FRAUENFELD/CH (hpd) Mit der Neuauflage des 70er-Jahre-Klassikers Kampfstern Galactica schaffte das Team um Ronald D. Moore und David Eick das Kunststück, anspruchsvolles Fernsehdrama mit Science-Fiction und einem gehörigen Schuss Religionsdiskussion zu verknüpfen – und dennoch nicht auf die New-Age-Schiene abzudriften.
2003 der Pilotfilm, dann bis 2009 vier Staffeln, Spin-off-Serien, Romane, Comics, Computerspiele und TV-Filme: Das Universum von Battlestar Galactica ist umfangreich und komplex, die Serie gilt nicht nur mit einem “Tomatometer-Score” von 93–100 Prozent als eine der besten der letzten Jahrzehnte. Es steckt so viel drin, dass man eine ganze Reihe von Artikeln dazu schreiben könnte. Ich konzentriere mich heute entsprechend auf einen einzigen Kernaspekt – Religion, oder die Glaubensfrage im weitesten Sinne des Wortes. Aber auch mit dieser Einschränkung ist es nahezu unmöglich, keine der großen, serienbestimmenden “Twists” zu erwähnen.
Entsprechend folgt eine dieser beliebten neudeutschen Spoiler-Warnungen: Wer sich das Erlebnis nicht ruinieren lassen möchte, sollte erst nach Konsum der Serie zu diesem Text zurückkehren. Wieder da? Noch da? Gut, dann können wir ans Eingemachte gehen.
So say we all – Glaube als zentrales Motiv?
Battlestar Galactica erscheint auf den ersten Blick sehr religiös, besonders für eine Science-Fiction-Show. Manche Kritiker warfen den Machern einen zu beschönigenden Blick auf die Irrationalität des Glaubens sowie peinliche Eso-Verherrlichung vor. Das greift jedoch viel zu kurz, denn der “Glaube” ist in der Serie nur ein strukturierendes Werkzeug, die organisierte Religiosität wird überdeutlich kritisiert und Spiritualität als Gesamtes in Frage gestellt.
Abseits von eindeutiger Namensgebung wie “Apollo” oder “Aaron” zeigt sich dieses erzähltechnische, strukturierende Mittel am deutlichsten, wenn man die präsentierten Glaubensgemeinschaften vergleicht: Manche verehren die “Herren von Kobol”, andere folgen dem “Einen”. Polytheismus gegen Monotheismus, Pantheon gegen Erlösermythos, fernöstliche Mystik gegen abrahamitische Kirche. Die Serie beschränkt sich jedoch nicht darauf, diesen Dualismus aufzuzeigen und gegeneinander auszuspielen, um irgendwie einen gesellschaftskritischen Bezug einzubinden oder etwaige Rosenquarzaufsteller zu befriedigen – Eick und Moore spielen mit den Weltanschauungen ihrer Protagonisten, stellen diese immer wieder in Frage (sowohl die Protagonisten als auch deren Glaubensgebäude), ironisieren so die gesamte Religionsdiskussion und machen aus “Spiritualität” ein Sinnbild für das makelhafte menschliche Wesen, dem die aus Rationalität geborenen, aber zum “Glauben” gefundenen Zylonen entgegen stehen. Ist der Mensch, was er glaubt zu sein? Wie wichtig ist der Glaube an etwas Größeres? Und was passiert, wenn man diesen Glauben hinterfragt?
Nehmen wir den Kult um “Den Einen”: Gaius Baltar ist Wissenschaftler, sexuell überaus aktiv, moralisch grenzwertig bis verdorben, opportunistisch und egozentrisch. Außerdem macht es lange Zeit den Anschein, dass er als halluzinierender Psychopath eine tickende Zeitbombe sein könnte. Und ausgerechnet dieser Gaius, dieser Mann jenseits jeglicher Ethik, abseits der Wissenschaft und des eigenen Egos, wird gegen seinen Willen (aber mit wenig Gegenwehr) zum religiösen Erlöser hochstilisiert. Er wird, passenderweise, zu einer Mischung aus Jesus und Charles Manson.
Baltars Entwicklung illustriert, wie sich Menschen in Extremsituationen an einfache Lösungen klammern und sich mit solchen Lösungen identifizieren. Und was dann mit den Menschen passiert, die als “Lösung” herhalten müssen. Ob es sich um Religion handelt oder um Politik oder (Pseudo-)Wissenschaft ist egal, einfach und griffig muss es sein, Logik und Ratio sind sekundär. Besonders schön: Der Opportunist Baltar wird selbst, nun ja, opportunistisch benutzt. Er bietet sich als “einfache Lösung” an, ist halt gerade verfügbar und hat wenige Skrupel jenseits seines nur zu menschlichen Selbsterhaltungstriebs. Er ist zu gleichen Teilen Messias (als “The One”) und Sündenbock (als Präsident unter der zylonischen Besatzungsmacht) als auch der klischierte “Experte” (mit seinem erlogenen Gentest in der ersten Staffel).
Baltar ist dabei mehr als eine bloße Projektionsfläche, er ist im wahrsten Sinne des Wortes Repräsentant der human condition und führt so das Konzept des “Glaubens” ad absurdum: Wenn er selbst nicht weiß, was er glauben soll, darf oder muss – wie können ihm Menschen dann trotzdem folgen? Weshalb machen sie das und was heißt das für ihn als Individuum? Er ist Wissenschaftler, Fakten sind sein Metier, das kleine Teufelchen auf seiner Schulter in Form der rotgewandeten “Nummer Sechs” irritiert und verängstigt ihn mehr, als er ihren Rat oder ihre Reize zu schätzen vermag.
Baltar weiß nicht, wie es um ihn steht, aber sieht sich mit dem geballten Glauben seiner “Jünger” konfrontiert. Also willigt er ein, immer und immer wieder: als Gentech-Spezialist, als Präsidentschaftskandidat, als Messias. Der Engländer James Callis liefert mit seinem Porträt eines Menschen im Überlebenskampf seine bisher beste schauspielerische Leistung. Als Zuschauer weiß man nicht, ob man ihn eklig, witzig, verlogen oder sympathisch finden soll. Denn er ist alles in einem: Er ist ein Mensch. Oder vielleicht mehr? Oder doch weniger als ein Mensch?
Battlestar Galactica mag oberflächlich die Reise der Menschheit in die verlorene Heimat zeigen und als Mittel zum Zweck Religionskonflikte thematisieren, mit Baltar jedoch wird klar: Eigentlich geht es um die Reise vom Menschen zur Menschlichkeit. Oder, anders ausgedrückt, um die Frage: Was macht den Menschen aus?
Von Menschen, Maschinen und Menschmaschinen.
Moore und Eick wollten nicht wie in den späten 70ern glitzernde Roboter in die Luft sprengen, um ihre Geschichte zu erzählen, denn sie hatten andere Pläne: Weil sich die Antagonisten weiterentwickelt haben, Fleisch und Blut wurden und sich selbst nicht bewusst sein müssen, dass sie “Maschinen” sind, wird das Menschsein zur Definitionsfrage. Wenn auch Battlestar Galactica die Reise der überlebenden wenigen Menschen zeigt, diskutiert die Serie eigentlich das Menschsein an und für sich. Die Macher haben einen überzeugenden Crossover aus Philip K. Dicks “Do Androids Dream of Electric Sheep?” und den üblicheren Science-Fiction-Topoi à la “Star Trek” geschaffen. Es gibt kein Schwarz und Weiß, keine “Guten” und “Bösen”. Es gibt nur Menschen und Maschinen, wobei hier statt der im Science-Fiction-Bereich so oft bemühten strukturalistischen Abgrenzung des “Anderen” ein Kontinuum, ein Spektrum präsentiert wird.
In dieser Hinsicht hat sich der Kniff mit den “fünf Letzten” als besonders effektiv erwiesen: Fünf Zylonen, fünf “Skinjobs”, nicht von Menschen zu unterscheiden, Schläfer-Agenten der von Menschen erschaffenen Maschinen, die nun die Menschheit auszurotten versuchen. Und was für Schläfer! Nehmen wir Colonel Tigh: Er ist sich drei Staffeln lang sicher, “Tigh” zu sein. Er erinnert sich an seine Jugend, an die Kämpfe an Adamas Seite gegen die Zylonen, er schlägt sich mit so menschlichen Problemen wie Alkoholismus und rasender Eifersucht herum. Wenn sogar eine solche Urgewalt des Menschelnden eine “Maschine” sein kann – wer dann nicht? Oder ist Tigh einfach nur Tigh?