Benedikt XVI. geht - Dr. Ratzinger bleibt

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Benedikt XVI. / Foto: djsacche (CC-BY-SA 3.0)

BERLIN. (hpd) Heute Abend um 20:00 Uhr des 28. Februar 2013 endet gemäß seiner Ankündigung für Dr. Joseph Ratzinger seine Stellvertreterschaft des Jesus Christus. Der Vicarius Iesu Christi tritt aufgrund eigener Entscheidung zurück.

Ein zweifellos kirchenrechtlich zulässiger Schritt, der dennoch die Gläubigen tief schockiert, denn ein solcher Schritt lag bislang außerhalb der (katholischen) Vorstellungskraft, wie Kardinal Meisner dies kurz nach der Rücktrittsankündigung formuliert hat.

Etwas Unfassbares ist geschehen – etwas, das niemand bislang erlebt und keiner der Gläubigen, für die alles um den Nachfolger Petri heilig ist, für realistisch gehalten hat. Diesen Job kündigt man nicht nach eigenem Gutdünken wie irgendeine andere berufliche Tätigkeit. Der Fels, auf dem die Christus-Gemeinde gebaut sein soll, erodiert.

Auch wenn es Gründe für den Rücktritt geben mag, wobei das Märchen von der angegriffenen Gesundheit mittlerweile kaum noch einer hören mag, so hat der Berliner Kardinal Woelki die historische Dimension des Rücktritts auf den Punkt gebracht: das Amt des "Heiligen Vaters" wird entmystifiziert, es wird entzaubert. Es wird von katholischer Seite nicht zu Unrecht eine "Verweltlichung des Papstamtes" befürchtet. Für alle hingegen, die nicht der katholischen Ideologie anhängen, ist es eine gute Nachricht: ein weiterer Schritt in der Entzauberung der (zumindest europäischen) Welt ist getan und die Bühnenbilder des Sakralen werden beiseitegeschoben, so dass sich der profane Kern, zumal in seiner gesamten "unheiligen" Erbärmlichkeit, zeigt.

Zu sehen ist ein Mann, der der Welt moralische Werte erhalten und neu vermitteln wollte, "das Böse" bekämpfen und gegen "Beliebigkeit" und gegen eine "Diktatur des Relativismus" war. Einer, der der Welt vorhält, nur die Ichbezogenheit als Maßstab zu kennen, der ankämpfen will und der doch "das Böse" schon im eigenen Haus, in der eigenen Kirche vorfindet. Zu sehen ist eine Organisation, in der weniger der Heilige Geist weht als ein brutaler Machtkampf tobt, in der intrigiert und Seilschaften gebildet werden, in der es nur um Posten, Einfluss und Beziehungen geht, und in der "Sodom und Ghomorra" existent ist. Die "eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" entzaubert sich selbst und führt sich dem Erdkreis vor als ein Unternehmen ohne jegliche Unternehmenskultur, ohne effiziente Organisation und ohne ein fähiges Management.

Was im Vatikan, in Teilen der Kurie tatsächlich los ist, ist in den letzten Tagen deutlicher geworden: der 300-seitige Untersuchungsbericht zur sogenannten Vatileaksaffäre der drei als Sonderermittler eingesetzten Kardinäle soll Brisantes und schier Unglaubliches zu enthalten: von einem geheimen "Schwulennetzwerk" im Vatikan, von Sexorgien, von Erpressbarkeit von Kardinälen aufgrund ihrer "sexuellen Orientierung" ist die Rede. In dem Bericht sollen Informationen für den Verstoß gegen gleich mehrere christliche Gebote enthalten sein, darunter auch gegen das Gebot, nicht fremdes Eigentum zu begehren. Hinzukommt ein brutaler Machtkampf im Vatikan, den der Theologe auf dem Stuhl Petri, der als "Schöngeist" bezeichnet wird, nicht unter Kontrolle bekommen hat. Der Corriere della Sera hat unmittelbar nach der Rücktrittsankündigung Anfang Februar berichtet, dass Dr. Ratzinger in der Vergangenheit bereits wiederholt angedeutet habe, dass er sich durch die Machenschaften im Vatikan überfordert fühle.

Weiter spielt das Scheitern des Dr. Ratzinger bei seinen Bemühungen um eine Reform der Vatikanbank (die die offizielle Bezeichnung "Institut für die religiösen Werke" trägt) eine wesentliche Rolle. Hierbei soll er insbesondere von Kardinalstaatssekretär Bertone ausgebremst worden sein. Diese skandalumwitterte Bank wird nach wie vor internationalen Standards zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Steuerflucht nicht gerecht. Erneuerungsprozesse sind gescheitert und die Berufung des Deutschen Malteser-Ritters und Managers von Freyberg scheint eher eine Verlegenheitslösung zu sein.

Kardinalstaatssekretär Bertone hat es im zeitlichen Zusammenhang mit der Ernennung des neues Chefs der Vatikanbank geschafft, noch in den allerletzten Tagen seiner Amtsführung einen seiner wichtigsten Kritiker aus dem Aufsichtsrat zu entfernen, der schon vor einem Jahr gewarnt hat, dass Bertone keineswegs für eine Reform der Vatikanbank eintrete und nicht plane, sich den internationalen Standards zu unterwerfen.

Gewissermaßen im Gegenzug hat Dr. Ratzinger, ebenfalls in seinen letzten Amtstagen, einen Monsignore Balestrero am vergangenen Freitag entlassen, der im Staatssekretariat eine einflussreiche Rolle spielte und zudem maßgeblich an den Beziehungen der Vatikanbank ins Ausland beteiligt war. Er wird auf den Posten eines Gesandten in Kolumbien degradiert. Sein Name ist nach Angaben von "La Repubblica" in dem 3ooseitigen Untersuchungsbericht enthalten.

Einem Irrtum dürfte unterliegen, wer nun annimmt, Dr.Ratzinger werfe das Handtuch und ziehe sich in einen Altersruhestand zurück. Das ist vom langjährigen Chef der Kongregation für die Glaubenslehre, der für die "Reinhaltung" der katholischen Ideologie zuständig war, und der sich berufen fühlt, einer zunehmend ungläubiger werdenden Welt den richtigen, sprich: den "katholischen" Weg zu weisen, nicht zu erwarten. Zu einem Rückzug passt bereits nicht, dass er just an jenem 17. Dezember, als ihm dieser Bericht vorgelegt wurde, seinen Rücktrittsentschluss gefasst haben soll.

Eine Rückkehr in das Private plant er ohnehin nicht, wie er bei seiner letzten Audienz als "Summus Pontifex Ecclesiae Universalis" (Oberster Priester der Weltkirche) am 27. Februar auf dem Petersplatz mitgeteilt hat. Ähnlich hat er sich auch am vergangenen Sonntag bei seinem letzten Angelus-Gebet im Amt geäußert. Und seinen Kritikern wie dem polnischen Kardina Dziwisz, dem Intimus des vorherigen Papstes, entgegnete er: "Ich verlasse nicht das Kreuz, ich bleibe auf eine neue Weise beim gekreuzigten Herrn". So redet keiner, der sich resigniert zurückzieht.

Seine letzten Entscheidungen im Amt wirken denn auch nicht wie Handlungen eines alten, geschwächten und müden Mannes, sondern energisch und zielstrebig: die Änderungen über die Vorziehung des Konklaves – wohl um Kardinalstaatssekretär Bertone nicht mehr viel Handlungsspielraum zu lassen, die Anordnung an die drei Kardinäle, den 300-seitigen geheimen Untersuchungsbericht alsbald dem Nachfolger vorzulegen und zu erläutern, die Entscheidung, künftig an einer ruhigen Stelle innerhalb des Vatikans wohnen, wenige hundert Meter vom Nachfolger entfernt (man mag es als ständige Mahnung oder Drohung an den Nachfolger werten) und die Tatsache, dass sein langjähriger engster Mitarbeiter, Georg Gänswein - vor kurzem noch innerhalb der katholischen Hierarchie zum Kurienerzbischof befördert - sowohl für den neuen als auch für den alten Papst tätig sein soll (er wird Präfekt des Päpstlichen Hauses und Dr. Ratzingers Sekretär bleiben).

Von Müdigkeit ist da nichts zu bemerken, sondern eher von einer Konzentration auf das Wesentliche, auf das Grundsätzliche. Während das operative Tagesgeschäft offenbar einem robusten Jüngeren überlassen werden soll – einem der eher Politiker und Geschäftsführer ist, als das das ein Theologe überhaupt sein könnte. Diesen Bereich vermochte er nicht erfolgreich zu händeln – aber das ist auch nicht sein Metier.

Dr. Ratzinger macht also weiter: beim vorletzten Angelus-Gebet forderte er von den Katholiken, seiner in den letzten Jahren verkündeten Linie treu zu bleiben. Kirche und Gläubige sollten "sich neu Gott zuwenden, um Hochmut und Egoismus zu begegnen". Dies bedeute einen "spirituellen Kampf, weil der Geist des Bösen versucht, uns vom Weg zu Gott abzubringen", sagte er. In seiner Ansprache während der Aschermittwochsmesse kritisierte er "religiöse Heuchelei" und forderte ein Ende von "Individualismus und Wetteifer" innerhalb der katholischen Kirche. "Das Gesicht der Kirche wird manchmal von Sünden gegen die Einheit der Kirche und Spaltung zwischen den Geistlichen geschädigt", beklagte er. Dabei werde das "Zeugnis" der Kirche "umso bedeutsamer sein, umso weniger wir unseren Ruhm suchen". Das klingt nach den Formulierungen in seiner Freiburger Rede 2011, als er zu mehr Religiosität aufrief und als Folge der geschichtlichen Säkularisierungen etwas Positives für die katholische Kirche sah: "Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein."