Das Geheimnis des Bewusstseins

Steven Pinker über das Gehirn, die Seele und den Geist in der Maschine (Teil 2).

Die Illusion von Kontrolle

Eine weitere erstaunliche Schlussfolgerung der Bewusstseinsforschung lautet, dass das intuitive Gefühl, dass ein steuerndes „Ich“ in einem Kommandoraum Ihres Gehirns sitzt und die Bildschirme der Sinneseindrücke überwacht und die Knöpfe der Muskeln drückt, eine Illusion ist. Das Bewusstsein besteht vielmehr aus einem Strudel von Ereignissen, die über das Gehirn verteilt sind. Diese Ereignisse konkurrieren um Aufmerksamkeit und wenn ein Prozess die anderen übertrumpft, dann wird dem Gehirn nur das Ergebnis klar und es heckt aus, dass die ganze Zeit ein einziges Selbst die Kontrolle hatte.

Nehmen wir zum Beispiel die berühmten Experimente zur kognitiven Dissonanz. Wenn ein Versuchsleiter Menschen dazu brachte, Elektroschocks in einem vorgetäuschten Experiment rund um das Lernen auszuhalten, dann bewerteten diejenigen, denen man einen guten Grund gegeben hatte („Es wird Wissenschaftlern helfen, den Lernprozess zu verstehen“) die Schocks als schmerzvoller im Vergleich zu jenen, denen man einen schlechten Grund gegeben hatte („Wir sind neugierig.“). Vermutlich liegt das daran, dass sich die zweite Gruppe dumm dabei vorgekommen wäre, ohne guten Grund zu leiden. Wenn man diese Personen allerdings fragte, warum sie den Schocks zugestimmt hatten, dann gaben sie voller Ernst unsinnige Gründe an, wie etwa „Ich spielte oft an Radios herum und habe mich an Elektroschocks gewöhnt.“

Es werden nicht nur Entscheidungen in unklaren Sachlagen rationalisiert, sondern auch die Beschaffenheit unserer unmittelbaren Erfahrung. Wir alle haben das Gefühl, uns einer großen und detailreichen Welt vor unseren Augen bewusst zu sein. Dennoch ist die Wahrnehmung außerhalb unseres Blickzentrums erstaunlich grobkörnig. Versuchen Sie einfach mal, Ihre Hand wenige Zentimeter außerhalb Ihrer Sichtlinie zu halten und ihre Finger zu zählen. Würde jemand jedes mal wenn man zwinkert ein Objekt entfernen und wieder vor Sie halten, (was Wissenschaftler simulieren können, indem sie zwei Bilder in schneller Abfolge aufleuchten lassen), hätten Sie erhebliche Probleme, den Unterschied zu bemerken. Normalerweise flitzen die Augen von Ort zu Ort und lassen sich auf dem Objekt nieder, das unsere Aufmerksamkeit nach dem Muss-man-wissen-Prinzip benötigt. Es wird uns vorgetäuscht, ein Detail bei unserem Blick von Wand zu Wand sei die ganze Zeit schon da gewesen – ein Beispiel für die Art und Weise, wie wir den Umfang und die Macht unseres Bewusstseins überschätzen.

Die Urheberschaft von freiwilligen Tätigkeiten kann ebenfalls eine Illusion sein, so lautet das Ergebnis einer entdeckten Korrelation zwischen unseren Entscheidungen und der Art und Weise, wie sich unsere Körper bewegen. Der Psychologe Dan Wegner hat das Partyspiel untersucht, bei dem eine Versuchsperson vor einem Spiegel sitzt, während eine zweite Person ihre Arme von hinten unterhalb der Achselhöhlen der Versuchsperson durchstreckt, um den Eindruck zu erwecken, die Versuchsperson bewege ihre eigenen Arme. Hört die Versuchsperson nun eine Tonaufnahme, die der zweiten Person Armbewegungen vorschreibt (winken, die Nasenspitze berühren, etc.), hat sie das Gefühl, in Wirklichkeit selbst die Kontrolle über die Bewegungen zu haben.

Diese Tatsachenverdrehung des Gehirns gestaltet sich noch deutlicher in neurologischen Bedingungen, in denen die gesunden Teile des Gehirns die Schwächen der beschädigten Teile (die unsichtbar sind für das Selbst, da sind Bestandteil sind des Selbst) wegerklären. Ein Patient, der seine Frau vom Bauchgefühl her nicht wiedererkennt, räumt ein, dass sie genau so aussieht und sich genau so verhält wie sie und dass sie daher eine besonders geübte Betrügerin sein muss. Ein Patient, der glaubt, zu Hause zu sein, und der den Krankenhaus-Aufzug sieht, sagt ohne jegliches Erstaunen, „Sie würden nicht glauben, was es kostet, so einen hier einzurichten.“

Warum existiert das Bewusstsein überhaupt, zumindest im Sinne des Einfachen Problems, laut dem einige Arten von Information verfügbar sind und andere verdeckt? Ein Grund ist Informationsüberflutung. Genau wie eine Person heute von der Datenflust eines elektronischen Mediums überlastet sein kann, so können auch Entscheidungskreisläufe im Gehirn überschwemmt werden, würde jeder Schnörkel und jedes Muskelzucken, das irgendwo im Gehirn registriert wird, ständig zu ihnen geschickt werden. Stattdessen erhalten unser Arbeitsspeicher und unser Aufmerksamkeitsscheinwerfer Zusammenfassungen von Ereignissen und Zuständen, die am entscheidensten sind, um unser Verständnis der Welt auf dem Laufenden zu halten und herauszufinden, was als nächstes zu tun ist. Der Neuropsychologe Bernard Baars vergleicht das Bewusstsein mit einer globalen Tafel, auf die Gehirnprozesse ihre Ergebnisse schreiben und die Ergebnisse anderer überwachen.

Unsere eigenen Lügen glauben

Ein zweiter Grund, warum Information dem Bewusstsein vorbehalten wird, ist strategischer Natur. Der Evolutionsbiologe Robert Trivers bemerkte, dass Menschen ein Motiv haben, sich als großzügig, rational und kompetent Handelnde auszugeben. Der beste Propagandist glaubt seine eigenen Lügen und garantiert damit, dass seine Täuschung nicht durch nervöses Zucken oder Selbstwidersprüche auffliegt. Das Gehirn könnte also so gestaltet sein, dass es bloßstellende Informationen vor den bewussten Prozessen versteckt, die unseren Austausch mit anderen Menschen bestimmen. Auf der anderen Seite bewahrt es die Informationen in unbewussten Prozessen, damit die Person nicht zu sehr den Realitätssinn verliert.

Wie sieht es mit dem Gehirn selbst aus? Sie fragen sich vielleicht, wie Wissenschaftler auch nur damit anfangen konnten, den Sitz des Bewusstseins in der Kakophonie von hunderten Milliarden plappernden Neuronen ausfindig zu machen. Der Trick besteht darin, sich anzusehen, welche Teile des Gehirns sich verändern, wenn das Bewusstsein einer Person von einem Erlebnis zu einem anderen schaltet. Bei einer Technik namens Zweiaugen-Wetteifer ("binocular rivalry"), werden dem linken Auge vertikale Streifen und dem rechten Augen horizontale Streifen gezeigt. Die Augen wetteifern um das Bewusstsein und die Person sieht einige Sekunden lang vertikale Streifen und einige Sekunden lang horizontale Streifen und so weiter.

Eine einfache Möglichkeit, diesen Effekt selbst zu erleben, besteht darin, mit dem rechten Auge durch eine Papierröhre zu blicken, während man sich mit der linken Hand das linke Auge zuhält. Nach ein paar Sekunden müsste ein weißes Loch in der Hand erscheinen, wieder verschwinden, und wieder auftauchen.

Auch Affen erleben den Zweiaugen-Wetteifer. Sie können lernen, immer dann einen Knopf zu drücken, wenn ihre Wahrnehmung umschaltet, während ihre Gehirne mit Elektroden verbunden sind, die jede Veränderung der Aktivität erkennen. Der Neurowissenschaftler Nikos Logothetis fand heraus, dass sich die ersten Systeme für optischen Input im hinteren Teil des Gehirns kaum rührten, als das Bewusstsein der Affen von einem Stadium zum anderen wechselte. Es war vielmehr eine Region tiefer im Informationsfluss, die zusammengehörige Formen und Objekte wahrnimmt, die das Bewusstsein des Affen verfolgt. Das heißt nicht, dass es sich bei diesem Ort an der Unterseite des Gehirns um den Fernsehbildschirms des Gehirns handelt. Was es laut einer Theorie von Crick und seinem Mitarbeiter Christof Koch bedeutet, ist, dass sich das Bewusstsein nur in höheren Regionen des Gehirns aufhält, die mit Kreisläufen für Gefühle und Entscheidungsfindung verbunden sind, wie man es von der Tafel-Metapher erwartet hätte.

Fortsetzung folgt...

Zu Teil 1 des Artikels.

Übersetzung: Andreas Müller

Quelle: Pinker, Steven: The Mystery of Consciousness. Time. 19. Januar 2007

 

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