100 Jahre Freimaurerbund FzaS

NÜRNBERG. (hpd) Zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchlebte die deutsche

Freidenkerbewegung eine ganze Reihe unterschiedlicher Entwicklungen und war in teilweise ganz erstaunlichen Erscheinungen präsent. Die Gründung eines „Freimaurerbundes auf monistischer Grundlage" gehört hierbei sicher zu den außergewöhnlicheren, wenn auch heute nicht mehr so bekannten Erscheinungen. Die Gründer wollten nicht weniger, als - auf der Grundlage des Haeckel'schen Monismus - die Reform der Freimaurerei, in welcher sie den geschichtlichen Motor der Aufklärung sahen. Vergangenen Samstag beging die „Loge zur Wahrheit", die Mutterloge des FzaS, mit einem Festakt ihr 100-jähriges Jubiläum.

 

Die Freimaurerei, die immer wieder im Ruf des Geheimnisvollen oder Verborgenen stand, entwickelte sich aus den mittelalterlichen Dombauhütten. Die darin organisierten Steinmetze schafften sich zur Wahrung ihrer Berufsgeheimnisse einen geschützten Raum und ein für die damalige Zeit sensationelles Sozialsystem, das u. a. auch alte oder nicht mehr arbeitsfähige Mitglieder versorgte. Angehörige einer Bauhütte hatten außerdem das Recht, in einer anderen Bauhütte beschäftigt zu werden und entsprechend ihres Standes (Lehrling, Geselle, Meister) Lohn zu empfangen. Mit dem Ende der großen Sakralbauten fehlte den Bauhütten mehr und mehr das Geld, ihr soziales System aufrechtzuerhalten, so wurden nun auch Zunftfremde in die Bauhütten aufgenommen, die diese finanziell unterstützten, ohne selbst dort handwerklich tätig zu sein. Der geschützte Raum der Loge (engl.: Lodge) gewährleistete nämlich aufklärerisch denkenden Zeitgenossen (viele davon aus dem fortschrittlichen Adel) im vertraulichen Kreise offen, unbelauscht und frei von kirchlichen oder sonstigen Dogmen über ihre unterschiedlichen Vorstellungen zu diskutieren. Die operativen Logen entwickelten sich nunmehr kontinuierlich zu „spekulativen" Logen - die „spekulative Freimaurerei" war geboren. Sie fand 1717 in London mit dem Zusammenschluss von fünf Logen zur ersten existierenden Großloge ihre erstmalige dokumentierte Erwähnung und breitete sich in den folgenden Jahrzehnten in ganz Europa und Amerika aus. Die handwerklichen Gebräuche und Werkzeuge der Steinmetze wurden symbolisch ausgelegt und dienen bis heute als Grundlage des rituellen Geschehens in den Logen.

„Grand Orient"

Zu unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Freimaurerei kam es später nicht zuletzt über die (Streit-)Frage der Religion. Während die Großloge von England, über deren Anerkennung sich weltweit alle „regulären" Großlogen als solche definieren, als Bedingung das Anerkennen eines „höheren Prinzips" („Supreme Being") verlangt und dies im Symbol des „Großen Baumeisters aller Welten" manifestiert, entwickelte sich von der französischen Großloge „Grand Orient" ausgehend eine areligiös bis antiklerikale Freimaurerei. Im Gegensatz zur „regulären" Freimaurerei verlangt der Grand Orient weder von seinen Mitgliedern ein Bekenntnis zu einem „höheren Prinzip", noch wird die Bibel als Symbol für eine „göttliche Weltordnung" in den Logenarbeiten aufgelegt. Weiterhin tritt er - auch im Gegensatz zur sich auf England beziehenden Freimaurerei - bis heute politisch in Erscheinung, beispielsweise im Kampf für den Laizismus. Die starke Trennung von Kirche und Staat in Frankreich ist zu einem nicht geringen Teil als Erfolg des dort wirkenden und bis heute gesellschaftlich einflussreichen Grand Orient zu verbuchen (zuletzt machte der Grand Orient öffentlich gegen den Gottesbezug des Europäischen Verfassungsentwurfs mobil).

Nicht zuletzt durch ihren Protektor, Friedrich dem Großen, konnte sich auch in Deutschland die Freimaurerei entwickeln und hatte einige bedeutende Aufklärer in ihren Reihen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die deutsche Freimaurerei jedoch größtenteils äußerst konservativ und nationalistisch geprägt.

Zeitgleich griff freidenkerisches Gedankengut immer tiefer in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche. Einen Teil dieser Freidenkerbewegung stellte der 1906 in Jena gegründete „Deutsche Monistenbund" (DMB) dar, der sich inhaltlich auf Grundlage des Werkes „Die Welträtsel" von Ernst Haeckel definierte. Inhaltliche Grundlage des vom DMB vertretenen Monismus war der Materialismus auf strikter naturwissenschaftlicher Basis. Aus dem Monistenbund heraus entwickelte sich schließlich auch die Idee der ebenfalls 1906 in Nürnberg gegründeten „Deutschen Freidenkerloge", die sich die „Selbsterziehung und -veredelung des Menschen", die „Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft", die „Gleichberechtigung untereinander", sowie die „völlige Denk-, Glaubens- und Gewissensfreiheit" zum Ziel gesetzt hat. Auf der Generalversammlung am 27. Juli 1907 in Frankfurt am Main beschloss man, sich in „Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne (FzaS)" umzubenennen und gründete damit - nicht nur zufällig zum Geburtstag Ludwig Feuerbachs (*28.07.1804) - eine neue Großloge, mit der Vorstellung, eine reformierte Freimaurerei auf monistischer Grundlage könne dazu beitragen, die Menschheit „aus den Fesseln jeglichen Dogmas" zu befreien.

‚Reformierte Freimaurerloge' auf monistischer Weltanschauung

Gemäß dem Beschluss der FzaS-Gründung wurde am 12. August 1907 in Nürnberg die noch heute existierende „Loge zur Wahrheit" (LzW) als Mutterloge des FzaS eingesetzt. Weitere Logengründungen folgten schnell. Mitglieder warb man vorwiegend in der Freidenkerbewegung. So veröffentlichte man beispielsweise in Leipzig den folgenden im Wortlaut wiedergegebenen „Aufruf zum Beitritt zur ‚Reformierten Freimaurerloge' auf monistischer Weltanschauung":
„Die alten Freimaurerlogen waren früher eine Zufluchtstätte aller religiös-freiheitlich gesinnten Männer gegenüber der Verfolgung und dem Hasse der römischen Kirche. Sie haben jedoch mit der Entwicklung auf religiösem Gebiet nicht Schritt zu halten vermocht. Festgelegt in alte und veraltete Traditionen huldigen sie noch heute dem starren Bibelglauben, die Bibel selbst darf als eines ihrer drei „Lichter" auf keinem Altare fehlen, ihre Eide und Gelöbnisse werden auf die Bibel abgelegt, ihre Lieder, Reden und Sprüche könnten zum Teil ebenso gut in jedem Gebetbuch der katholischen Kirche stehen. Geistig fortgeschrittenere Männer, welche sich unter falscher Voraussetzung aufnehmen ließen, ziehen sich bald wieder enttäuscht zurück oder betrachten die Loge nur noch als gesellschaftlichen Club.
Die Freimaurerei in ihrem früheren Sinne aber hat sich in keinem Sinne überlebt. Stärker und kräftiger als je erhebt heute die schwarze Macht der Finsternis und Reaktion ihr Haupt; die Jesuiten und ihre Gefolgschaft haben bereits die Grenzen überschritten und ihre unheilvolle Wühlarbeit begonnen; die alten Logen aber schlafen auf ihren Lorbeeren oder befehden sich gegenseitig um ihres ‚christlichen Prinzips' willen. Eine mächtige Großloge, begründet auf freier monistischer Weltanschauung, frei von Bibelglauben und frommen Sprüchen, könnte einzig und allein die Freimaurerei wieder zu ihrem ursprünglichen Zweck zurückführen:
‚Alle religiös-freidenkenden Männer zu vereinigen zu einem Schutz- und Trutzbündnis gegen religiöse Unduldsamkeit und Verfolgung zu einem stillen aber mächtigen Hort religiöser und geistiger Freiheit.'
Herren, welche einer derartigen ‚Reformierten Freimaurerloge' beitreten möchten, belieben ihre Adressen unter ‚Licht und Wahrheit' an die monistische Zentralbuchhandlung, A. E. Teichmann, Leipzig-Dölitz zu senden. Diskretion wird zugesichert."
(1)

Der FzaS entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Großloge, der im Jahre 1923 rund 3.000 Brüder in 79 Logen in Deutschland, Österreich, Ungarn, der Schweiz und der Tschechoslowakei angehörten. FzaS-Logen gab es vor 1933 u.a. in Berlin (5 Logen), Bratislava, Braunschweig, Bremen, Breslau, Chemnitz, Danzig, Darmstadt, Dresden, Düsseldorf, Emden, Erfurt, Essen, Frankfurt/M., Freiburg, Gelsenkirchen, Görlitz, Halle, Hamburg (5 Logen), Hannover, Itzehoe, Karlsruhe, Kiel, Köln, Königsberg, Leipzig, Ludwigshafen, Lübeck, Magdeburg, Mannheim, Minden, Nürnberg, Offenbach, Pforzheim, Plauen, Prag, Recklinghausen, Rendsburg, Rüstringen-Wilhelmshaven, Saarbrücken, Stettin, Stuttgart (2 Logen), Zittau und Zürich.(2)

Toleranz, Brüderlichkeit und Gedankenfreiheit

Der freigeistige Charakter des FzaS zog nicht nur viele namhafte Monisten, wie den Pazifisten und Herausgeber der „Weltbühne" Carl von Ossietzky oder den politisch-satirischen Autoren Kurt Tucholsky an, sondern aufgrund seines auf wissenschaftlicher Erkenntnis und rationaler Vernunft aufbauenden Fundaments auch zahlreiche Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Forschung, wie den Chemie-Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald, dem späteren ersten Vorsitzenden des Deutschen Monistenbundes. Als Reformfreimaurerbund entledigte sich der FzaS aller religiösen Elemente im Ritual. Statt der aufgeschlagenen Bibel wurde nun, wie beim französischen Grand Orient, ein Buch mit leeren Seiten („Weißes Buch") als Symbol aufgelegt, was den undogmatischen Charakter des FzaS besonders unterstrich. Der obligatorische Freimaurerschurz wurde abgeschafft, ebenso wie das Symbol des „Großen Baumeisters aller Welten". Nun war es Atheisten und Agnostikern auch in Deutschland möglich, sich der Freimaurerei anzuschließen, um in ihr nach den Idealen der Toleranz, Brüderlichkeit und Gedankenfreiheit zu streben. So fanden sich folgerichtig im FzaS auch vorwiegend Freidenker wieder, die rein monistische Grundlage hatte man nach kurzer Zeit aber wieder fallengelassen (trotz weiterhin vielfacher Doppelmitgliedschaften in FzaS und Deutschem Monistenbund). Der FzaS hatte einen ausgeprägt internationalistischen Charakter und arbeitete auf pazifistischer Grundlage. In den Augen der „Altmaurer" galt der FzaS aus all diesen Gründen als „irregulär" und seine Logen als „Winkellogen", was sich - besonders nach dem ersten Weltkrieg - in unzähligen Anfeindungen seitens der „Altmaurer" niederschlug, als sich der FzaS - ganz im Geiste der Völkerverständigung - um eine Aussöhnung mit Frankreich bemühte.

Selbstauflösung, Umbenennung, Anbiederung

Mit der Machtübertragung an Hitler löste sich der FzaS selbst auf, um einer Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen und rief seine Mitglieder zum „geistigen Widerstand" gegen den Faschismus auf. Weniger rühmlich zeigte sich dagegen die „reguläre" deutsche Freimaurerei, die - trotz aller Anti-Freimaurerhetze von Ludendorff, Rosenberg und anderer Deutschnationaler - versuchte, einer Verfolgung durch Anpassung zu umgehen. Durch Umbenennungen (wie bereits im April 1933 die der „Großen Nationalen Mutterloge zu den drei Weltkugeln" in „National christlicher Orden") und teilweise peinlicher Anbiederung an die Nationalsozialisten, bis hin zur Erklärung, „nun keine Freimaurer mehr" zu sein oder den Versuchen, sich selbst als besonders „völkisch" darzustellen, versuchten die vorwiegend preußischen Großlogen ihre Existenz zu sichern. Juden wurden selbstverständlich aus den Logen entfernt, die Unterstützung des Nationalsozialismus als „patriotische Pflicht" bezeichnet. Bereits 1935 mussten sich die verbliebenen „regulären" Großlogen jedoch - trotz aller Anpassung - auf Druck der NS-Behörden selbst auflösen.

Großloge der Alten und Freien Maurer von Deutschland

Nur wenige Logen des FzaS konnten sich nach 1945 reanimieren, nicht wenige Brüder aus den Reformlogen verloren (z.B. aufgrund ihres politischen oder jüdischen Hintergrundes) in den Konzentrationslagern ihr Leben. Die wenigen wiedergegründeten FzaS-Logen schlossen sich nun einer „regulären" Großloge und deren Brauchtum an. Auch die Nürnberger „Loge zur Wahrheit" als Mutterloge des FzaS bekam, aufgrund ihres erwiesenermaßen antifaschistischen Hintergrundes, als eine der ersten Logen in Deutschland 1947 von der amerikanischen Militärregierung für Bayern die Genehmigung zur Wiedergründung. Das Entstehen der „Vereinigten Großlogen von Deutschland" in der Nachkriegszeit gab ihr die Möglichkeit, unter weitgehender Beibehaltung ihres reformmaurerischen Brauchtums und ihres freidenkerischen Charakters nunmehr als regularisierte Freimaurerloge innerhalb der humanitär ausgerichteten „Großloge der Alten und Freien Maurer von Deutschland" zu arbeiten. Sie arbeitet bis heute nach dem überlieferten FzaS-Ritual und fühlt sich dem Gedankengut des FzaS nach wie vor verpflichtet. Ein „Gottbekenntnis" wird bis heute nicht von den Mitgliedern gefordert; ob die in der regulären Freimaurerei geforderte Anerkennung eines „höheren Prinzips" als „göttliches Prinzip" angesehen wird oder sich dieses ganz diesseitsbezogen etwa in den Naturgesetzen oder in den Gesetzen des Universums manifestiert, überlässt die heute 35 Brüder zählende Loge der persönlichen Interpretation ihrer Mitglieder.

Jubiläums-Festakt

Am Festakt vergangenen Samstag, dem neben zahlreichen Freimaurern und Gästen aus dem In- und Ausland, auch Vertreter der Stadt Nürnberg (wie Bürgermeister Dr. Clemens Gsell und die Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Stadtratsparteien) beiwohnten, wurde an die wechselvolle Geschichte der „Loge zur Wahrheit" als Mutterloge des FzaS erinnert, die entstand „als eine Erneuerungsbewegung, um die Ideale der alten Freimaurerei den gewandelten Bedürfnissen einer neuen Zeit anzupassen", wie es Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly in seinem schriftlichen Grußwort formulierte.

Horst Kramer, „Meister vom Stuhl" (Vorsitzender) der Loge, formulierte es in seinem Grußwort so: „Die Brüder der Loge ‚Zur Wahrheit' hielten immer an ihrer ‚etwas anderen' Weltsicht fest. Den Traditionsfreimaurern, damals ‚Altmaurer' genannt, war vor 100 Jahren das Gedankengut des monistisch und international geprägten ‚Freimaurerbundes zur aufgehenden Sonne', kurz FzaS, mehrheitlich suspekt. (...) Die Brüder der Loge Zur Wahrheit' sind sich, im Gedenken an die Altvorderen, ihrer Tradition bewusst." In seiner Ansprache machte er deutlich, dass das Gedankengut der Aufklärung, das „die völlige Denk-, Glaubens- und Gewissensfreiheit" beinhaltet, bis heute gepflegt werde.

„Wertheimer-Schloß-Medaille"

Einen wesentlichen Raum des Festaktes nahm die erstmalige Verleihung der „Wertheimer-Schloß-Medaille" ein, die anlässlich des 100-jährigen Jubiläums erstmalig von der Loge verliehen wurde. Die Namensgeber der Medaille, Moritz Wertheimer und Dr. Siegfried Schloß, zwei jüdische Rechtsanwälte, waren Brüder der „Loge zur Wahrheit", die von den Nazis im Konzentrationslager ermordet wurden. Moritz Wertheimer, der überwiegend Klienten aus dem linken politischen Spektrum vertrat, befand sich ab 1933 auf der Liste der „potenziellen Staatsfeinde". Sein Berufskollege Justizrat Siegfried Schloß, Sozialdemokrat und Mitglied des antifaschistischen „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold" sowie des „Bunds akademischer Sozialisten", vertrat als Syndikus den Mieterverein Nürnberg, ab 1933 war er hauptsächlich für jüdische Mieter und Hausbesitzer tätig.

Die mit einem Geldpreis verbundene „Wertheimer-Schloß-Medaille" wird fortan alle drei Jahre an Menschen verliehen, die sich im besonderen Maße humanitär engagieren - ganz im Sinne der beiden Medaillen-Namensgeber, derer damit künftig gleichzeitig erinnert werden soll. Vor den etwa 120 Anwesenden wurde die neue Medaille an den Begründer der „Nepalhilfe Beilngries", Karl Rebele, für sein nunmehr jahrelanges persönliches humanitäres Engagement in einem der ärmsten Regionen der Welt verliehen.

René Wiedmann

 

(1) zitiert aus der Festschrift „Der Wahrheit verpflichtet - 100 Jahre Freimaurerloge ‚Zur Wahrheit' i. O. Nürnberg, (1907-2007)", S. 19, Selbstverlag, 2007

(2) Quelle: ebda., S. 68-73