Der Ethnologe Sir Patrick Bateson schließt sich den Neuen Atheisten an.
Gegen Ende seines Lebens lud Charles Darwin Dr. Ludwig Büchner
, Präsident des Kongresses der Internationalen Freidenkervereinigung und Edward Aveling, ein selbstbezeichneter und aktiver Atheist, ins Down House zum Essen ein. Die Einladung erfolgte auf deren Anfrage. Emma Darwin, wie immer streng religiös, widerte der Gedanke an, solche Gäste an ihrem Tisch zu empfangen und sie isolierte sich von den Atheisten mit einem alten Familienfreund, dem Prediger Brodie Innes, zu ihrer Rechten und ihrem Enkel und dessen Freunden zu ihrer Linken. Nach dem Essen rauchten Darwin und sein Sohn Frank mit den beiden Besuchern in Darwins altem Studierzimmer Zigaretten. Darwin fragte sie mit überraschender Direktheit: „Warum nennen Sie sich Atheisten?“ Er meinte, er bevorzuge den Begriff Agnostiker. Obwohl Darwin die Ansicht teilte, dass das Christentum den Belegen nicht standhält, meinte er, dass Atheist ein zu aggressiver Begriff ist, um seine eigene Position zu beschreiben.
Viele Jahre lang war das, was für Darwin gut genug war, auch gut genug für mich. Ich nannte mich auch einen Agnostiker. Man hatte mich in einer christlichen Kultur aufgezogen und einige der vernünftigsten Humanisten, die ich kannte, waren Gläubige. Ich liebte die Musik und die Kunst, die durch einen Gottesglauben inspiriert wurden und ich sah keine Heuchelei dabei, an den großen Gesangsandachten teilzunehmen, die in der Kapelle des King's College in Cambridge stattfanden. Ich akzeptierte die Meinung einiger meiner wissenschaftlichen Kollegen nicht, dass die Erfolgsgeschichte der Wissenschaft zur Beseitigung der Religion geführt hatte. Mein Wunsch und der vieler Biologen, die biologische Evolution zu verstehen, war nicht der selbe Wunsch wie derjenige, der tief religiöse Menschen leitete, wenn sie die Frage nach der Bedeutung des Lebens stellten.
Ich hatte allerdings ein behütetes Leben geführt und war niemals jemandem begegnet, der aggressiv religiös war. Ich war natürlich angewidert über das, was ich über den grausamen Fanatismus aller Formen des religiösen Fundamentalismus gelesen hatte, oder von dem, was ich darüber im Fernsehen gesehen hatte. Eine solche Bösartigkeit schien mir aber nicht einfach mit religiösem Glauben zusammenzuhängen, weil viele Nicht-Gläubige ein genauso totalitäres Verhalten an den Tag legten wie diese Gläubigen. Mein Widerwille, an religiösen Debatten teilzunehmen, wurde auf einer großen Dinnerparty erschüttert. Die Dame, die neben mir saß, fragte mich, was ich tat, und ich sagte ihr, dass ich ein Biologe sei. „Ach sowas“, sagte sie, „dann haben wir viel zu bereden, weil ich nämlich glaube, dass jedes Wort in der Bibel im wörtlichen Sinne wahr ist.“ Ich war zutiefst erschüttert.
Wie sich herausstellte, gab es doch nicht viel zu bereden, denn sie ließ sich durch kein einziges der Argumente überzeugen, die ich ihr nennen konnte. Sie schien sich nicht über die Widersprüche zwischen den Evangelien des Neuen Testaments zu wundern oder über die zwischen dem ersten und zweiten Kapitel der Genesis. Sie stellte sich auch nicht die Frage, wo Kains Frau herkam? Die Viktorianer waren sehr zurückhaltend, was solche Dinge betraf, und sie belasteten sich nicht mit dem Gedanken, ob Kain vielleicht eine ungenannte Schwester geheiratet hatte, oder, Schreck lass nach, dass seine eigene Mutter seine Kinder geboren hatte, wie auch seine Enkelkinder und so weiter in der Geschlechterabfolge, bis andere Frauen zur Verfügung standen. Die Viktorianer machten sich trotzdem große Sorgen wegen dieser Frage und sie spekulierten über die Existenz vor-adamitischer Wesen, wahrscheinlich Engel, die Kain mit seiner Frau ausgestattet haben würden.
Meine kreationistische Dinnergefährtin machte sich über solche Trivialitäten keine Sorgen und winkte meine mangelnde Höflichkeit als das Problem eines Wissenschaftlers ab, der alles zu wörtlich nimmt. Es war jedoch nicht mein Problem, dass ich etwas zu wörtlich genommen hätte, sondern ihres und das ihrer kreationistischen Kollegen. Sie hatte sich in ihrer eigenen Schlinge gefangen. Es war auf jeden Fall einfach nur dämlich, es mit der Wissenschaft mit ihren eigenen Worten aufzunehmen, indem sie auf die Intelligenz verwieß, die im natürlichen Design eingeschlossen sein soll. Die Wissenschaft bietet ordentliche Methoden, mit denen man die natürliche Welt untersuchen kann. Eine der Methoden besteht darin, Theorien aufzustellen, die so viel wie möglich von dem, was wir über ein Phänomen wissen, in die Theorie integrieren, die das Phänomen umschließt. Die Theorien bieten Bezugssysteme, mit denen man die Eigenschaften der Welt überprüfen kann – und auch wenn es einige Theoretiker nicht glauben wollen, so sind ihre Theorien doch vollkommen überflüssig. Fakten sind weit verbreitete Meinungen und gelegentlich bricht der Konsens zusammen – und Meinungen ändern sich. Auf jeden Fall ist die Vorstellung, dass die enormen Gedankensysteme, die sich um Kosmologie, Geologie und die biologische Evolution gebildet haben, alle zusammenbrechen müssen, nichts anderes, als den Mond anzubellen. Kein ernsthafter Theoretiker würde seine Ansichten auf so einer Hoffnung gründen. Wenn religiöser Glaube auf der angeblichen Unwahrscheinlichkeit einer wissenschaftlichen Erklärung basiert, dann ist er anfällig für das Aufkommen einer wahrscheinlichen Erklärung. Es ist ein grober Fehler, seine Luftschlösser auf solchem Sand zu bauen.
Nicht lange nach diesem furchtbaren Dinner schrieb mir Richard Dawkins und fragte mich, ob ich meinen Atheismus öffentlich bestätigen würde. Ich konnte keinen Grund erkennen, warum ich das nicht tun sollte. Eine klare Definition des Atheismus ist der fehlende Glaube an Gott. Das trifft mit Gewissheit auf meine Position zu, auch wenn ich nicht dazu neige, den Glauben der ernsthaften und nachdenklichen Menschen mit starken religiösen Vorstellungen anzugreifen, die ich weiterhin treffe. Ich füllte den Fragebogen aus, den mir Richard geschickt hatte. Ich hatte meine Meinung geändert. Ein guter Freund von mir, Peter Lipton, der im November 2007 plötzlich verstarb, war eifrig daran interessiert, jüdische Traditionen in seinem Zuhause zu erhalten und seine öffentliche Verteidigung Israels entsprechend zu formulieren. Nach seinem Tod erfuhr ich überrascht, dass er sich als religiöser Atheist1 verstanden hatte. Ich hätte nicht überrascht sein sollen.
1Religiösen Atheismus gibt es auch unter der Bezeichnung „kulturelle Religiosität“, ein Phänomen, das vor allem im Judentum weit verbreitet ist. Über 50% der amerikanischen Juden glauben nicht an Gott, bezeichnen sich aber trotzdem als Juden und halten oftmals die entsprechenden Traditionen am Leben. (Anm. des Übers.)
Übersetzung: Andreas Müller
Quelle: www.edge.org
Der Autor Sir Patrick Bateson ist Professor für Ethnologie an der Cambridge Universität und Autor von Design for a Life, ein Buch über die Entwicklung menschlichen Verhaltens.
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