The Root of all Evil?

In dieser Fernsehdokumentation kritisiert Richard Dawkins Religionen - und ist dabei nicht zimperlich.

Die Channel-4-Doku besteht aus zwei Teilen: "The God Delusion" und "The Virus of Faith". In Teil 1 erklärt Dawkins, warum wissenschaftliche Erkenntnisse mit Glaubensdogmen unvereinbar sind. Dafür besucht er Veranstaltungen von Katholiken und Evangelikalen. Er reist auch nach Jerusalem, wo viele Religionen aufeinander treffen. In Teil 2 geht es um religiöse Moralvorstellungen, woher sie kommen und warum sie mit modernen Werten unvereinbar sind. Dawkins ist wieder viel unterwegs und besucht religiöse Schulen, christliche Fanatiker, aber auch Psychologen, die zur Thematik Stellung nehmen. Hier nun eine Zusammenfassung des Inhalts:

 

The God Delusion

The God Delusion, "Die Wahnvorstellung Gott" - so heißt auch Dawkins neues Buch zur gleichen Thematik. Teil 1 beginnt mit Bildern von Anschlägen religiöser Fanatiker. Dawkins erklärt, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wichtige Rollen spielen, was internationale Konflikte betrifft, man solle aber auch die Religion nicht vergessen. Der Prozess des Nicht-Denkens, der Glaube, stehe im Widerspruch zur wissenschaftlichen Methode und sei gefährlich.

Dawkins erstes Reiseziel ist Lourdes in Südfrankreich, eine beliebte Pilgerstätte für Katholiken. Der Zoologe nimmt an einem Fackelzug teil und vergleicht das Gemeinschaftsgefühl mit der Halluzination eines Einzelnen, der sich für Napoleon hält. Wenn eine große Gruppe gemeinsam fantasiert, so wird dies als positiv empfunden, während ein einzelner Fantast für verrückt erklärt wird. In Lourdes soll es "heilendes Wasser" geben. Von 80.000 kranken Pilgern jährlich seit ca. 100 Jahren wurden jedoch nur 66 auf angeblich wundersame Weise geheilt. Von diesen ist noch niemandem ein Bein nachgewachsen, es sei vielmehr anzunehmen, dass diese Heilungen von minder schweren Krankheiten auch ohne heiliges Wasser stattgefunden hätten.

Dawkins erklärt, dass die wissenschaftliche Methode einen Prozess des ständigen Überprüfens von Theorien im Lichte neuer Beweise enthält, während die Religion den Glauben an Unwahrscheinliches und Unüberprüfbares als wertvoll darstellt. Er erläutert dies am Beispiel der Evolutionstheorie im Vergleich zu Intelligent Design und am Beispiel eines Professors, der sich dafür bedankt, dass man ihn nach 15 Jahren, in denen er eine falsche Theorie verteidigt hat, endlich widerlegt.

Hierauf widmet sich Dawkins dem christlichen Fundamentalismus. Dies hält er für notwendig, da laut Umfragen 45 % der US-Amerikaner glauben, dass die Welt weniger als 10 000 Jahre alt sei. Er besucht Ted Haggard, Vorsitzender der National Association of Evangelicals, ein evangelikaler Priester, der laut Jeff Sharlet jeden Montag mit Bush oder seinen Beratern spricht. Nachdem er mit leidvollem Gesichtausdruck einen Gottesdienst von Haggard im 18-Millionen-Dollar-Andachtszentrum beiwohnt, spricht Dawkins persönlich mit dem Priester. Er vergleicht dessen Gottesdienst mit den Reichsparteitagen Hitlers. Haggard meint, er wisse nichts von Reichsparteitagen. Er glaubt, Evangelikale verstünden seine Gottesdienste als so etwas wie Rockkonzerte. Laut Haggard widerspricht sich die Bibel nicht, während sich die Wissenschaft oft widerspricht. Trotzdem seien Evangelikale offen für die wissenschaftliche Methode, weil sie erkläre, wie Gott Himmel und Erde erschaffen habe. Dawkins fragt ihn, ob er die wissenschaftliche Position teile, dass die Erde rund 4,5 Milliarden Jahre alt ist. Laut Haggard sei das nur eine Meinung von vielen unter Wissenschaftlern. Er behauptet, dass einige "Evolutionäre" (Anm.: Haggard kennt offenbar den Begriff "Evolutionsbiologe" nicht) glauben, dass sich das Auge "einfach so" durch einen Unfall oder Zufall gebildet habe. Dawkins stellt fest, Haggard habe offenbar nicht die geringste Ahnung von Evolutionsbiologie, woraufhin ihm sein Gesprächspartner vorwirft, Wissen aus Büchern und von Wissenschaftlern zu zitieren sei "intellektuelle Arroganz". Als Dawkins und seine Filmcrew die Anlage verlassen, droht ihm Haggard, seine Aufnahmen zu konfiszieren und ihn anzuzeigen, wenn er nicht sofort seinen Besitz verlasse und ruft ihm nach, er habe seine Kinder "Tiere" genannt. Dawkins interpretiert das so, dass Haggard glaube, seine Kinder seien vom evolutionären Standpunkt aus Tiere, was Dawkins bestätigt und darauf hinweist, dass alle Menschen Tiere sind.

Danach nimmt Dawkins an einem Freidenker-Treffen im Bible Belt teil, wo er sich sichtlich wohl fühlt. Ein Biologie-Lehrer erzählt ihm, er sei als der wiederauferstandene Satan beschimpft worden, weil er die Evolutionstheorie lehrt.

Die letzte Station für Teil 1 der Doku ist Jerusalem, das Dawkins als Mikrokosmos von allem bezeichnet, was an der Religion falsch sei. Der Tempelberg wird schwer bewacht, denn er ist Auslöser vieler religiöser Auseinandersetzungen in Jerusalem. Dawkins spricht sowohl mit dem jüdischen Geistlichen Yisrael Medad, als auch mit dem muslimischen Großmufti Scheich Ekrima Sa'id Sabri. Beide sagen, dass die jeweils andere Partei nichts in ihrem heiligen Tempel zu suchen habe. Dawkins spricht nun mit Joseph Cohen, heute Yousef al-Khattab, ein Jude, der zum Islam übergetreten ist. Er glaubt, dass Yousef das Problem aus beiden Positionen betrachten wird. Dies erweist sich als falsch. Yousef fordert vielmehr, dass alle Nicht-Muslime das Land Mohammeds verlassen und glaubt, dass die Errichtung des Staates Israel für den Anschlag vom 11.9. verantwortlich sei. Zuletzt wirft er Dawkins vor, Atheisten wie er würden es zulassen, dass sich Frauen "wie Huren" kleiden.

Dawkins beendet Teil 1 mit einem Hinweis auf ein philosophische Gedankenexperiment von Bertrand Russel, das als "Russels Teekanne" bekannt ist. Laut diesem ist es nicht möglich, zu beweisen, dass es keine Teekanne gibt, die in einer Umlaufbahn zwischen Erde und Mars um die Sonne kreist, weil die Kanne zu klein ist, als dass wir sie mit einem Teleskop erfassen könnten. Nur ein Verrückter würde an die Teekanne glauben, allein weil man nicht beweisen kann, dass es sie nicht gibt. Wenn jedoch ein Großteil der Gesellschaft an die Teekanne glauben würde, es ein heiliges Buch über die Teekanne gäbe, über tausende Jahre Geschichten über die Teekanne erzählt worden wären, dann würde jemand als verrückt gelten, der nicht an sie glaubt.

Update: In "The God Delusion" weist Dawkins auf eine Sekte hin, die tatsächlich eine riesige Teekanne anbetet (kein Scherz!). Siehe Artikel von der BBC.

The Virus of Faith

Der Titel von Teil 2 der Doku ist Dawkins' Buch "Das egoistische Gen" entliehen, genauer der Memetik, aus welcher der Zoologe die Schlussfolgerung zieht, Religion verbreite sich wie ein Virus.

Dawkins spricht sich gegen religiöse Schulen aus, in denen Schüler von weltlichen Einflüssen abgeschottet aufwachsen und als Kinder ihrer Religion gebranntmarkt werden, also zum Beispiel als jüdische/muslimische/christliche Kinder, obwohl sie noch zu jung sind, um sich für ein Weltbild entscheiden zu können. Er besucht die jüdische Gemeinschaft Hasidic in London und befragt Rabbi Herschel Gluck, um heraus zu finden, ob dortigen Schulkindern Zugriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse gewährt wird.

Gluck hält es für wichtig, dass Minderheiten ein Ort eingeräumt wird, wo sie ihre Kultur und Religion frei ausüben können. Dawkins meint, er würde es vorziehen, Traditionen weiter zu geben, ohne den Schülern nachweisbare Falschheiten aufzuzwingen. Gluck behauptet, dass sich die Schüler, obwohl sie glauben, Gott habe die Welt in sechs Tagen erschaffen, auch mit der Evolution beschäftigen würden, obgleich die Meisten nicht an sie glauben, wenn sie die Schule verlassen. Das Judentum habe seine Traditionen, so wie die Wissenschaft die ihrigen habe. Es hieße schließlich "Theorie" der Evolution und nicht "Gesetz" der Evolution. Dawkins sagt, er nenne es den "Fakt" der Evolution, woraufhin ihn Gluck als fundamentalistischen Gläubigen bezeichnet.

Daraufhin besucht Dawkins die Phoenix Academy, eine halb-unabhängige, städtische Akademie, eingeführt von Tony Blairs' Regierung. Er wird von Direktor Adrian Hawkes durch die Schule geführt. Dawkins bemerkt, dass Gott oder Jesus auf fast jeder Seite der Schulbücher vorkommt, sogar in Büchern zu naturwissenschaftlichen Fächern. Hawkes meint, die Geschichten würden viel mit Wissenschaft zu tun haben, wenn man an sie glaube und heute lache man über das, was ihm damals in der Schule als Wissenschaft beigebracht wurde. Als Beispiel nennt er, dass der Mond im Laufe der Erdentstehung aus dem Meer heraus in den Weltraum geschleudert worden sein soll. Dawkins meint, dass es viele Beweise dafür gibt, dass genau dies geschehen ist. In einer Schulstunde wird zum Beispiel unterrichtet, dass AIDS das Ergebnis eines sündenreichen Lebens sein soll. Hawkes fragt, wie die Leute auf den Schluss kommen könnten, dass Vergewaltigung und Pädophilie falsch sind, wenn diese nicht Gottes Gesetzen widersprechen. Wenn die Leute glauben würden, dass sie mit bösen Taten davon kommen, würden sie dazu neigen, welche zu begehen. Dawkins fragt Hawkes, ob die Furcht vor göttlicher Strafe der einzige Grund für ihn sei, niemanden zu ermorden oder zu vergewaltigen.

Dawkins argumentiert, dass Kinder genetisch darauf programmiert sind, Autoritäten zu glauben, ohne das, was sie sagen, in Frage zu stellen, vor allem im Falle der Eltern. Der evolutionäre Imperativ besteht darin, dass kein Kind überleben könnte, wenn es eine skeptische Haltung gegenüber allem hätte, was ihm die Erwachsenen sagen. Genau dieser Imperativ macht anfällig für eine Infektion durch Religion.

Nun besucht der Evolutionsbiologe die Psychologin Jill Mytton, die unter ihrer religiösen Erziehung gelitten hat und nun versucht, Kinder mit ähnlichen schlimmen Erfahrungen zu therapieren. Mytton erklärt, dass die Vorstellung eines Höllenfeuers für ein kleines Kind keineswegs metaphorisch ist, sondern panische Angst auslöst. Sie sagt, ihre eigene Kindheit sei von Angst dominiert worden. Als Dawkins sie darum bittet, die Realität der Hölle zu beschreiben, zögert Mytton und erklärt in abgebrochenen Sätzen, dass sie die Vorstellung von ewiger Verdammnis auch heute noch betroffen macht.

Dawkins sieht sich das "Hell House", das "Höllenhaus" vom evangelikalen Prediger Keenan Roberts an, das jener seit 15 Jahren in den USA betreibt. Dort werden Kindern im Alter von durschnittlich 12 Jahren grausame Theatervorführungen gezeigt, die in Horrorbildern veranschaulichen sollen, warum Homosexualität und Abtreibung etc. Sünden sind. Roberts hält dies für einen effektiven Weg, die Kinder vor einem sündhaften Leben zu bewahren und Dawkins gibt ihm Recht, fragt ihn aber, warum er so sehr davon überzeugt ist, dass Homosexualität falsch sei. Roberts hält das für eine Glaubensfrage und möchte von Dawkins wissen, warum er nicht an das glaubt, was in der Bibel steht. Aufgrund von Beweisen, antwortet dieser und bezieht sich damit - leider nicht für jeden Zuschauer ersichtlich - auf den aktuellen Stand der Forschung, laut der fast alle Bibelgeschichten fiktiv sind.

Da viele Christen, die Dawkins getroffen hat, die Bedeutung der Bibel für Moralvorstellungen hervor heben, liest er einige Bibelstellten vor, die jede zivilisierte Person eigentlich ablehnen sollte. In Deuteronomium 13 heißt es etwa, dass Gott seine Anhänger anweist, jeden Freund und jedes Familienmitglied zu töten, das andere Götter anbetet. In Richter 19 opfert ein alter Mann seine Tochter einem wütenden Mob, der sie vergewaltigt und erniedrigt, um seinen männlichen Gast nicht ausliefern zu müssen. Dawkins bemerkt, dass das Neue Testament zwar eine moralische Verbesserung darstelle, aber ebenfalls grausam sei. Er erinnert an die Geschichte von Jesus, der sich töten lässt, um den Menschen die Erbsünde und alle damaligen und zukünftigen Sünden zu vergeben. Dawkins weist darauf hin, dass es Adam aus wissenschaftlicher Sicht niemals gegeben hat. An jeden gewandt, der die Geschichte für symbolisch hält, sagt Dawkins: "Symbolisch? Also ließ sich Jesus foltern und töten, für eine symbolische Sünde eines nicht-existenten Individuums? Niemand, der nicht im Glauben erzogen worden ist, könnte ein anderes Urteil fällen, als: Völlig schwachsinnig!"

Dawkins interviewt nun Michael Bray, der die Bibel wörtlich nimmt - er fordert zum Beispiel die Todesstrafe für Ehebruch. Bray ist ein Freund von Paul Hill, der 2003 hingerichtet wurde, weil er einen Arzt ermordet hat, der Abtreibungen durchführte. Bray verteidigt Hills Tat und nimmt an, dass er nun ein angenehmes Leben im Himmel führt. Dawkins meint, er habe Bray gut leiden können, er sei nicht wirklich ein schlechter Mensch. Er erinnert Dawkins an einen Ausspruch vom zweimaligen Nobelpreisträger Steven Weinberg, der sagte: "Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Ohne sie gäbe es gute Menschen, die gute Dinge tun und schlechte Menschen, die schlechte Dinge tun, aber um gute Menschen dazu zu bringen, schlechte Dinge zu tun, ist Religion notwendig."

Später spricht Dawkins mit seinem Freund Richard Harries, dem ehemaligen Bischof von Oxford, einem liberalen Anglikaner. Er ist der Ansicht, dass man die Bibel im Kontext der Zeit lesen müsse, in der sie geschrieben wurde und dass man sie im Lichte moderner Sichtweisen interpretieren solle. Dawkins fragt Harries, was er von Wundern hält, etwa von der Jungfrauengeburt. Harries hält sie für unnötig. Die Wiederauferstehung Jesu dagegen sei essentiell für den christlichen Glauben.

Dawkins fragt, warum man die Bibel überhaupt zu Rate ziehen soll, wenn man einzelne Aussagen für wahr und andere für unwahr erklären kann, nach scheinbar willkürlichen Kriterien. Er versucht nun eine evolutionäre Erklärung für Moral zu finden und spricht dafür mit dem Evolutionspsychologen Oliver Curry. Dieser erklärt, dass auch Schimpansen eine Prädisposition für Moral haben und ein funktionierendes soziales Netzwerk vorweisen können, ohne Religion zu benötigen. Wichtig für die Entwicklung der menschlichen Moral sind die Erfahrungen seiner Vorfahren, Affen und Frühmenschen. Diese zogen einen evolutionären Vorteil aus altruistischem Verhalten, da sie auf einander aufpassen und zusammen auf Futtersuche gehen mussten, um zu überleben. Mit der Hypothese, dass Freundlichkeit und Großzügigkeit Bestandteile der menschlichen Natur seien, geht Dawkins weiter als die meisten Wissenschaftler, welche neben Instinkten nur die Fähigkeit, eine Moral zu entwickeln, für genetisch vorbestimmt halten.

Nun erklärt Dawkins, dass säkulare Werte heute eine wichtige Rolle spielen, dass es zum Beispiel vor 50 Jahren noch undenkbar gewesen ist, dass Homosexuelle Hand in Hand durch die Straßen Londons laufen und es heute kein Problem mehr darstellt. Nun spricht er mit dem Romanautoren Ian McEwan ("Abbitte", "Der Zementgarten"). Dieser hält die Empathie, die Fähigkeit, sich in andere Menschen hinein zu versetzen, für elementar, um eine Moral zu entwickeln.

Im Schlusswort sagt Dawkins, dass das Hier und Jetzt alles ist, was wir haben und dass wir das Beste daraus machen sollen. Es ist kein Überbrückungszeitraum, in dem wir leiden müssen, um im Jenseits glücklich sein zu können. Deshalb sei der Atheismus auf eine Weise Lebens-bejahend, wie es die Religion niemals sein könne.

Kritik

Interessant ist nicht nur die Doku selbst, sondern auch die Reaktionen, welche sie ausgelöst hat. Ein Beispiel ist der Kommentar von Madeleine Bunting für den Guardian. Sie wirft Dawkins substanzlose Annahmen, ausweichende Verallgemeinerungen und "zufällige anekdotische Beweisführung" vor. Eine stets und auch hier geäußerte Kritik an Dawkins ist der Vorwurf, er reduziere die Ursachen von Konflikten allein auf die Religion. Dabei sagt der Wissenschaftler bereits in der Einleitung zur Doku, dass es viele Gründe für Konflikte gibt, von denen nur die Religion verschwiegen wird, weshalb er deren Kritik übernimmt. Neben anderen längst widerlegten Kritikpunkten äußert Bunting, Religion sei nicht nur negativ und könne Kinder auch mit einem tief empfundenen Vertrauen ausstatten, dass sie alle wertvoll seien "vor den Augen Gottes". Bunting weiter: "Die Wissenschaft muss gestehen, dass sie trotz großer Fortschritte immer noch keine (!) Fragen über die Natur des Universum beantworten kann - wie etwa, ob wir alle nur lachhafte Zufälle in einem gleichgültigen Universum sind oder nicht." Das ist unzutreffend. Die Wissenschaft bietet Antworten auf viele dieser Fragen, auch wenn sie bestimmten Menschen nicht gefallen und sie sich mit diesem Wissen minder wertvoll "in den Augen Gottes" fühlen. Wissenschaftliche Erkenntnisse einfach zu ignorieren ist sicherlich keine gute Voraussetzung für ihre Kritik.

Weiter geht es mit dem Kommentar des Theologen Keith Ward für The Tablet. Auch er kritisiert Dawkins für Aussagen, die er niemals von sich gegeben hat. Das fängt mit der Behauptung an, jener sei der Ansicht, Religion sei die Wurzel allen Übels, obwohl der Zoologe vielmehr meint, dass jemand, der dies glaubt, "verrückt" sein müsse. Ward sagt außerdem, dass Gläubige gar nicht wissen bräuchten, dass der Glaube ein rationales Fundament habe. Klar - sonst würden sie auf den Gedanken kommen, dass dies nicht der Fall ist. Ward vergleicht die Doku mit Orwells Roman "1984" und sagt, sie sei ähnlich vereinfachende Schwarz-weiß-Malerei. Literaturwissenschaftlern dürften bei dieser Aussage die Haare zu Berge stehen.

Diese und andere Kritik widerlegt Dawkins in der Doku selbst, in seinen Büchern und in einem Artikel für den New Statesman. Dies tut er hier mit Leichtigkeit am Rande, während er gleich danach von einem Traum seiner Frau erzählt und die Frage stellt, wofür die königliche Familie eigentlich gut sei. Das Problem: Dawkins Kritiker geben sich einfach keine Mühe.

Dabei gibt es durchaus auch Möglichkeiten, "The Root of all Evil?" sinnvoll zu kritisieren. Beispielsweise ist Dawkins Argumentation, wie sich Moral entwickelt und woher sie kommt, lückenhaft und nicht ganz nachvollziehbar. Kein Wunder, schließlich hat die Wissenschaft darauf noch keine entgültige Antwort. Empfohlen sei zum Thema allerdings Das unbeschriebene Blatt vom Neurobiologen Steven Pinker. Auch die Brights versuchen momentan, das Problem zu lösen, aber dies wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Man könnte auch Dawkins Unverständnis gegenüber religiösen Menschen kritisieren. Dies sind nun einmal oft, wenn auch nicht notwendigerweise, simple Menschen, die sich nach einem ebensolchen Weltbild sehnen, ohne jemanden damit schaden zu wollen. Eine weniger offensive Was-ist-das-für-ein-Blödsinn-Kritik hätte man sich manchesmal gewünscht, auch wenn Dawkins argumentativ schwer zu schlagen ist. Es besteht allerdings die Gefahr, dass Zuschauer ohne wissenschaftliche und religionskritische Vorbildung von der Deutlichkeit des Zoologen abgeschreckt werden und seine Doku als polemisch abtun, was viele Rezensenten auch getan haben. Von deutschen Dokumentationen ist man gewöhnt, dass sie versuchen, es allen Recht zu machen, in der Annahme, dies sei der Toleranz förderlich. "The Root of all Evil?" wirkt im Vergleich geradezu schockierend. Selbst meiner Wenigkeit ist beim ersten Ansehen die Kinnlade herunter geklappt, wo sie für den Rest der Doku auch blieb - vom deutschen Fernsehen braucht man nicht zu erwarten, dass es einen Wissenschaftler von einer Religionsgemeinschaft zur nächsten schickt, um ihnen zu sagen, wie blöde sie sind - salopp formuliert. Andererseits ist die Doku das Resultat von jahrelang unterdrücker Religionskritik in den westlichen Gesellschaften. Kein Wunder, dass sich hier Einiges angesammelt hat und das Ergebnis umso radikaler ausfällt.

Fazit

Argumentativ macht Dawkins niemand etwas vor. Er ist in jeder Hinsicht ein klassischer Aufklärer. Deshalb sei die Doku jedem empfohlen, der auch deutliche Religionskritik verkraften kann. Der Rezensent hat bei verschiedenen deutschen und österreichischen Fernsehsendern nachgefragt, ob sie die Doku synchronisieren und senden möchten, was von mangelndem Erfolg gekrönt war. Zumindest der Humanistische Pressedienst ist der Meinung, dass es auch einen Platz für kritische Beiträge geben muss, weshalb er hier aufzeigt, woher man die Doku in Deutschland beziehen kann. Man darf gespannt sein auf Dawkins nächste Dokumentation "The Rational Inquirer" vom selben Team und auch für Channel 4. Dort geht es dann um Esoterik und Paranormales.

 

The Root of all Evil? LQ (google-video)

The Root of all Evil? HQ (torrent)

Anm.: Für DSL-Besitzer empfehlen wir den torrent!

 

 

Andreas Müller