Kommentar

Hat Islamismus nichts mit Islam zu tun?

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Während Donald Trump dabei ist, die Weltwirtschaft zu zerstören, Wladimir Putin die Ukraine mit Raketen unter Dauerbeschuss nimmt und Europa bedroht, die AfD die SPD längst hinter sich gelassen hat und dabei ist, in Umfragen die CDU zu überholen, üben sich die Berliner Jusos in ideologischer Sprachkritik.

Auf ihrer Landesdelegiertenkonferenz in Berlin-Friedrichsfelde am vergangenen Wochenende beschloss der SPD-Nachwuchs, künftig den Begriff "Islamismus" nicht mehr zu verwenden: "Problematisch hierbei ist die begriffliche Nähe zum Islam. Dies erzeugt für viele Gläubige eine Stigmatisierung, da die Religion oft mit dem Begriff 'Islamismus' in Verbindung gebracht wird." Statt "Islamismus" wollen die Jusos zumindest in Berlin künftig "islamischer Extremismus" verwenden, so wie es beim "christlichen Extremismus" bereits der Fall ist.

Nun gibt es Extremismus in allen politischen Strömungen und Religionen, aber es gibt trotzdem gute Gründe, am Islamismus festzuhalten. Das Christentum kennt keine festgelegte politische Struktur und hat kein eigenes Rechtssystem. Christlicher Extremismus legt die Bibel wortwörtlich aus, aber das Christentum kannte von Anfang an zumindest auf dem Papier die Trennung von Religion und Staat: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" wird dem Religionsstifter Jesus in Matthäus 22,21 in den Mund gelegt.

Das Christentum war in seinen Anfängen eine jüdische Sekte, die sich dann im Laufe von Jahrhunderten vor allem im römischen Reich verbreitete. Als es an der Macht war, wurden zwar viele der hehren Grundsätze über Bord geworfen, aber es gab auch immer Gegenbewegungen, die auf Machtlosigkeit und Armut drängten. Die Geschichte des Islams ist eine andere: Der Religionsstifter Mohammed war ein erfolgreicher Heerführer. Er und seine Nachfolger eroberten innerhalb weniger Jahrzehnte ein riesiges Reich und schufen mit dem Kalifat eine staatliche muslimische Struktur. Mit der Scharia wurde auch ein islamisches Rechtssystem aufgebaut.

Islamisten betonen diesen immer vorhandenen politischen Rahmen des Islams, die Einheit von Religion und Politik. Die Nähe des Islamismus zum Islam, die von den Jusos kritisiert wird, ist ein Faktum, das von Anfang an zu dieser Religion gehört und ihren Erfolg ausmachte. Seit 1979, dem Jahr der Revolution im Iran, ist der Islamismus eine immer größere Gefahr geworden – nicht nur für Säkulare, Christen, Juden und Buddhisten, sondern auch für Muslime, die zwar religiös sind, aber nicht in einem islamischen Staat leben wollen.

Von allen Religionen ist der Islam derzeit diejenige Religion, aus der die meisten gewaltsamen Bewegungen mit systemischem Anspruch hervorgehen. Die Scharia ist Bestandteil der Verfassungen islamischer Staaten wie dem Iran, Saudi-Arabien und Pakistan. Sicher, es gibt Extremisten in allen Religionen, aber ihr Anteil an den Gläubigen ist geringer und zumeist lässt sich ihre Ideologie nicht direkt aus den jeweiligen Schriften ableiten. Ihr Extremismus ist ein Radikalismus, der religiöse Versatzstücke verwendet und somit eine moderne Form der ideologischen Auseinandersetzung ist. Auf ein verbindliches staatliches System inklusive Recht kann in der Regel jedoch nicht zurückgegriffen werden. Beim Islam ist das anders.

Der Begriff "Islamismus" stigmatisiert nicht den Islam. Im Gegenteil: Er versucht, den historischen Kern der Religion als "-ismus", als Ideologie darzustellen und von der Religion zu trennen. Korrekt wäre, statt vom Islamismus vom Islam zu reden und offenere, modernere Formen des Glaubens als Varianten darzustellen, die sich vom Religionskern entfernt haben und versuchen, einzelne Aspekte des Islams zu bewahren. Aber so eine Lösung würde den Berliner Jusos eher nicht gefallen, denn ihnen geht es darum, einen imaginierten, toleranten und offenen Islam vor Kritik zu schützen.

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