Am 31. Mai ist Sozialwahl. Die Briefwahlunterlagen haben in den vergangenen Wochen alle Wahlberechtigten erreicht. Doch: Was ist das überhaupt für eine Wahl? Und inwieweit gilt es auch hier aufmerksam zu sein, dass die Kirchen nicht noch mehr Einfluss auf die Sozialversicherung und damit auf das Gesundheitssystem und die Rentenversicherung gewinnen?
Seit 70 Jahren gibt es die Sozialwahl. Denn im Jahr 1953 fand die erste Sozialwahl nach dem zweiten Weltkrieg statt. Bei der Sozialwahl geht es um die Selbstverwaltung der Krankenversicherung und der Rentenversicherung. Wahlberechtigt sind die Versicherten sowie die Rentnerinnen und Rentner. Gewählt werden demnach die Vertreterinnen und Vertreter der Versicherten, der Arbeitgeber sowie der Rentnerinnen und Rentner. Sie werden bei der Sozialwahl in freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Die Sozialwahl findet alle 6 Jahre statt. Die letzte Sozialwahl war im Jahr 2017.
Jetzt ist wieder Sozialwahl. Die Sozialwahl 2023 findet am 31. Mai statt. Wie bisher wird per Briefwahl gewählt, und erstmalig bei dieser Sozialwahl besteht zusätzlich die Möglichkeit, online zu wählen. Wahrscheinlich habt ihr die Briefwahlunterlagen sowohl von eurer Krankenkasse als auch von der Rentenversicherung auch schon per Post erhalten.
Es gibt diesmal auch ein breites und ausführliches Informationsangebot zur Sozialwahl. Sowohl die Krankenkassen als auch die Deutsche Rentenversicherung haben ausführliche Sonderhefte verschickt, in denen die Sozialwahl genau erklärt wird. In einem zusätzlichen Heft zur Sozialwahl werden auch die Listen vorgestellt, welche zur Sozialwahl kandidieren. Zusätzlich gibt es als Online-Angebot einen gekonnten Internetauftritt zur Sozialwahl.
Bei der Sozialwahl stehen auch keine Parteien zur Wahl, sondern Listen. Diese bestehen aus Kandidatinnen und Kandidaten, die ihrerseits Versicherte oder Rentner/Rentnerinnen sind. Doch wer sind diese Listen im Einzelnen? Es gibt unabhängige Listen, es gibt Listen der Krankenkassen, es gibt Listen von Gewerkschaften, und es gibt Listen der Kirchen. Letzteres lässt aufmerken, denn hier versuchen die Kirchen, konkrete Macht und konkreten Einfluss auf die Sozialversicherung und damit auf das Gesundheitssystem und auf die Rentenversicherung zu nehmen und zu gewinnen.
Konkret geht es dabei um die Katholische Arbeitnehmerbewegung Deutschland e.V. (KAB), um das Kolpingwerk Deutschland und um den Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen e. V. (BVEA). Dabei hat sich die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmer-Organisationen (ACA) als eine Vernetzung der drei christlichen Verbände zu einer gemeinsamen Liste zusammengeschlossen. Diese Liste (ACA) kandidiert sowohl bei der Krankenversicherung als auch bei der Rentenversicherung. Zusätzlich kandidiert bei der Deutschen Rentenversicherung außerdem der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB) mit einer eigenen Liste, welche zusätzlich zu der ACA-Liste kandidiert.
Hier lohnt sich ein genauer Blick darauf, um welche Organisationen es sich im Einzelnen handelt. Der CGB wurde 1959 gegründet und die KAB wurde 1971 gegründet. Die Evangelischen Arbeitervereine wurden einst als Bollwerk gegen die Sozialdemokratie und den Katholizismus gegründet. Das Kolpingwerk ist sozial und missionarisch tätig und übt einen bedeutenden Einfluss der katholischen Kirche in der Politik oder auf die Politik aus. Zum Beispiel gehören laut Wikipedia wohl 38 MdBs dem Kolpingwerk an.
Bei der Sozialwahl 2017 kandidierte laut Wikipedia ebenfalls die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmer-Organisationen (ACA) als Zusammenschluss der KAB, des Kolpingwerkes und der BVEA mit einer gemeinsamen Liste und zusätzlich der CGB mit einer eigenen Liste. Dabei ist nach der Sozialwahl 2017 die ACA-Liste eine Listenverbindung mit der Liste der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der Liste der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) eingegangen.
Sowohl die Liste von ver.di als auch die Liste der IG Metall waren also bei der Sozialwahl 2017 dazu bereit, mit der ACA-Liste eine Listenvereinigung einzugehen und somit mit der ACA-Liste zu paktieren. Mit anderen Worten: Wer 2017 entweder ver.di oder die IG Metall wählte, der bekam die ACA, also die Kirchenliste. Das sollte man wissen: Die Kirchenliste abzuwählen alleine reichte nicht, sondern man hätte zusätzlich auch die Listen von ver.di und IG Metall meiden müssen, wenn man die Kirchenliste insgesamt hätte abwählen wollen.
Bei der Sozialwahl 2023 kandidieren diesmal wieder die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Arbeitnehmer-Organisationen (ACA) und der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB) jeweils mit einer eigenen Liste, und die Liste von ver.di und die Liste der IG Metall kandidieren ebenfalls.
Nun komme ich zu einer Einschätzung aus säkularer Sicht. In unserem Selbstverständnis, das wir uns als Säkulare Grüne gegeben hatten, wollten wir uns gegen eine Verquickung von Staat und Kirche wenden. Das könnte man übertragen auf die Sozialversicherung ebenfalls so sehen, wie ich meine. Hier bei der Sozialwahl versuchen die Kirchen, einen konkreten Einfluss und konkrete Macht auf die Sozialversicherung zu erlangen und zu nehmen, und kandidieren mit einer eigenen Kirchenliste. Damit müssen wir uns als Säkulare und als Konfessionslose nicht unbedingt identifizieren und werden unsere Belange als Konfessionslose vielleicht besser bei einer der anderen Listen vertreten sehen wollen, sofern diese nicht ebenfalls mit der Kirchenliste paktieren wollen oder paktiert haben.
Denn wir wollen ein Gesundheitssystem erreichen, bei dem die Belange der Konfessionslosen in ihrer Rolle als Versicherte und Patientinnen und Patientinnen stärker berücksichtigt werden, und bei der Rentenversicherung ebenfalls. Wir wollen eine Liste unseres Vertrauens wählen können, bei der wir uns mit unseren Belangen am besten vertreten fühlen können. Leider ist es uns nicht möglich, mit einer eigenen Liste bei der Sozialwahl 2023 zu kandidieren. Ebenfalls konnten wir es nicht bewerkstelligen, Wahlprüfsteine über die verschiedenen Listen zu erstellen.
Somit liegt es in unserem eigenen Interesse, uns den anderen, von den Kirchen unabhängige Listen anzuvertrauen und eine Liste unseres Vertrauens zu wählen, welche nicht gleich direkt mit der Kirchenliste ACA eine Listenverbindung eingehen würde. Indem wir von unseren Wählerstimmen aktiv und bewusst Gebrauch machen und diese klug und weise einsetzen, können wir immerhin der Tendenz nach eine Abwahl der Kirchenliste anstreben.
Dabei geht es bei der Sozialwahl 2023 um richtig viele handfeste Interessen. Die Sozialversicherung steht nämlich unmittelbar vor der Digitalisierung. Die Elektronische Patientenakte steht kurz vor der Einführung. Während bisher Patientinnen und Patienten auf das Arztgeheimnis als Grundvertrauen setzen konnten, müssen inzwischen Belange des Datenschutzes stärker unter die Lupe genommen werden. Es geht um richtig viel, denn hier stehen sensible persönliche und intime Daten auf dem Spiel, welche offenbar einfach so in die Elektronische Patientenakte wandern sollen. Dabei stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die einzelne Patientin oder der einzelne Patient eine reale Chance bekommt, die Elektronische Patientenakte aus Gründen des Datenschutzes insgesamt abzulehnen und ob eine solche Ablehnung von Seiten der Patientin oder des Patienten überhaupt noch vorgesehen ist und sie überhaupt noch gefragt werden, wie mit ihren Daten umgegangen werden soll.
Dazu hatte sich beispielsweise Luise Klemens von der ver.di-Liste folgendermaßen geäußert:
"Krankenkassen sollten auf ihre umfangreichen Datenbestände zurückgreifen dürfen, unter der Prämisse 'Daten teilen heißt besser heilen'. Hierzu muss die Zweckmäßigkeit der Datennutzung neu definiert werden."
Na, wenn das kein eindeutiges Statement ist! Für mich klingt das irgendwie nach einem Basar zum Datentausch. Als würden demnächst die Patientenakten zu einem herrenlosen Gut, auf das die Krankenkassen einfach so zurückgreifen und die Daten teilen dürfen soll. Datenschutz – es war einmal. Urvertrauen durch das Arztgeheimnis – es war einmal.
Hoffentlich wird sich die Vernunft durchsetzen, dass Patientenakten ein hohes Gut sind und als die sensibelsten und intimsten Daten, die ein Mensch hat, das höchste Schutzniveau beim Datenschutz benötigt. Das nur mal als eines von vielen Beispielen, dass die Sozialwahl 2023 wichtig ist.
Es bleibt uns allen nur zu wünschen und zu hoffen, dass die Sozialwahl 2023 ein Ergebnis hervorbringt, das eine weise Entscheidung ermöglicht. Und es bleibt zu hoffen, dass die Sozialwahl ein Ergebnis hervorbringt, bei dem solche Listen an die Macht kommen, welche die Belange von Säkularen und Konfessionslosen berücksichtigen wollen.
Das Wahlergebnis wird es zeigen. Daher ist es wichtig, zu wählen. Bitte informiert euch über die Sozialwahl! Bitte wählt bei der Sozialwahl 2023! Jede Stimme zählt!