Notizen aus Russland

Schmankerl: Verletzende Jalousien-Werbung.

Etwa 400 Einwohner der nordrussischen Stadt Archangelsk, darunter Geistliche, Geschäftsleute,

Journalisten, Ärzte, Lehrer und Rentner, fordern von der Staatsanwaltschaft, eine Firma zur Verantwortung zu ziehen, die lasterhafte Werbung in der Stadt verbreite. In ihrer Erklärung verkünden die orthodoxen Bürger, dass das für Jalousien werbende Plakat (siehe Abbbildung) religiöse Gefühle verletze, der Verfassung widerspreche, die das Entfachen religiöser Feindseligkeit verbiete, und im Widerspruch zum Werbegesetz stehe, nach dem die Verwendung religiöser Symbole zu Werbezwecken nicht zulässig sei. Darüber hinaus entstelle das Werbeplakat das Bild der christlichen Frau auf gröbste Weise.
[Beleidigung religiöser Gefühle? Schade, dass man nirgendwo Werbeagenturen wegen Verletzung ästhetischer Empfindungen verklagen kann, d. Übers.] Originalartikel (Russisch)

Umgang mit Toten und Geschichte

Estland hat mit der Umsetzung des Denkmals zu Ehren der im 2. Weltkrieg gefallenen Sowjetsoldaten vom Stadtzentrum Tallinns zum Soldatenfriedhof, hpd berichtete, eine Kettenreaktion ausgelöst. In beiden unmittelbar betroffenen Staaten - Russland und Estland - kochten die Emotionen im Vorfeld des russischen „Tages des Sieges", der jährlich am 9. Mai begangen wird, besonders hoch. Einen Überblick der Meldungen zu diesem Konflikt gibt RIA Novosti. (Deutsch)

Als Reaktion auf die Auseinandersetzungen um den Tallinner Bronzesoldaten will Russland eine Stiftung gründen, die den Erhalt sowjetischer Kriegsdenkmäler im Ausland zur Aufgabe haben wird. In sieben Ländern sollen 14 Niederlassungen entstehen, darunter in Ungarn, Polen, Deutschland und den baltischen Staaten. Originalartikel (Deutsch)

Die Verlegung des Tallinner Kriegsdenkmals hat international ein unterschiedliches Echo ausgelöst:

In Polen beeilte sich Premierminister Jaroslaw Kaczynski mitzuteilen, das man ein Gesetz über den Abbau oder die Verlegung von sozialistischen Denkmälern nicht verschieben werde. Das so genannte Gesetz über „Ent-Kommunisierung" bezieht sich auf Denkmäler aus der Zeit des Sozialismus und Straßen, die nach sowjetischen oder polnischen sozialistischen Politikern oder Militärs benannt sind. Der außenpolitische Sprecher der russischen Duma, Konstantin Kossatschow erklärte in Moskau, er hoffe, dass das polnische Parlament das Gesetz ablehnen werde und die Denkmalsfrage „zivilisiert und in Abstimmung mit den betroffenen Staaten" gelöst werde. Originalartikel (Deutsch)

Über eine respektvollere Vorgehensweise hat man sich andernorts geeinigt. Die Verlegung von Denkmälern und Gedenkstätten zu Ehren gefallener Sowjetsoldaten will China beispielsweise nur in Ausnahmefällen und wenn, dann nach Absprache mit Russland vornehmen. Eine entsprechende Vereinbarung zum Erhalt der betreffenden Gedenkstätten unterzeichneten beide Staaten am 28. April in Peking. Auf chinesischem Boden erinnern 50 Denkmäler in 45 Städten an die 14.500 Sowjetsoldaten, die vor allem in Kämpfen während des 2. Weltkrieges gegen Japan, den Verbündeten Hitlerdeutschlands, ihr Leben ließen. Originalartikel (Russisch)

Unter Bezug auf die Ereignisse in Estland erklärte Bulgariens Premierminister Sergej Stanischev, sein Land beabsichtige nicht, sowjetische Kriegsmonumente zu demontieren. Man pflege eine lange Tradition der Errichtung und Erhaltung von Denkmälern, die sowohl an den Russisch-türkischen Krieg als auch an den 2. Weltkrieg erinnern. Aus Anlass des bevorstehenden 130. Jahrestages der Befreiung Bulgariens vom Osmanischen Reich im Ergebnis des Russisch-türkischen Krieges von 1877-78 werden sogar neue Gedenkstätten entstehen. Originalartikel (Englisch)

Hackerangriffe auf Webseiten kritischer Medien

Anfang Mai waren die Webseiten des Moskauer Radiosenders „Echo Moskaus" und der Zeitung „Kommersant" wegen Hacker-Angriffen gar nicht oder nur bedingt einsehbar. Beide Medien gehören mehr oder weniger direkt zum Gazprom-Medienimperium, berichten aber sehr offen und kritisch über das Geschehen in und um Russland.

Die Attacken erfolgten zeitgleich mit dem eskalierenden Konflikt zwischen Russland und Estland um die Demontage des Sowjetdenkmals in Tallinn. Der Nachrichtendienst auf der Website von „Echo Moskaus" hatte kritisch über die Aktionen russischstämmiger Esten und von Jugendorganisationen der Regierungspartei „Einiges Russland" berichtet.

Während die Inhalte der reichweitenstarken russischen Print- und TV-Medien meist sehr regierungsfreundlich sind, berichten Online-Ressourcen differenzierter. Ihre Reichweite in der russischen Bevölkerung ist jedoch gering. Dass die kritischen Online-Medien während eines für Russland brenzligen Konflikts attackiert wurden, könnte damit zusammenhängen, dass sie stark von ausländischen Medien zitiert werden.

Der Geschäftsführer von „Echo Moskaus" Juri Fedutinow will wegen der andauernden Hacker-Angriffe auf die Website des Radiosenders die russischen Strafverfolgungsbehörden einschalten. Originalartikel (Deutsch) und (Deutsch)

Schwullesbische Paraden verboten

Nachdem die Organisatoren des Moskauer „Gay Pride" keine offizielle Antwort von der Stadtverwaltung auf ihren Antrag zur Durchführung einer Demonstration am 27. Mai erhalten haben, stellten sie einen weiteren Antrag - dieses Mal an die Verwaltung des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Auf einer Pressekonferenz am 15. Mai erklärte der zuständige Verwaltungsleiter der Moskauer Stadtverwaltung Nikolai Kulikow, dass die Stadt durchaus eine Absage erteilt habe. Die Begründung laute, dass die geplante Demonstration die Rechte und Interessen anderer Bürger beeinträchtige, was wiederum den gültigen Gesetzen zuwiderlaufe. Als einer der Hauptorganisatoren des Moskauer „Gay Pride" Nikolai Alexejew daraufhin erklärte, dass man in jedem Fall demonstrieren werde, erhoben sich unerwartet zwei Vertreter radikaler Organisationen und schrien auf der Pressekonferenz: „Dann wird schwules Blut fließen".
Auch in Sankt Petersburg erhielten die Organisatoren der dort für den 26. Mai geplanten schwullesbischen Parade eine Absage vom Komitee für Justiz, Ordnung und Sicherheit der Stadtverwaltung. Man lasse jedoch derzeit die Rechtmäßigkeit des abschlägigen Bescheides überprüfen, erklärte am 16. Mai Alexandra Poljanskaja, Pressesprecherin des Organisationskomitees des Petersburger „Gay Pride". Originalartikel (Russisch) und (Deutsch), (Deutsch)

Friede, Freude, Orthodoxie

Patriarch Alexi II. von Moskau und ganz Russland rechnet damit, dass sich die Position der Orthodoxie in Europa durch den Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union festigen werde. „Ich hoffe, dass die Stimme der Orthodoxie mit dem EU-Beitritt Bulgariens lauter wird", sagte der Patriarch am 8. Mai bei einem Treffen mit dem bulgarischen Premier Sergej Stanischev, der zu einem Arbeitsbesuch in Moskau weilte. 87 % der Bevölkerung Bulgariens, das am 1. Januar 2007 der EU beitrat, bekennen sich zur orthodoxen Kirche.

Alexi II. verwies darauf, dass auch die EU-Mitglieder Griechenland und Rumänien orthodoxe Länder seien. Dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche zufolge sei es im Zuge der Globalisierung, zu der er die europäische Integration zähle, „wichtig, seine Eigenart zu bewahren, nicht aufzugehen und sich selbst nicht auf der kulturellen Weltkarte zu verlieren". Dazu würden Kontakte zwischen gleichgläubigen Völkern beitragen, äußerte er weiter. Originalartikel (Deutsch)

Wiedervereinigungs-Synode mit russisch-orthodoxer Auslandskirche

Alexi II. hat am 16. Mai in Moskau die Sitzung der Heiligen Synode eröffnet, bei der der Akt über die kanonische Gemeinschaft der russisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (ROK) mit der russisch-orthodoxen Auslandskirche (ROAK) am Himmelfahrtstag, den 17. Mai unterzeichnet werden soll.

Die russisch-orthodoxe Kirche habe einen fast 90-jährigen Weg zu diesem Ereignis zurückgelegt, sagte Alexi II. in seinem Grußwort an die versammelten Erzbischöfe: „Ich glaube, wir stehen heute vor einem historischen Ereignis, bei dem die tragischen Folgen des Bürgerkriegs, die unser Volk und unsere Kirche spalteten, beseitigt werden", betonte der Patriarch.

Etwa 20-25 % der Mitglieder der russisch-orthodoxen Auslandskirche sind gegen die Vereinigung mit der ROK. Stein des Anstoßes für die Auslands-Orthodoxen, und aus ihrer Sicht Häresie, ist der Umstand, dass die Kirche des Moskauer Patriarchats in die globale Ökumene involviert ist, die die Vereinigung aller christlichen Kirchen vorantreibt. Mehr in den Originalartikeln (Deutsch) und (Russisch).

Tibor Vogelsang