeitpunkt hätte die kommunistische Partei eine Lockerung der Einwanderungsbestimmungen fordern können. Viele jüdische Flüchtlinge, die per Schiff die USA erreichten, wurden auf dem gleichen Weg zurück nach Europa geschickt.

In Jugoslawien hatten die Kommunisten am Einmarsch der Wehrmacht zuerst wenig auszusetzen. Warum auch? Die Besetzung des Balkanstaats ließ die Demarkationslinie des Molotow-Ribbentrop-Paktes unangetastet. Zudem war die jugoslawische Monarchie den Kommunisten des Landes schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion entwickelte sich langsam eine Partisanenbewegung. Immerhin zwei Monate, die ungenutzt verstrichen. Mit dem Balkanfeldzug zu Beginn April 1941 mussten die Planungen für das Unternehmen Barbarossa weiter nach hinten verschoben werden. Gerade eine Invasion in diesen wenigen Wochen im Frühling und Sommer hätte verhindern können, dass die Wehrmacht im herbstlichen Schlamm oder winterlichen Frost vor Moskau steckenblieb. Eine früher begründete Partisanenbewegung hätte den Vorstoß an der Ostfront noch zäher gestalten können.

Stalins Antisemitismus

In der Wahrnehmung Stalins spielt der Holocaust keine besondere Rolle. Jede Würdigung der Juden als Opfer des Faschismus hätte das Sowjetvolk als eigentliches Opfer in den Hintergrund rücken lassen. Die Arbeiterbewegung wurde glorifiziert. Jeder Kommunist der unter Hitler starb, hatte sein Schicksal selbst gewählt und war damit ein Märtyrer. Ein Jude der unter Hitler starb, geriet qua Geburt ins Visier des Nationalsozialismus, nicht durch „eigene Leistung“. Eine besondere Hervorhebung des Holocaust war in der marxistischen Geschichtsschreibung nicht vorgesehen. Diese fokussierte sich auf das Abgleiten (einiger, nicht aller!) der kapitalistischen Staaten in den Faschismus und den Krieg gegen den Kommunismus, nicht aber auf den gezielten Mord an einem ganzen Volk.

Abgesehen von diesen eher theoretischen Motiven hegte Stalin tatsächlich einen tiefen Antisemitismus. Den jüdischen Geliebten seiner Tochter Swetlana ließ er inhaftieren. Nach 1945 radikalisierte sich das antisemitische Klima in der Sowjetunion. Während des 2. Weltkriegs wurde das Jüdische Antifaschistische Komitee gegründet, das vor allem der Propaganda gegen Hitler diente. Nach dem Sieg über Deutschland war es überflüssig geworden. Ab 1948 ließ Stalin mehrere seiner Mitglieder hinrichten.

Kurzzeitig stand Stalin Israel freundlich gegenüber, da er auf einen kommunistischen Satellitenstaat am Mittelmeer hoffte. Als sich diese Hoffnungen zerschlugen, wandelte sich seine Position. In der Sowjetunion selbst wurden Juden der Sympathie für Israel oder die USA verdächtigt. Zur gleichen Zeit begann auch eine Kampagne gegen „Zionisten“ und „Wurzellose Kosmopoliten“. Zwar zielten diese eher auf die Vernichtung der jüdischen Kultur, als auf das Volk als solches ab, doch wurden sie immer wieder von gezielten Mordaktionen begleitet. In der „Nacht der toten Dichter“ wurden mehrere jiddische Schriftsteller erschossen. Kurz vor seinem Tod fürchtete sich Stalin vor jüdischen Ärzten, die Funktionäre der kommunistischen Partei mit falschen Medikamenten vergiften könnten. Die ersten von ihnen wurden bereits inhaftiert, als der Tyrann starb. Ob er die antisemitische Kampagne noch intensivieren wollte und nur sein Tod schlimmeres verhinderte, bleibt weiterhin unklar.

Im Verbrechen einig

Auch wenn sich Hitler und Stalin verfluchten — In ihren Verbrechen waren sich beide Tyrannen oft genug einig und bewunderten sich gegenseitig. In der Führungsetage des Dritten Reichs wurde mit Freude beobachtet, wie während des Großen Terrors die Zahl der Juden im Sicherheitsapparat der Sowjetunion immer weiter abnahm. Auf dem Höhepunkt des 2. Weltkriegs konnte sich Hitler mit dem Gedanken anfreunden, die Russen hinter den Ural zu treiben und Stalin über den Rest der Sowjetunion herrschen zu lassen. Dessen Politik der harten Hand gegenüber seinem eigenen Volk war kompatibel mit den Vorstellungen der slawischen Untermenschen, die nur unter der Knute parierten. Noch im Bunker der Reichskanzlei tobte der Führer, dass der Zusammenbruch an der Ostfront zu vermeiden gewesen wäre, hätte er nur genauso konsequent seine Generale an die Wand gestellt, wie Stalin. (Immerhin: einen 20. Juli gab es in Moskau nie.)

Stalin zeigte sich 1934 beeindruckt von Hitler, der sich in der ‚Nacht der langen Messer‘ der SA-Führung um Röhm, sowie konservativer Monarchisten entledigte. Nicht viel anders ging er selber wenige Jahre später mit seinem Henker Jeschow um. Und auf der Konferenz von Jalta, auf der sich das gesamte Ausmaß der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft schon erahnen ließ, stellte er Churchill und Roosevelt Beria mit den Worten: „Das ist unser Himmler!“, vor.

Hitler und Stalin waren keine Feinde, sondern Rivalen.

Lukas Mihr