PARIS. (hpd) Am 13. Januar entschied das Berufungsgericht von Paris, aufgrund der Klage einer Gruppe dissidenter Brüder, dass die Ämter des Großmeisters und des Präsidenten einer Großloge der Freimauerer identisch sind. Was für Außenstehende zunächst irrelevant erscheint, wirft ein Schlaglicht auf die Freimaurerei in Frankreich.
Nach dem Urteil ist François Stifani, der als Präsident der GLNF (Grande Loge nationale française - Nationale Großloge Frankreichs) bereits 2010 abgedankt hatte, mit allen daraus folgenden Konsequenzen auch nicht mehr Großmeister der Großloge. Das bildet das vorläufige Ende eines Umberto Eco würdigen brüderlichen Politkrimis mit zugleich allen Elementen eines Lehrstückes für die Probleme weltanschaulicher Organisationen und für das Spannungsfeld zwischen Weltanschauung und Staat.
Spiritualität oder Pekuniarität?
Fast alle weltanschaulichen Strömungen dieser Welt begannen als geistige Vorstellungen über gesellschaftliche Zusammenhänge, die dann zu hochgelehrten Geflechten spiritueller bzw. geweihter Überlegungen ausuferten. Offensichtlich kann aber das sich entwickelnde, geheiligte Spirituelle nicht ohne eine nackte materielle Grundlage existieren. Sie zwingt das Spirituelle, sich mit einer wachsenden sachlichen Infrastruktur zu versehen. Meistens fängt es mit einem Schutzhäuschen für die spirituell-göttliche Idee an, dann muss das Häuschen gepflegt werden und braucht man Tempeldiener, die müssen aber honoriert werden und verlangen immer neue Häuschen. Deshalb muss die Zahl der opfernden Tempelbesucher mit allen möglichen Mitteln gesteigert werden. Das alles wird ständig komplizierter und verlangt eine strenge Hierarchie mit einer entsprechenden Leistungs-, Vergütungs- und Bestrafungsskala.
Als System ist das alles jedoch nur noch regierbar, wenn es sich lohnt, der Spiritualität zu dienen. Das wird zunächst erfolgreich durch die weltweite Implementierung der pekuniären Erfolgsträger der Marktwirtschaft garantiert. Durch sie werden das Spirituelle und seine sachlichen Träger zu immanenten Bestandteilen des sogenannten Fetischcharakters der Waren-Geldbewegung. Ihre sachliche Infrastruktur daher folgerichtig zu Quelle der kollektiven und privaten Geldanhäufung. Und hier kommt dann das Sachliche meistens in ethischem Konflikt mit dem Spirituelle. Bis hin zu Betrug und Totschlag!
Mit dem Übergang zum Kapitalismus steigert sich der Warenfetischismus der Marktwirtschaft: Die Scheinwelt der Waren wird nun zum Moment der verkehrenden Scheinwelt der kapitalistischen Kreditwirtschaft. Der für die störungsfreie Bewegung des Kapitals notwendige Schein der irdischen Unendlichkeit der Kapitalverwertung gibt den Hang nach sachlich organisierter Spiritualität nun ganz neue Bewegungsräume. Er ermöglicht das neue Bürgertum seine an sich nicht religiösen, sondern eher aufklärerischen ideellen Beweggründe mit anachronistischen Denkweisen, Formritualen und vulgären stofflichen Fundamenten zu bemänteln. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts entsteht dann auch eine Reihe bürgerlicher Organisationsformen der spirituellen Weltanschauungen, wie z. B. die großen Freimauererlogen.
Diese neuartigen weltanschaulichen Organisationen werden zu ideologischen Bestandteilen des scheinbar ewigen Kreislaufes des Geldkapitals und ihre Infrastruktur lässt sich daher auf vollendeter Weise pekuniär versilbern. Das organisierte Spirituelle wird besonders dann gut zu lohnendem Kapitalobjekt, wenn es zur Einbindung seiner Ritualen in die wirtschaftliche und/oder politische Macht kommt. Das zieht dann auch zwielichtige Personen an, weil man mit der materiellen Infrastruktur der spirituellen Aufgaben enorm viel Geld verdienen kann. Kriminelle Geschäfte gehören daher ab dann konsequenterweise immer dazu. Diese Vermögensprivilegien gilt es natürlich, für Familie oder Clique, über Generationen zu garantieren. Unweigerlich kommt es so zu Klüngelbildung und Korruption sowie in deren Folge zu Putschen, Abspaltungen, juristische Tricks, Verschwörungen, Diebstahl und Mord. Alles sehr schlecht für das Geschäft und so wird letztendlich meistens das Geld knapp. An diesem Endpunkt der Erfolgsstory der Pekuniarität stellt sich dann erneut die Frage nach den Prioritäten: weiter Pekuniarität oder wieder mehr Spiritualität? Danach fängt der Kreislauf meistens mit mehr Spiritualität und mit anderen Personen aber mit derselben Perspektive wieder an. Das Alles scheint die gesetzmäßige Genesis und Historie der Religionen aber auch vieler pseudoreligiösen und säkulären Weltanschauungen zu sein. Und wie die folgende heitere Geschichte beweist, sogar für solche altehrwürdigen Institutionen wie die der Freimaurerei.
Der 2009er Skandal der GLNF
1913 gegründet, ist die Nationale Großloge Frankreichs (GLNF) bis jetzt die wichtigste Großloge in der Gruppe der eher konservativen sogenannten regulären Großlogen Frankreichs (Siehe dazu später eine kurze Erklärung). Bereits Jean-Charles Foellner, der Vorgänger des heute verklagten Großmeisters der GLNF, François Stifani, herrschte über ein bedeutsames infrastrukturelles Vermögen in Form von Stiftungen, caritativen und sozialen Einrichtungen und vor allem Immobilien der Loge. Diese Machtfülle galt es zu sichern und deshalb machte er den fiskalischen Verwalter seiner Firma (die Foellner Holding), Stifani, auf autoritärer Weise zu seinem Nachfolger. Der wurde als Großmeister für die spirituelle Seite des Geschäfts zuständig, aber konnte sich als Präsident der GLNF auch um die mehr lukrative Verwaltung des Vermögens kümmern (wobei Foellner hier scheinbar noch immer mitmischt).
Lukrativ, aber von vornherein auch fragwürdig. So kämpft z.B. eine der Stiftungen seit 2006 gegen den Vorwurf des betrügerischen Erschleichens eines Millionenerbes und es sind deshalb bereits einige GLNF-Brüder verurteilt worden. Bei anderen Stiftungen musste bereits der Gerichtsvollzieher eingreifen. Insgesamt ist die Vermögenstransparenz wie bei fast allen spirituellen Vereinen natürlich nicht sehr groß und tendiert zur Unterschätzung. Das Vermögen der GLNF, welche etwa 43.000 Brüder vereint, wird aber auf etwa 50 Millionen Euro geschätzt, was ja doch interessante Verwaltungs- oder Beratungshonorare ermöglicht … Das bildet dann auch die wahre Grundlage für den Politkrimi, der bereits 2009 startete und der, als ein im Freimaurermilieu noch nie gekannter Skandal, großes mediales Interesse erlangte.
Am 4. Dezember 2009 kam der „Souveräne Große Ausschuss“ der GLNF (ein vorrangig durch den Großmeister benannter Rat im Sinne eines „Zentralkomitees“) im großen Tempel, die eines multinationalen Unternehmens würdigen Pariser Zentrale der Loge, zusammen. Unerwartet versuchte ein Sprecher im Namen von dreißig anwesenden Brüdern, eine lange Liste von kritischen Fragen zu stellen. Es ging um den für die normalen Brüder undurchsichtigen Einsatz der 17 Millionen Euro jährlichen Beiträge sowie um die Beziehungen der Loge zur Staatsmacht. "Für wen halten Sie sich?“, unterbrach der Großmeister ihn barsch, beschuldigte ihn eines Komplotts und befahl seinen Hohen Offizieren, die Namen der Kritiker zu notieren. Außerdem wurde ihnen sofort das Recht, die Schürze tragen zu dürfen, aberkannt (die Schürze symbolisiert die Werte der Freimaurerei und berechtigt den Träger zur Mitarbeit). Fast die Strafe für Majestätsbeleidigung!
Am nächsten Tag präsidierte Stifani dann, als ob nichts passiert war, die große jährliche Versammlung der Loge mit etwa 2500 Teilnehmern und 58 ausländischen Delegationen. Zugleich lief hinter den Schirmen das Ausschlussverfahren der 24 Meuterer. Nach dem darauffolgenden Protest vieler Mitglieder der jeweiligen lokalen Logen der Meuterer schloss Stifani später sogar ganze Logen aus.