BERLIN. (hpd) Carmen Zedlack, Jurymitglied der Siegessäule, war 2012 nicht das erste Mal im Berlinalefieber. Die Cineastin, Humanistin, Feministin und Multikulturalistin arbeitet im medizinischen Bereich und beschäftigt sich dort vor allem mit den neuesten Erkenntnissen zur Aidsforschung. Die Berlinale war für sie, wie für viele andere BerlinerInnen, einer der Höhepunkte des Jahres.
Ihrem kritischen Blick entgeht nur wenig und wir nutzen die Gunst der Stunde für ein Interview:
hpd: Wo sahen Sie in diesem Jahr die Berlinale-Schwerpunkte, thematisch und vielleicht auch technisch?
C.Z.: Diese Frage ist schwer zu beantworten, da ich nur einen ausgewählten Teil sah. Meine Mitgliedschaft in der Else-Jury bot mir einen ausschließlichen Blick auf queere Filme, unabhängig von der "Gruppenzugehörigkeit". Die Schwerpunkte sind dabei wieder Homosexualität /Homophobie in den verschiedensten Ländern, der Kampf gegen Homophobie, die Lebenssituationen von LGBTI, Liebesgeschichten, Lebensgeschichten.
Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach eine extra QUEER Film-Abteilung? Ist das noch notwendig im weltoffenen Berlin?
Eine eigene QUEER-Film-Abteilung gibt es ja nicht und diese würde ich auch eher ablehnen, da ich es lieber sehe, wenn queere Themen in alle Sektionen integriert sind. Sie sind "normaler" Bestandteil des Lebens, der Gesellschaft, der Politik. Eine eigene Auszeichnung bzw. Preise (Teddy und Else) finde ich dennoch absolut notwendig, um Vorbilder und Identifikationsfiguren zu kreieren oder zu stärken.
Was vermissten Sie auf der diesjährigen Berlinale?
Als Jury-Mitglied mit vollem Programm war ich völlig ausgefüllt und vermisste nichts. Durch den Fokus auf queere Themen habe ich im Moment jedoch nicht die Übersicht über die aktuell politischen Themen, bzw. den Überblick darüber, ob diese politischen Themen auch ausreichend vertreten sind. Aber auch da wäre mein Blick wieder persönlich gefärbt. Hätte ich FreundInnen aus China oder aus Peru, würde ich sicher Filme aus diesen Ländern oder zu deren politischer Situation vermissen.
Welcher Film hat Sie besonders beeindruckt?
Zwei Filme haben mich tief beeindruckt (sehr beeindruckt habe mich noch einige mehr...) So habe ich "Man for a Day" gesehen, der mir sehr gut gefallen hat. Es war eine Dokumentation über einen Workshop der Gender-Aktivistin Diane Torr. Sie hatte eine wunderbare Auswahl von Frauen, die in diesem workshop eigene und männliche Verhaltensweisen analysiert und studiert haben, um sich dann als Mann verkleidet in der Öffentlichkeit zu bewegen. Es war wunderbar feinfühlig, gut analysiert, witzig und lebhaft dokumentiert.
Später sah ich dann einen Film, der mich unglaublich beeindruckt hat: es war eine Dokumentation über den LGBTI-Aktivist David Katos aus Uganda. Er und seine MitstreiterInnen kämpfen in einer extrem homophoben Gesellschaft unter Todesdrohung und in der Illegalität (Homosexualität ist in Uganda illegal) für die Rechte von LGBTI: Ich habe großen Respekt bzw. Bewunderung für die Menschen, die sich unter diesen erschwerten Bedingungen engagieren und sie verdienen neben dem Respekt jede Unterstützung!!
Die Fragen stellte S. Navissi
Als Ergänzung:
Ein herausragender Berlinale Beitrag war auch der Film "Audre Lorde - the Berlin years" von Dagmar Schulz. Audre Lorde hat die afro-deutsche feministische Bewegung mitinitiiert und wichtige Impulse aus der amerikanischen Feminismusdebatte nach Deutschland transportiert, vor allem im Hinblick auf weißen vs schwarzen Feminismus.
"Wir sind alle anders" war ihre Message an die afro-deutschen Frauen, nicht der Universalismus, der nach Gemeinsamkeiten sucht wo keine sind und sein müssen, sondern ein Aufruf stolz zu sein - auf das Anderssein.
Es gibt eine weitere Möglichkeit, den Film über die feministische, lesbische, afro-amerikanische Politaktivistin und Dichterin zu sehen: Am 3.3.2012 wird er in Berlin in der UFA Fabrik gezeigt.