Sie ist keine Fundamentalistin

Christopher Hitchens erklärt, warum Ayaan Hirsi Ali keine Fundamentalistin ist

Was die Leute an Ayaan Hirsi Ali falsch verstehen

W. H. Auden, dessen Hundertjähriger auf Ende letzten Monat gefallen wäre, hatte eine außergewöhnliche Begabung, Verstörung herauf zu beschwören -- aber in einer solchen Art und Weise, dass er gleichzeitig Widerstand gegen den Fatalismus anregt. Sein beliebtestes Gedicht ist wahrscheinlich "September 1, 1939", in welchem er Europa in einen Abgrund der Dunkelheit stürzen sieht. Als er darüber nachdachte, wie diese Katastrophe für die Zivilisation entstanden war, schrieb er:

Der verbannte Thucydides wußte alles,

was eine Rede sagen kann

über die Demokratie,

und darüber, was Diktatoren tun,

den alten Müll den sie reden,

zu einem apathischen Grab;

Er analysierte alles in seinem Buch,

Die vertriebene Aufklärung,

der zur Gewohnheit werdende Schmerz,

Misswirtschaft und Kummer:

Wir müssen sie alle erneut erleiden.

"Die vertriebene Aufklärung ..." Jene sehr starke und bittere Zeile kam mir wieder in den Sinn, als ich die feindschaftlichen, hinterhältigen Rezensionen las, welche dem Erfolg von Ayaan Hirsi Alis Bestseller Mein Leben, meine Freiheit folgten, der die Flucht einer jungen Somalierin vor sexueller Zweckhaltung zu einem neuen Leben in Holland beschreibt und dann (nach der Ermordung ihres Freundes Theo van Gogh) zu einem frischen Exil in den Vereinigten Staaten. Zwei unserer führenden intellektuellen Kommentatoren, Timothy Garton Ash (in der New York Review of Books) und Ian Buruma, beschrieben Hirsi Ali, wie jene, die sie verteidigen, als "Aufklärungs-Fumdamentalistin[/en]". Im der Buchrezension der New York Times vom Sonntag entlieh Buruma der Sprache der Tyrannei und Intoleranz einen weiteren Ausdruck und beschrieb ihre Sicht als eine "absolutistische".

Nun, ich kenne sowohl Garton Ash als auch Buruma und ich erinnere mich noch an den Spaß, den sie in den Tagen des Kalten Krieges mit Leuten hatten, die eine störende "moralische Gleichwertigkeit" zwischen der sowietischen und der amerikanischen Seite ausmachten. Ein großer Teil dieser Kritik beinhaltete die Beachtung der Sprache. Buruma war sehr bissig über diese deutschen Linken, die den "Konsumterror" der Bundesrepublik ansprachen. Sie können hier Ihr eigenes bevorzugtes Beispiel einfügen; die ungeheuerlichsten waren (und, wenn ich darüber nachdenke, sind) jene, die das US-Gefängnissystem untersuchen und es mit dem Gulag vergleichen würden.

In ihrem Buch sagt Ayaan Hirsi Ali das Folgende: "Ich verließ die Welt des Glaubens, der Genitalverstümmelung und Zwangsheirat, für die Welt der Vernunft und der sexuellen Emanzipation. Nachdem ich diese Reise begangen hatte, wusste ich, dass eine jener beiden Welt schlicht und ergreifend besser ist als die andere. Nicht wegen ihrer kitschigen Spielzeuge, sondern wegen ihren grundlegenden Werten." Dies ist ein ziemlich repräsentatives Zitat. Sie kritisiert den Westen, aber sie zieht ihn einer Gesellschaft vor, in der Frauen untergeordnet sind, Zensur alles durchdringt und Gewalt offiziell gegen Ungläubige gepredigt wird. Als ein afrikanisches Opfer und Flüchtige dieses Systems hat sie das Recht erworben, dies zu äußern. Was ist daran "fundamentalistisch"?

Die Newsweek-Ausgabe vom 26. Februar macht dort weiter, wo Garton Ash und Buruma aufhören und sagt, in einem Artikel von Lorraine Ali: "Es ist ironisch, dass diese Möchtegern-'Ungläubige' oft so unbeirrbar und reaktionär klingt wie die Fanatiker, gegen die sie so hart ankämpft." Ich möchte die Autorin dazu herausfordern, ihre Definition von Ironie offen zu legen und auch nur eine Stellungnahme von Hirsi Ali anzugeben, die einem Beleg für diese Unterstellung nahe kommt. Der Artikel wird begleitet von einem typisch trivialen Newsweek Q&A* Seitenbalken, der fast schon unglaublich übertitelt ist: "Das Leben einer Bombenwerferin." Thema dieser absurden Überschrift ist eine Frau, die mit schrecklicher Gewalt bedroht wurde, von Muslimen zwischen moderat und extremistisch, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie musste vor kurzem dabei zusehen, wie ein holländischer Freund auf der Straße abgeschlachtet wurde und ihr wurde gesagt, sie sei die Nächste. Nun muss sie mit Leibwächtern in Washington, D.C. leben. Sie hat niemals Gewalt angewandt oder befürwortet. Wen meint Newsweek also mit der "Bombenwerferin"? Es ist immer das Selbe mit diesen unsinnigen Gleichsetzungen: Sie fangen erhaben damit an, keinen Unterschied zwischen Angreifer und Opfer auszumachen und sie hören mit der Feststellung auf, dass es eigentlich das Opfer der Gewalt ist, welche sie "wirklich" provoziert.

Garton Ash und Buruma hätten vor nicht allzu langer Zeit kurzen Prozess gemacht mit jedem Apologeten, der die Kritiker der U.S.S.R. oder der Volksrepublik China bezichtigt hätte, den "Kalten Krieg aufzuheizen", wenn es darum geht, auf die Menschenrechte hinzuweisen. Warum also machen sie im Falle des Islam eine Ausnahme, der gleichsam die Ideologie aufrührerischer Gewalt ist, sowie die gewisser unbiegsamer Diktaturen? Liegt es daran, dass der Islam ein "Glaubenssystem" ist? Oder liegt es daran, dass es der Glauben -- zumindest in Europa -- einiger ethnischer Minderheiten ist? In keinem der Fälle wäre ein besonderer Schutz vor Kritik gerechtfertigt. Der Glaube stellt große Ansprüche, darunter einen großen Anspruch auf die zeitweise Autorität über die Bürger und kann deshalb nicht von einer genauen Prüfung ausgeschlossen werden. Und innerhalb dieser "Minderheiten" gibt es andere Minderheiten, die der Kontrolle ihrer Ghetto-Leiter entkommen möchten. (Dies war auch die Position holländischer Juden zur Zeit von Spinoza). Das ist eine sehr komplexe Frage, die eine ganze Menge Einfallsreichtum bei ihrer Behandlung erfordern wird. Die erbärmliche und viel zu starke Vereinfachung, die Skeptizismus, Agnostizismus und Atheismus als gleichermaßen "fundamentalistisch" beschreibt, ist hier nicht hilfreich. Und beachten Sie, was passiert, wenn Newsweek diesem Ruf folgt: Der Gegner des Fundamentalismus wird als jemand definiert, der am Rand steht, bevor Sie die Zeit hatten, den Taschenspielertrick zu bemerken, wurde aus dem beleidigten, selbst-bemitleidenden Muslim der unbestrittene Pächter der Mitte.

Lassen Sie mich Ihnen ein weiteres Beispiel sprachlicher Unvorsichtigkeit nennen. In ACLU**-Kreisen nennen wir uns oft "Absolutisten des ersten Verfassungszusatzes." Damit meinen wir, ironisch genug, dass wir es vorziehen, die Worte der Gründerväter, wenn Sie so wollen, wörtlich zu nehmen. Die wörtliche Bedeutung erscheint (für uns) in diesem Fall zu sein, dass der Kongress keine Rede verbieten oder Staatsreligion gründen darf. Dies bedeutet, dass wir jede Meinungsäußerung verteidigen, einschließlich derer, die sich gegen uns richtet, und dass wir sagen, dass niemand dazu gezwungen werden darf, einen Glauben auszuüben oder einem Glauben abzuschwören. Ich nehme an, ich würde sagen, dass dies ein starres Prinzip, oder sogar ein Dogma, für mich ist. Wer jedoch wagt zu behaupten, dies sei dasselbe wie der Glaube, dass Religionskritik zensiert werden sollte, oder wie der Glaube, dass Religion aufgezwungen werden sollte? Mit dieser Gleichsetzung zu liebäugeln bedeutet, den Volksverhetzern nachzugeben und, begleitet von ihrem Triumphschreien, den elenden Seufzer vom Verrat der Intellektuellen zu hören und die "vertriebene Aufklärung". Vielleicht jedoch, wenn ich sagen würde, dass meine Prinzipien eine Angelegenheit unveränderlicher göttlicher Offenbarung sind und dass ich darauf vorbereitet bin, willkürliche Gewalt anzuwenden, um mir "Respekt" für sie zu beschaffen, vielleicht könnte ich dann ein wohlwollenderes Zuhören von einigen unserer Intellektuellen erwarten.

*Questions and Answers: Fragen und Antworten, ein Umfragebereich

** American Civil Liberties Union, Amerikanische Bürgerrechtsorganisation

 

 

Übersetzer: Andreas Müller
Original: "She's No Fundamentalist. What people get wrong about Ayaan Hirsi Ali" auf Slate, 5. März, 2007

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