CeMAS Report zu Verschwörungsmythen:

Wie die Neue Rechte durch ihre Narrative mäandert

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Pro-russische Versammlung auf dem Opernplatz in Hannover mit rund 100 Teilnehmern unter dem Motto "Gegen Volksverhetzung, Mobbing und Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung – Gegen die Waffenlieferung in Kriegsgebiete"
Pro-russische Versammlung auf dem Opernplatz in Hannover

Was machen eigentlich die Abertausende von Menschen, die sich im "Widerstand" gegen die Corona-Maßnahmen radikalisiert haben? Dieser Frage geht ein aktueller CeMAS-Report auf den Grund, und stellt fest: Viele von ihnen wähnen sich nun in Opposition gegen die als illegitim empfundene Dämonisierung Russlands. Eine Spurensuche.

Die Frage, wer die Verantwortung für die Invasion der Ukraine trägt, scheint auf den ersten Blick leicht beantwortet: Wladimir Putin. Knapp ein Fünftel aller Deutschen hätte der CeMAS-Befragung zufolge jedoch Einwände gegen diese Feststellung vorzubringen. Die NATO habe sich übermäßig aggressiv ausgedehnt, die Ukraine sei von Nazis durchsetzt, die Narrative sind zahlreich und nicht selten widersprüchlich. Wie kommt es, dass diese völkerrechtswidrige Invasion von so vielen relativiert wird?

Die repräsentative Befragung zeigt eindeutige Korrelationen zwischen den Milieus, die während der Corona-Pandemie bereits durch Verschwörungserzählungen aufgefallen sind und jenem, das nun systematisch versucht, einen Angriffskrieg zu rechtfertigen. So stimmt mit 56 Prozent mehr als jede zweite ungeimpfte Person Verschwörungsmythen zum Ukraine-Krieg ganz oder teilweise zu. Interessanterweise stimmen auch genau 56 Prozent der Befragten, die bereits im Zuge der Corona-Pandemie eine hohe Demonstrationsbereitschaft gezeigt haben, solchen Erzählungen zu. Drei Viertel aller AfD-Sympathisant*innen sehen die Kriegsverantwortung bei der NATO oder der Ukraine selbst.

Von Medien und Mythen

Das Medium der Wahl für an Verschwörungsmythen Interessierte ist, wenig überraschend, Telegram. 27 Prozent derjenigen, die Telegram täglich oder mehrmals pro Woche nutzen, stimmen Verschwörungserzählungen um den Ukraine-Krieg zu. Solche Zusammenhänge fanden die Forschenden ebenfalls für die Plattformen TikTok, YouTube sowie das Facebook-Ökosystem. Einzig die Nutzung von Twitter scheint sich nicht auf die Zustimmungswerte zu Verschwörungsmythen auszuwirken.

In puncto Geschlecht zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede. In verschiedenen Alterskohorten jedoch weichen die Werte stark voneinander ab. Etwa 24 Prozent der Menschen zwischen 30 und 49 stimmen Verschwörungserzählungen zu. 18 bis 29-Jährige und 50 bis 59-Jährige stimmen zu etwa 18 Prozent zu. Die geringsten Zustimmungswerte (13,1 Prozent) zeigen sich bei den über 60-Jährigen.

Radikalisierung als selbsterfüllende Prophezeiung

All dies weist auf einen Konsolidierungseffekt hin. Wenn, wie die Befragung darlegt, mehr als zehn Prozent der Deutschen glauben, dass westliche Medien im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg lügen, dass Putin gegen eine globale Elite vorgeht, oder dass "der Westen" sich gegen den Kreml verschworen habe, muss mit Argusaugen beobachtet werden, wie sich diese Zustimmungswerte weiter entwickeln. Die kritische Masse in Höhe von zehn Prozent jedenfalls ist bereits geknackt, was einer Festigung verschwörungsmythischer Milieus zweifellos zum Vorteil gereichen wird.

Es ist daher zwar zu begrüßen, dass die Europäische Union Sanktionen gegen russische Staatssender wie Russia Today oder Sputnik verhängt, doch das Problem geht weit über einzelne, zweifellos propagandistische Medienanstalten hinaus. Die Grundstrukturen unserer Sozialen Netzwerke, ihre Targeting- und Content-Algorithmen, bevorzugen systematisch radikale und verschwörungsmythische Inhalte.

Solange wir das nicht ändern, solange wir als Geschäftsgeheimnis geschützten Algorithmen die Kontrolle über die Informationen, die unsere gemeinsame Realität bilden, überlassen, werden sich Menschen weiterhin im Rekordtempo radikalisieren. "[Die] repräsentative Umfrage hat gezeigt, dass Verschwörungserzählungen rund um den Angriffskrieg auch in der breiten Bevölkerung Zuspruch finden und sich russische Propaganda in Deutschland verfangen hat", so das ernüchternde Fazit der Forschenden.

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