Das antisemitische Christentum

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Prof. Dr. Hubertus Mynarek, Foto: © Evelin Frerk

HEIDELBERG. (hpd) Am 9. November 2013 veranstalteten die Säkularen Humanisten – GBS Rhein-Neckar in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg des HVD einen Vortrag mit dem Theologen, Philosophen und Kirchenkritiker Prof. Dr. Hubertus Mynarek über das Thema "Kirchen im Dritten Reich – Ideologische Grundlagen der Kollaboration der Kirchen mit dem Nationalsozialismus".

Dieses Thema fügte sich gut in eine Reihe Heidelberger Veranstaltungen zum Gedenken an die Reichspogromnacht von 75 Jahren ein. Prof. Mynarek war 1972 Dekan der katholischen Fakultät der Universität Wien, als er seinen Kirchenaustritt erklärte. Mit seinem 1973 erschienenen Buch "Herren und Knechte der Kirche" zog er sich den Heiligen Zorn der katholischen Kirche zu.

Ein Bericht von Reinhold Schlotz

Prof. Mynarek zieht in seinem Vortrag über die "Kirchen im Dritten Reich" eine Linie von den antijudaistischen Wurzeln des Christentums bis zur Judenvernichtung der Nazis im Holocaust. Er weist zu Beginn auf die judenfeindlichen Bibelstellen im Neuen Testament hin, z.B.: "Ihr (Juden) seid aus dem Vater, dem Teufel..."(Joh 8,40), "die Juden, die den Herrn Jesus getötet … und allen Menschen feindlich sind" (1Thess 2, 14-16), "Synagoge des Satans" (Offb 2,9), "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" (Mt 27, 25).

Hier liegen die Ursachen einer christlichen Feindschaft gegenüber den Juden, die zwei Jahrtausende von der Kirche aufrechterhalten wurde. Judenfeindliche Bibelstellen wie z.B. "Der Teufel ist der Juden Vater" finden sich dann z.B. auch in Julius Streichers antisemitischem Hetzblatt "Der Stürmer".

Als Beispiel für den schon seit dem 1. Jahrhundert n.Chr. aufkommenden christlichen Antijudaismus, zitiert Prof. Mynarek den Kirchengeschichtsschreiber Eusebius von Cäsarea aus dem Jahre 312 n.Chr. mit Bezug auf die Vertreibung der Juden aus Palästina (Judäa) im Jahre 70 n.Chr.: "...da brach das Strafgericht Gottes über die Juden wegen der vielen Freveltaten, die sie an Christus und seinen Aposteln begangen hatten, herein und vertilgte gänzlich dieses Geschlecht der Gottlosen aus der Menschengeschichte".

Der Heilige Kirchenvater Johannes Christostomos (344 – 407) bezeichnet die Juden als Schweine und Diebe und der erste von einem christlichen Bischof angeordnete Synagogenbrand geschah schon im Jahre 388. Die Nazis schufen mit der Reichspogromnacht keinen Präzedenzfall, sondern "tun nur das, was die Kirche schon seit 1500 Jahren tut", wie es Adolf Hitler gegenüber dem deutschen katholischen Bischof Berning schon am 26. April 1933 betonte.

Auch der Arierparagraph der Nazis ist kein Präzedenzfall, sondern hat sein Vorbild u. a. in den Beschlüssen des vierten Laterankonzils von Papst Innozenz III. aus dem Jahre 1215. Auf diesem Konzil wurde auch die öffentliche Kennzeichnung der Juden beschlossen, um sie von der nichtjüdischen Bevölkerung unterscheiden zu können. In der Bulle Cum nimis absurdum von Papst Paul IV. (Pontifikat 1555 – 1559) wurde die Farbe Gelb für die Kennzeichnung der Juden festgelegt, die auch die Nazis für den Judenstern, der somit eine katholische Erfindung war, übernahmen.

Protestantischer Antijudaismus

Mynarek geht auch auf den Antijudaismus der Protestanten ein. Es war schließlich der an einer neurotischen Persönlichkeitsstörung leidende Martin Luther, der seinen treuen Rat formulierte, die jüdischen Synagogen mit Feuer anzustecken und die Juden unter ein Dach oder Stall zu tun. In seinem Buch "Von den Juden und ihren Lügen" schreibt er: "Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen".

In seinem Buch "Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi" beschreibt Luther die "Judensau", unter der junge Juden an deren Zitzen saugen und ein Rabbiner den Bürzel (Schwanz) der Sau hebt und in den Talmud hinein schaut. Und es war dann Adolf Hitler, der diesen antisemitischen Luther zum größten Deutschen erklärte, womit Mynarek eine Linie von Luther zu Adolf Hitler zog.

Luther wurde vom anfänglichen Revolutionär zum Reaktionär. In seiner Staatslehre gibt es keine Rechte des Volkes gegenüber den Obrigkeiten. Der Staat ist der Ausführer des Zornes Gottes. Julius Streicher bemerkte mit einiger Berechtigung während der Nürnberger Prozesse gegen die NS-Kriegsverbrecher 1946: "Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch (Von den Juden und ihren Lügen) in Betracht gezogen würde". Eine Affinität des Christentums zum "Nazitum" ist nach Mynarek sowohl in der Staatsideologie als auch in der Feindschaft gegenüber dem Judentum festzustellen.

Paktieren mit den Mächtigen

Die Kirche hat keine Gelegenheit ausgelassen, mit den jeweils Mächtigen in einem Land zu paktieren. Als Beispiel nennt Mynarek das südamerikanische Land Chile, wo sich die katholische Kirche sofort auf die Seite des Putschisten Pinochet stellte, als klar wurde, dass der gewählte Präsident Allende gestürzt werden würde.

Auch mit dem italienischen Faschismus verbündete sich der Vatikan, dessen Staatlichkeit in den Lateranverträgen mit Mussolini erst wieder hergestellt wurde. Die Affinität des Vatikan zum Faschismus zeigt sich ebenfalls im guten Verhältnis zum spanischen Faschismus unter dem Diktator Franco. Dem Nationalsozialismus stand der Vatikan vor 1933 ablehnend gegenüber. Erst mit dem Reichskonkordat stellte sich die katholische Kirche an die Seite der Nationalsozialisten und machte diese international hoffähig. Als ideologische Brücke zwischen den Nazis und der katholischen Kirche diente der gottlose sowjetische Bolschewismus unter Stalin. Ihn zu vernichten, war das gemeinsame Ziel Hitlers und des Vatikan unter Papst Pius XII.

Weder die katholische noch die bekennende Kirche der Protestanten haben während der Naziherrschaft etwas gegen Hitler und den Nationalsozialismus gesagt. Für die protestantischen Deutschen Christen war "Hitlers Befehl Gottes Befehl". Der katholische Kardinal Bertram forderte nach Hitlers Selbstmord ein Requiem für den Führer. Nach dem Krieg waren die Kirchen bemüht, sich selbst von jeglicher Schuld reinzuwaschen und verschanzten sich hinter wenigen Personen des priesterlichen Widerstandes, die von den Bischöfen während 1933-45 jedoch im Stich gelassen wurden.
 

Nach den interessanten und lebhaft vorgetragenen Ausführungen Prof. Mynareks schloss sich eine längere Fragerunde an. Der Abend klang in gemütlicher Runde in einem Heidelberger Restaurant aus.