Der Rechenschaftsbericht des Bistums Trier zum Thema Missbrauch

Nur die Spitze des Eisbergs

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Der Trierer Dom

789.000 Euro "in Anerkennung des Leids" – diese Summe hat das Bistum Trier 2022 an Opfer sexueller Gewalt durch Kirchenleute gezahlt. Das geht aus dem kürzlich veröffentlichten ersten Rechenschaftsbericht des Bistums hervor.

Das Geld teilt sich auf 51 Betroffene auf, wobei in zwei Härtefällen über 50.000 Euro gezahlt wurden. Weitere 764.000 Euro gingen an ehemalige Schüler des früheren katholischen Internats Albertinum in Gerolstein, die in der Schulzeit von körperlicher, seelischer und teils sexueller Gewalt betroffen waren. Wie hoch die Dunkelziffer der schweigenden Opfer ist, lässt sich kaum abschätzen.

Seit der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche vor 13 Jahren erstmals Wellen schlug, sind 2,1 Millionen Euro vom Bistum Trier an Missbrauchsbetroffene geflossen. Das macht durchschnittlich gerade mal 10.000 Euro pro Opfer, wie die Betroffenen-Initiative MissBiT vorrechnet. Deren Vorsitzender Hermann Schell spricht von einer "schöngerechneten Almosenbilanz". Tatsächlich ist die Summe verschwindend gering, verglichen mit den 300.000 Euro Schmerzensgeld, die das Kölner Landgericht einem Missbrauchs-Betroffenen im Juni zugesprochen hatte. Der damals 62-Jährige war in den 1970er Jahren über 300-mal von einem Priester vergewaltigt worden. Welche Folgen solche Verbrechen für Opfer haben, listet MissBiT minuziös auf: körperliches und seelische Leiden; Ausfälle in Ausbildung und Beruf; Einschränkungen, die ein ganzes Leben beeinträchtigen. Nicht einmal für die Therapiekosten sei die Kirche aufgekommen. Bezahlt hätten die öffentlichen Krankenkassen und Rententräger, wie MissBiT weiter bemängelt.

Schon im Mai 2022 hatte die Initiative eine eigene Untersuchung vorgelegt, deren Angaben später durch eine Studie der Uni Trier bestätigt wurden. Demnach hat der frühere Bischof Bernhard Stein in seiner Amtszeit zwischen 1967 und 1981 den sexuellen Missbrauch durch Kirchenleute gedeckt und die Täter geschützt – ohne sich um die Opfer zu kümmern. Die Studie belegt 200 Fälle und benennt 81 Täter, allesamt Priester.

Der jetzt veröffentlichte Rechenschaftsbericht des Bistums gilt auch als Reaktion auf diese Studie. Steins Amtsnachfolger, der amtierende Trierer Bischof Stephan Ackermann, ist nicht zum ersten Mal mit dem Thema Missbrauch befasst. Zwölf Jahre lang war er Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, bis er 2022 zurücktrat. Dabei räumte er eigene Fehler ein, so hatte er öffentlich den Klarnamen eines Missbrauchsopfers genannt. Daraufhin hatte ihn der Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz als nicht mehr tragbar in dieser Funktion bezeichnet.

Das Thema Prävention nimmt im Rechenschaftsbericht breiten Raum ein. Gleichwohl lesen sich die Zahlen ernüchternd. Schon 2010 hatte die Bischofskonferenz die Pfarreien verpflichtet, jeweils ein eigenes Schutzkonzept für die Prävention von Kindern und Jugendlichen gegen sexuelle Gewalt zu erstellen. Bis Ende 2022 hatten jedoch lediglich 175 von 748 Pfarreien diesen Auftrag umgesetzt. In fast der Hälfte der Gemeinden gibt es noch nicht einmal eine Ansprechperson für betroffene Kinder und Jugendliche, bemängelt MissBiT.

Wie tief der Sumpf aus Wegsehen und Vertuschung wirklich ist, wird erst allmählich erkennbar. Das zeigt auch ein weiteres Papier, der zweite Zwischenbericht, den die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Verantwortungsbereich des Bistums Trier am Mittwoch vorgelegt hat. Von 227 Beschuldigen und 579 Opfern ist darin die Rede. 2018 war die wegweisende umfassende Missbrauchsstudie (MHG-Studie) noch von 148 Beschuldigten und 442 Opfern ausgegangen, ein erster Zwischenbericht der Kommission nannte 195 Beschuldigte und 513 Opfer. Für Ende 2026 hat sie ihren Abschlussbericht angekündigt. Wie hoch die ermittelten Zahlen dann gestiegen sein werden, wird nicht nur die Betroffenen-Initiative MissBiT interessieren.

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