Österreich

Die ersten Schüsse gegen den Faschismus

Sämtliche Organisationen des “Ständestaates” wurden unterwandert. In die Einheits“gewerkschaft” sickerten rasch Sozialdemokraten wie der damals jugendliche Karl Flanner ein. In den Sicherheitsapparaten saßen Nazis en masse und erhielten steten Zustrom von Austrofaschisten, die die Farbe wechselten. Vereinzelt gelang es auch Kommunisten und Sozialdemokraten, sich in die Polizei einzuschleichen.

Anders als die Sozialdemokratie entschloss sich das ständestaatliche Regime kampflos abzutreten. Auf dass kein deutsches Blut vergossen werde, verkündeten jene, die von Konservativen bis heute als wahre Patrioten verehrt werden.

Historiker sind heute weitgehend einig, dass es die Vertreter dieses Regimes waren, die dem Nationalsozialismus in Österreich den Boden bereiteten. Mit der gewaltsamen Zerschlagung der Demokratie beraubten sich die Austrofaschisten jeder Basis für eine Abwehr des zweifelsohne noch verbrecherischen Hitler-Faschismus.

Politische Klasse bis heute gespalten

Bis heute spaltet der Februar ’34 die politische Klasse des Landes. Darüber darf nicht hinwegtäuschen, dass gestern zum ersten Mal seit 50 Jahren SPÖ und ÖVP eine gemeinsame Gedenkfeier abhielten. Die scheint eher dem Versuch geschuldet, in der aktuellen Situation großkoalitionäre Einigkeit zu zeigen als dem Versuch der ÖVP, die Geschichte aufzuarbeiten.

Diskussion um Dollfuß-Portrait, Burjan unbestritten

Bis heute hängt im ÖVP-Klub im Nationalrat (so heißen die Fraktionsräumlichkeiten in Österreich, Anm.) ein Portrait von Engelbert Dollfuß. Links neben dem Kreuz. Ebenfalls zu sehen ein Portrait von Hildegard Burjan, einer christlichsozialen Abgeordneten, die nach dem Februar 1934 den Ständestaat nach Kräften unterstützte. So sammelte sie für ein Denkmal für Engelbert Dollfuß und den ideologischen Wegbereiter des Austrofaschismus, den ehemaligen Bundeskanzler und Prälaten Ignaz Seipel. Burjan gilt – im Gegensatz zu Dollfuß – bis heute als unumstrittene Säulenheilige der ÖVP.

Seipel-Dollfuß-Kirche

Forderungen, wenigstens das Dollfuß-Portrait abzuhängen, erteilte ÖVP-Bundesobmann und Vizekanzler Michael Spindelegger gestern eine deutliche Absage. Er könne sich – allenfalls – erklärende Zusatztafeln vorstellen. Die Geschichte könne man nicht ändern.

“Dr. Engelbert Dollfuß-Museum”

In Texing in Niederösterreich, dem Geburtsort von Dollfuß, wurde mit finanzieller Unterstützung des Landes ein “Dr. Engelbert Dollfuß Museum” errichtet. Auf Betreiben der dort allmächtigen ÖVP. Kritische Aufarbeitung wird man dort vergeblich versuchen.

Gleichzeitig müht man sich eifrig und wortreich, den christlichsozialen Dollfuß zum Nicht-Volksparteiler zu erklären. Die ÖVP sei nicht identisch mit der Christlichsozialen Partei – und stünde doch irgendwie in historischer Kontinuität zu ihr, argumentiert die Volkspartei. Unter Verweis auf die zahlreichen personellen Kontinuitäten. So waren die Nachkriegsbundeskanzler Leopold Figl und Julius Raab überzeugte Heimwehrler. Eine solche Zwischenposition macht eine glaubwürdige Distanzierung schwierig.

Geschichtsklitterung a la ÖVP

Was bis heute führende Christdemokraten mit reichlich Geschichtsklitterung zu vertuschen suchen. Der Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf versteigt sich auf seinem Blog etwa zu der Behauptung: “Viele prominente Sozialdemokraten suchten damals ihr Heil in der ‘Diktatur des Proletariats’, was ebenfalls die Abkehr von der parlamentarischen Demokratie bedeutet hätte, oder forcierten vehement den Anschluss an Hitler-Deutschland. Diese Politiker stehen in der SPÖ nach wie vor hoch im Kurs.”

Das ist die These der “geteilten Schuld”, mit der die ÖVP seit 1945 hausieren geht. Aufgebaut auf falschen Behauptungen. So war der Aufstand von 1934 gemäß dem so genannten Linzer Programm explizit defensiv ausgelegt. Er sollte die Republik schützen und wieder errichten. Die Diktatur des Proletariats stand – wenn überhaupt – als Fernziel am Programm.

Die zitierte Forderung nach dem Anschluss an Deutschland hatte die Sozialdemokratie schon unmittelbar nach der Machtergreifung Adolf Hitlers ersatzlos gestrichen. Einzelne Sozialdemokraten wie Karl Renner liebäugelten trotz alledem mit dem “Anschluss” - mit der etwas naiven Hoffnung, der Nationalsozialismus werde bald verschwinden. Das waren aber ausgesprochene Einzelmeinungen. Davon, dass “viele Sozialdemokraten” den “Anschluss” “vehement forciert hätten”, kann keine Rede sein.

Kopf geht KPÖ-Propaganda auf den Leim

Gleichsam als Chiffre für dieses Geschichtsverständnis zitiert Kopf ausgerechnet den kommunistischen Politiker Ernst Fischer: “Die Demokraten waren zu wenig österreichische Patrioten, die österreichischen Patrioten waren zu wenig Demokraten”. Womit ausgerechnet ein ÖVPler der kommunistischen Propaganda von 1945 aufsitzt.

Der Ausspruch Fischers tarnt sich als historische Analyse. In Wahrheit ist er der Versuch, die KPÖ in möglichst gutem Licht dastehen zu lassen, gleichsam als Synthese zwischen Demokraten und Patrioten. Immerhin kann die KPÖ darauf verweisen, als erste Partei Österreich als Nation anerkannt zu haben. Und nach 1945 hoffte sie unter Verweis auf ihre unbestrittenen Opfer im Kampf um ein freies Österreich auch als demokratische Partei wahrgenommen zu werden. Was ein einigermaßen gewagtes Manöver war. Galt doch die KPÖ jahrzehntelang als eine der moskautreuesten diesseits des Eisernen Vorhangs.

Von der These der “geteilten Schuld” haben sich mittlerweile auch konservative Historiker wie Stefan Karner verabschiedet. Immerhin nennt Kopf das Dollfuß-Regime heute eine autoritäre Regierungsdiktatur. Vor 20 Jahren wären solche Aussagen aus dem Munde eines der höchsten Repräsentanten der ÖVP vermutlich noch politischer Selbstmord mit Anlauf gewesen.

Vielleicht wachsen die Gräben, die der Februar 34 gerissen hat, doch langsam zu.

 


Weiterführende Informationen findet man neben dem DÖW auf folgenden Seiten:
Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung.
Bund sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen
12. Februar 1934 - Infoseite der SPÖ Oberösterreich

Alle historischen Fotos wurden bereitgestellt vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Die Farbfotos sind vom Autoren des Artikels.