Protestanten wildern bei Katholiken

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Plakatmotiv der evangelischen Kirche

WIEN/GRAZ. (hpd) Die evangelische Kirche will mit einer Werbekampagne im öffentlichen Raum Mitglieder werben. Sprich: missionieren. Die Zielgruppe sind offensichtlich Katholiken. Nur sagt man das nicht laut. Aus Angst, jemand könnte eventuell vielleicht böse werden.

Es gibt eine protestantische Kirche in der Steiermark. An dieser häufig vergessenen Tatsache kommt in diesen Wochen kaum ein Steirer vorbei, der sich im öffentlichen Raum bewegt. Im gesamten Landesgebiet haben die Evangelische AB und die Evangelische Kirche HB Plakatflächen und Infoscreens in öffentlichen Verkehrsmitteln gemietet. Wenn man schon ein Lebenszeichen von sich gibt, dann ordentlich.

Auch die Medien haben die Aktion der Kirche bemerkt, die in Österreich selbst nach eigenen Zahlen kaum mehr als eine Splittergruppe ist. 325.905 eingetragene Mitglieder hat man bundesweit, das sind keine vier Prozent der Bevölkerung. In der Steiermark sind es etwas mehr als 41.000, die sich offiziell dem Augsburger Bekenntnis zurechnen lassen. Reformierte gibt es beeindruckende 381.

Bild des Elends

Resultat eines Aderlasses, der prozentuell gesehen sogar den der katholischen Kirche übertrifft. Gemessen an der Gesamtgröße sind seit der Jahrtausendwende fast doppelt so viele Protestanten ausgetreten wie Katholiken. Nicht erst seit der skurrilen Geschichte um die „Fliegenkirche“ bietet die Evangelische Kirche ein Bild des Elends.

Betrachtet man die Sache nicht nach den Mitgliederlisten, in die die wenigsten freiwillig aufgenommen wurden, sondern nach religiöser Aktivität, sieht es noch trauriger aus. Nur ein Bruchteil der ohnehin kleinen Schäfchenzahl verirrt sich Sonntags in eine Gemeinde.

Wer kann es ihnen verübeln?

Wer kann es dieser kleinen Schar verübeln, dass sie größer werden will? Wer kann nicht verstehen, dass es Groß-Kampagnen braucht, um dieses Ziel zu erreichen? Da sollte man auch nicht so kleinlich sein und fragen, wer das alles zahlt.

„Wir sind Kirche“ würde das Gleiche plakatieren lassen

Vielleicht sollte man auch nicht so kleinlich sein und darauf hinweisen, dass sich die Evangelische Kirche mit ihren Slogans einer hohen Verwechslungsgefahr mit liberaleren katholischen Gruppierungen aussetzt. „Frauen haben hier nix zu melden“, „Wählen ist nix für Gläubige“ – mit diesen provokativ gemeinten Sprüchen legt man das offen, was hierzulande dauernd an der katholischen Kirche kritisiert wird. Das könnte genauso gut von der Pfarrer-Initiative von Helmut Schüller stammen oder von „Wir sind Kirche“ von Hans Peter Hurka.

Später sollen diese Slogans sozusagen aufgelöst werden und man wird der mehr oder weniger interessierten Öffentlichkeit mitteilen, dass diese Kritikpunkte in der Evangelischen Kirche nicht zutreffen. Würden Schüller oder Hurka mit den gleichen Slogans hausieren gehen, würden sie halt schreiben: Wenn’s nach uns ginge, wär das in der katholischen Kirche nicht mehr der Fall.

Der angeblichen Zielgruppe ist das so was von egal…

Offiziell richten sich die Plakate an „kirchenferne Menschen 25- bis 45-Jährige“ zwecks „Mitgliedergewinnung“. An welche, wird aus verständlichen Gründen nicht gesagt. Die wirklich kirchenfernen, die religiös Indifferenten und die Atheisten und Agnostiker, werden es eher nicht sein. Die interessiert es nachvollziehbarer nicht oder noch weniger, dass in der Evangelischen Kirche Frauen auch das Pfarramt übernehmen dürfen.

Um nicht zu sagen: Eine Steigerung des Wurschtigkeitsgefühls ist kaum vorstellbar. Den Autor etwa interessiert das noch weniger als der sprichwörtliche Sack Reis in China. Und kirchenferner als der Autor geht ja wohl kaum. Sollten wirklich „kirchenferne Menschen“ die Zielgruppe der nicht gerade bescheidenen Kampagne sein, geht sie gründlich daneben.

Die 90 Prozent Taufscheinprotestanten sind auch nicht gemeint

Die „kirchenfernen“ Protestanten, sprich: die ungefähr 90 Prozent, die nicht am „religiösen Leben“ teilnehmen, können auch nicht gemeint sein. Für die war die äußerliche Liberalität ihrer Kirche bisher keine Motivation sich irgendwie zu engagieren. Das wird sich nicht ändern, wenn man ihnen auf’s Aug drück, wie man lieb man doch ist. Auch die zahlreichen ausgetretenen Protestanten können nicht gemeint sein. Denen war das Frauenpriestertum ganz offensichtlich noch mehr egal als den Taufschein-Protestanten. Es wird ja keiner ausgetreten sein, weil er fälschlicherweise gemeint hat, dass Frauen bei den Protestanten nicht Pfarrerinnen sein dürfen.

Man will Katholiken missionieren

Die einzige halbwegs plausible Erklärung ist, dass „kirchenferne“ Menschen ein verschämter Ausdruck für religiös halbwegs interessierte Gerade-Noch-Irgendwie-Katholiken sein soll. Die sehen großteils nicht ein, warum Frauen nicht katholische Pfarrerinnen sein dürfen und warum der Heilige Stuhl über ihren Bischof entscheidet und nicht sie. Es gibt wahrscheinlich einige tausend, die aus diesem Grund aus der Kirche ausgetreten sind.

Anders ausgedrückt: Die Protestanten versuchen die Katholiken zu missionieren. Ihre Kirche versucht sich als die liberalere Alternative zu positionieren.

„Ökumenische Verbundenheit“

Das kann man nachvollziehbarerweise nicht so offen sagen. Sonst wird am End die „Schwesternkirche“ ( © Superindendent Hermann Miklas) bös. Die hat es nicht so gern, wenn man in ihrem Revier wildert. Zur Beruhigung hat man den Katholiken „im Sinne der ökumenischen Verbundenheit“ von der Kampagne erzählt und die Inhalte mit ihnen abgesprochen. Sagt zumindest Miklas.

Der Autor wäre gern ein Mäuschen bei diesem Gespräch gewesen. Was wird Miklas wohl seinem katholischen Gegenüber gesagt haben? Wie wird er herumlaviert haben, damit das Gegenüber ganz sicher nicht merkt, dass man Katholiken missionieren will? „Ist eh nicht so gemeint?“ „Auf die Leut könnt’s eh verzichten, das sind eh Kryptoprotestanten?“

„Das schaut nur so aus?“

Oder: „Nein, das schaut nur so aus, ist aber was ganz anderes?“ Gut, das können christliche Funktionäre einander vermutlich erzählen. Vor allem ein katholischer Pfarrer muss diesem Einwand gegenüber zumindest prinzipiell von Amts wegen zugänglich sein. Die Hostien-Wandlung sieht ja aus seinem obligatorischen Verständnis auch nur nach Hostie aus, in Wahrheit ist laut Dogma unbemerkt der ganze Jesus Christus in die Teigwaffel geschlüpft oder geflogen. Sie ist also etwas ganz anderes als das, wonach es aussieht. Warum soll das bei einer evangelischen Werbekampagne anders sein?

Scherz beiseite. Die katholischen Funktionäre mögen Theologen sein. Das heißt im Umkehrschluss nicht zwingenderweise, dass man ihnen jeden Blödsinn einreden kann und dass sie prinzipiell nie imstande sind, ihre Umgebung in einer sinnvollen Art und Weise wahrzunehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass niemandem aufgefallen ist, an wen sich die evangelische Kampagne richtet.

Katholiken nehmen Sache nicht ernst

Sie werden die Sache einfach nur nicht ernst nehmen. Das erscheint nachvollziehbar. Jeder Katholik, selbst ein religiös indifferenter Taufscheinkatholik, weiß, dass bei den Protestanten Frauen Pfarrerinnen sein dürfen. Das muss man ihnen nicht mit einer sündteuren Werbekampagne nahe bringen. So dumm sind die Schäfen auch wieder nicht. Wäre die äußerliche Liberalität auch nur irgendein Kriterium, zum Protestantismus zu konvertieren, es hätten wahrscheinlich schon Millionen getan.

Die, die aus Protest gegen zu viel Konservativismus aus der katholischen Kirche ausgetreten sind und bislang konfessionsfrei sind, werden wohl ihr Gründe haben, warum sie nicht zu den Protestanten gegangen sind. Papstfimmel vielleicht. Ein Hang zur Inszenierung, möglicherweise. Da sind die Katholiken unbestreitbar besser als die Protestanten. Diese Leute werden sich nicht jetzt plötzlich missionieren lassen. Den meisten Konfessionsfreien und den knapp 90 Prozent Taufscheinkatholiken ist es ohnehin egal, siehe oben.

Die Sorge, dass Massen von Schäfchen ins andere Lager überwechseln, wird den katholischen Funktionären eher keine schlaflosen Nächte bereiten.

Man stelle sich vor, Atheisten würden das machen

Allein, die Geschichte zeigt etwas anderes auf: Religionsgemeinschaften können einander in der Öffentlichkeit ausrichten, was sie voneinander halten. Subtil aber doch sagen die Protestanten den Katholiken, dass sie Recht haben und die Katholiken eine mittelschwer verzopfte Einrichtung haben.

Atheisten dürfen das nicht. Man stelle sich vor, etwa der Freidenkerbund ließe in ganz Wien plakatieren: „Frauen haben hier nix zu melden“ und es wäre eindeutig, dass sich diese Aussage auf die katholische Kirche bezieht. Das wäre eine bloße Tatsachenfeststellung, nicht mehr und nicht weniger.

Ein Aufschrei wäre gewiss. Sämtliche Glaubensgemeinschaften würden öffentlich über die „intoleranten Atheisten“ herfallen. Die Protestanten würden einen wahrscheinlich sofort wieder Nazi nennen.

Sofern man überhaupt Plakatflächen für das Sujet gefunden hätte. Die meisten Anbieter von Plakatflächen hätten sich schlicht geweigert, solche Plakate entgegenzunehmen (siehe Buskampagne). Wenn die Protestanten das gleiche machen, ist’s ein Beweis für die „ökumenische Verbundenheit“ und alle haben einander lieb. Die sprichwörtlichen zweierlei Maß lassen grüßen.

Abgesehen davon, dass weder der Freidenkerbund noch sonst ein atheistischer oder religionskritischer Verein in Österreich das Geld hätte, eine solche Kampagne zu veranstalten. Anders als vor allem die katholische und die protestantische Kirche hängen die nicht am Steuertropf der Republik sondern müssen mit ihren Mitgliedsbeiträgen auskommen.

Christoph Baumgarten
 

Notizen aus Wien ist die monatliche Kolumne unseres Österreich-Korrespondenten Christoph Baumgarten.