Minderheitenquartett auf Schwedisch
Aber der Turing-Test ist nur ein Aspekt der Serie. “Real Humans – echte Menschen” ist keine TV-Version von “Blade Runner”. Denn die Frage der Toleranz oder Akzeptanz Minderheiten gegenüber wiegt hier stärker. Schon während der ersten Staffel ist für die interessierte Zuschauerschaft die Sache der elektrischen Schafe geklärt. Es folgt das Minderheitenquartett und damit die Frage: Ist ein Zuviel an Toleranz gesellschaftlich möglich, oder fehlt es zu oft an echter Akzeptanz? Die Hubots spiegeln hier verschiedene gesellschaftliche Minderheiten wider.
Nehmen wir ein Beispiel von weiter oben: Adoption. Nicht nur in Frankreich sind Diskussionen betreffend des Adoptionsrechts für Homosexuelle wieder aufgeflammt. Erst letzte Woche meinte ein Schweizer Parlamentarier, dass bei Homosexuellen ein “Hirnlappen verkehrt laufe” und “Abnormale nicht Normales schreiben können”. Es ist kein Zufall, dass solche Vorurteile auch in der Serie ihren Platz haben, in der zweiten Staffel gar ein Kernthema darstellen.
Der Kampf der “befreiten” Hubots für Selbstbestimmung erinnert frappant an die Sklaverei vor dem amerikanischen Bürgerkrieg oder die frühere Situation in Südafrika – aber auch an heutige Diskussionen darüber, ob langjährig ansässige Ausländer ein Stimmrecht erhalten sollen und wie mit zugezogenen “Wirtschaftsflüchtlingen” und “Wanderarbeitern” umzugehen sei.
Neben dem Turing-Test diskutiert “Real Humans” also vor allem den gesellschaftlichen Umgang mit Minderheiten, in voller Breite. Und zeigt, dass es austauschbar ist, ob Menschen homophob, sexistisch, rassistisch oder xenophob sind. Die Mechanismen sind immer dieselben: Unverständnis, Bestandswahrung, Angst, Gewaltbereitschaft im politischen wie auch physischen Sinn. In der Hinsicht ist die Serie, die bereits 2012 von Lars Lundström erschaffen wurde, nicht erst mit den Wahlgewinnen der französischen “Front National” erschreckend aktuell sondern hält auch der Weltgeschichte den Spiegel vor. Und das, ohne moralistisch zu sein. Die Hubots sind keine Engel, nur weil sie Hubots sind. Sie sind so vielfältig wie die “echten Menschen” der Serie: gewalttätig, tolerant, hilfsbereit, geistig minderbemittelt, liebend, rassistisch. Lundström sagt nie, was jetzt die “richtige Meinung” zu sein hat. Er zeigt alle Facetten ungeschönt und ohne Wertung. Und schafft so das Kunststück, dass sich die Zuschauer mit beiden Fragekomplexen auseinandersetzen müssen: Was ist menschlich? Und wo liegen die Linien und Schnittpunkte zwischen Ablehnung, Toleranz und Akzeptanz?
“Äkta människor” liefert dem Fernsehpublikum keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Die Serie stellt Konflikte möglichen Reaktionen entgegen, spielt aber gekonnt mit der Erwartungshaltung der Zuschauer und ihrem eigenen moralischen Kompass. Sie zeigt durch Verfremdung Strukturen auf, wie sie in unseren eigenen Köpfen und in unserer eigenen Gesellschaft existieren. Es bleibt zu hoffen, dass eine dritte Staffel nicht an zu vielen solcher Strukturspiele erstickt – denn dann besteht die Gefahr, dass es beim Publikum trotz des geballten Könnens der Serienmacher doch noch als moralisierend ankommt.
So oder so gehören die ersten beiden Staffeln mit zum Intelligentesten und Relevantesten, was die letzten Jahre aus der europäischen Fernsehlandschaft kam. Ganz dicke Empfehlung von mir.
Trailer Staffel 1:
Real Humans – Echte Menschen (Äkta människor, Schweden, 2012–2014), Idee: Lars Lundström, Darsteller u.a.: Pia Halvorsen, Johan Paulsen, Kåre Hedebrant, Alexander Stocks, Andreas Wilson, Lisette Pagler, Marie Robertson, Leif Andrée.