Wer ist der Igel, wer der Hase? (2)

HAMBURG. (hpd) Das Hamburger Verwaltungsgericht hat gegen die „Arbeitsgruppe Scientology" der Hamburger Behörde für Inneres ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Euro verhängt. Ein Lehrstück über die Freiheit von Religionen und Weltanschauungen in Deutschland sowie über die ‚Räuberpistole' zweier Gegner, von denen die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt wird. (Teil 2)

 

Vergleichbare Ideen von Hoffnungen, Versprechen und Sicherheiten

Ob nun die Christen die Menschen mit dem „Fegefeuer" und der „Hölle" bedrohen, vor dem nur ein gottgerechtes Leben schützen kann (was Menschen aber eigentlich als Erb-Sünder nicht möglich ist), oder Söka Gakkai, eine Organisation mit vergleichbarer Größe und nachgesagter Aggressivität wie Scientology, den Suchenden verspricht: „Durch das Befolgen der Übungen des Buddhismus ist jeder Mensch in der Lage, sein eigenes Leben in Harmonie mit der kosmischen Existenz zu bringen - mit dem Ergebnis eines größeren Maßes an Weisheit, Mut, Lebenskraft und Mitleid." Oder einfacher: „Jeder Mensch hat ein Potential, das allerdings durch Kultur und Konventionen verschüttet ist. Wir legen es wieder frei."

Jeder halbwegs frustrierte Mensch, der seine Talente verkannt sieht – und wer tut das nicht – ist begeistert.

Es ist mit dem vergleichbar, was Scientology anbietet: „Dianetik und Scientology geben jedem, der die Reise zu seinem Ziel der spirituellen Vervollkommnung und Erlösung antritt, die Werkzeuge in die Hand, um wahre geistige Freiheit und Unsterblichkeit zu erlangen. Solch einen Erlösungsweg hat es nie zuvor gegeben, und Millionen von Menschen auf der ganzen Welt betrachten ihn als unschätzbar wertvoll. Sie wissen, dass sie - unter der Voraussetzung ihres eigenen aufrichtigen und ethischen Engagements - die in Scientology angestrebten spirituellen Erlösungsstufen mit hundertprozentiger Sicherheit erreichen werden, wenn sie die Lehre exakt gemäß den Schriften L. Ron Hubbards ausüben."

Wer so etwas sucht, hat es nun auf dem Markt der Möglichkeiten jeweils gefunden.

Alles selbst gestrickt

Das Bemerkenswerteste an Scientology ist die Offensichtlichkeit, mit der L. Ron Hubbard seine Lehre allmählich aufbaute und nach Bedarf in immer weiteren Vorträgen ausgeklügelte Anweisungen zum Ausbau der Scientology-Church erdachte. Was jedoch bei anderen Religionen – wie auch dem Christentum – im mystischen Dunkel von vor zweitausend Jahren verborgen wird und „göttlich" überhöht bleibt, ist bei Hubbard klarer, und dennoch nichts anderes als bei allen Religionen, die auf vergleichbare Weise durch (einen) Menschen erfunden wurden und werden.

Was für einen Außenstehenden, also Nicht-Gläubigen, eigenartig erscheinen mag, hat für die Gläubigen selber eine wichtige Funktion. Beispielsweise hatten die Scientologen ein Problem, dass ihr Gründer Hubbard, der nach der Scientology eigenen Lehre als „Operierender Thetan" eigentlich gar nicht mehr erkranken kann, anscheinend krank wurde: Er wurde einfach der Öffentlichkeit entzogen. Offiziell wurde 1984 zwar von seinem Nachfolger erklärt, Hubbard habe seinen sterblichen Körper verlassen, dies aber irgendwo im Verborgenen getan hat und werde sich einen neuen Körper suchen. So gibt es in jeder „Scientology Kirche" ein für normale Besucher mit einem Seil abgesperrtes Büro, an dem neben der Tür der Name des dort Arbeitenden steht: L. Ron Hubbard.

Diese Idee, die auch beispielsweise die muslimischen Schiiten für den Zustand des zwölften Imam verwenden – er verschwand im Jahr 873 mit fünf Jahren – nennt sich „Okkultation" und beschreibt den Zustand, dass der Messias oder Prophet faktisch gar nicht gestorben sei, sondern im Verborgenen auf einen geeigneten Zeitpunkt seiner Rückkehr wartet. Die Auferstehungsgeschichte, das leere Grab Christi, seine Rückkehr und das „Jüngste Gericht" des Christentums sind davon auch nicht weit entfernt.

Compositum Mixtum

Man kann als Nicht-Gläubiger leicht darüber spotten, dass sich Scientology einerseits als „buddhistisch" beeinflusst versteht und gleichzeitig als Kirchensymbol das esoterische achtspitzige Tarot-Kreuz (nach A. Crowley) verwendet. Für Scientologen selbst besteht darin aber ebenso wenig ein Widerspruch, wie zwischen dem Juden Jesus Christus und dem christlichen Antijudaismus.

Auch viele andere Elemente dessen, was sich in Scientology als Glaubenselemente finden lässt, ist ähnlich oder vergleichbar in anderen Metaphysiken zu finden. Die Vorstellung des „clear"-Werdens der Scientologen ist durchaus vergleichbar mit Vorstellungen von „Erkenntnis", „Erweckung", „Berufung", „Reinigung" etc. anderer Systeme.

Und falls jemand meinen sollte, dass bei den Scientologen alles irgendwie „zusammengestoppelt" sei, der soll erst einmal in die Geschichte des Christentums schauen und feststellen, bei welchen anderen Religionen, Kulten und Philosophien sich das Christentum ungeniert bedient hat – man nehme nur den 25. Dezember, das Fest des Mitras-Kults, des „Sol Invictus", dem unbesiegbaren persischen Sonnengott – „ex oriente lux" – auf den dann der angebliche Geburtstag des Jesus aufgepfropft wurde.

Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Christentum und Scientologen ist – unter anderem – die (vermeintliche) Selbstbestimmtheit eines scientologisch Angesprochenen, der noch in dieser Welt „Erkenntnis" und „Erlösung" erreicht, gegenüber der christlichen Verschiebung der persönlichen Heilserwartung in einen göttlichen Bereich nach dem Tode, der dem menschlichen Zugriff entzogen bleibt.

Auch hier aber wieder die entgegen gesetzte Parallelität zweier Zustände. Für die Christen ist der Tod nur ein Doppelpunkt, da sie dann in das „Reich Gottes" hinüberwechseln, während die Scientologen über die große Brücke hinüberwandern, um dort „clear" zu werden / zu sein und als „Thetan" weiter zu leben. Die Grundmaxime ist dieselbe: Wer's glaubt, der wird gläubig.

„Arbeitsgruppe Scientology"

Die „Arbeitsgruppe Scientology" besteht mit mehreren Mitarbeitern seit Oktober 1992, also bald 16 Jahre. Für den Aufwand an Steuergeldern, also die Existenz dieser Arbeitsstelle, ist die These vom „Staatsfeind Scientology" überlebensnotwendig.

Leiterin der Arbeitsgruppe ist Ursula Caberta: „Die Jägerin der rachsüchtigen Sekte". Andere Mitarbeiter sind öffentlich nicht bekannt und werden auch nicht benannt. „Deutschlands härteste Scientology-Kritikerin (Aktueller Bestseller: "Schwarzbuch Scientology") kämpft seit 15 Jahren gegen die Organisation und fordert deren Verbot. Eine Überwachung durch den Verfassungsschutz reiche nicht aus. Ursula Caberta, Leiterin der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology, warnt: "Wir haben es hier mit einer politisch extremistischen Bewegung zu tun, die unter dem Deckmantel der Religion daherkommt." So wird sie bei „Menschen bei Maischberger" in der Sendung: „Scientology: Wie gefährlich ist die Psychosekte?" vorgestellt.

In der Titelzeile der Welt: „Vorkämpferin gegen die modernen Seelenfänger" bezieht sich das „moderne" vermutlich auf die „Psychotechniken", die sich in der Titelzeile der Süddeutschen Zeitung „Die Gehirnwäscher aus Hollywood" (Januar 2008) auch wieder finden.

Die Arbeitsgruppe – der seit 2001 auch eine „Oberste Landesjugendbehörde für den Jugendschutz bezüglich neuer und ideologischer Gemeinschaften und Psychogruppen" zur Seite gestellt ist (Leiterin: Ursula Caberta, Themen: Ayurveda und Transzendentale Meditation) d.h. auch für Jugendliche zuständig sein sollte, die im Internet surfen und sich informieren wollen –, hat eine Internetseite, deren Zustand eigenartig ist. Am 22. Februar 2008 ist die Internetseite auf dem Stand vom 11. Juni 2003 und es gibt unter anderem in der Rubrik „Kritische Presse" nur zwei Interviews: mit Frau Caberta – aus den Jahren 2002 und 2003 –, 22 Gerichtsurteile (von mehr als fünfzig Verfahren) – aus den Jahren 1977 bis 1999 mit dem Schwerpunkt 1993/1994 –, und natürlich alle nachteilig für Scientology. Der einfachste Grundsatz des Handelns der staatlichen Verwaltung – sachgerecht aufzuklären –, wird anscheinend mit politischer Propaganda verwechselt.

Der „Teufel" Scientology

Ursula Caberta, (in Selbstdarstellung) „ein durch und durch sozialdemokratisch denkender Mensch" (Scientology greift an, 1997, S. 170) und „profilierteste Expertin in Sachen Scientology" denkt in christlichen Dimensionen von Gut gegen Böse, wobei sie für das Gute steht und Scientology für das Böse bzw. für den „Teufel". Zwei Beispiele:
„Er [Tom Cruise] ist dafür da, den Teufel Scientology mit Glamour als Engelchen zu tarnen." (NDR). Eine Zuweisung von großer Kontinuität. Co-Autor Gunther Träger hat sie bereits wörtlich in dem gemeinsamen Buch mit Caberta 1997 (S. 121) auf die „Götzen aus Glamour" bezogen.

Aber es werden medial noch weitere Assoziationskreise erzeugt, z.B. DDR-Fluchthelfer, Tarnung, Aussteiger und zurück ins Leben: „Die Fluchthelferin: ‚Getarnte Teufel' nennt sie die Scientologen. Ursula Caberta unterstützt Aussteiger aus der Psycho-Sekte beim Weg zurück ins Leben." (Tagesspiegel, 5.8.2007)

Mit diesen wahrhaft diabolischen Kräften ist es dann ganz plausibel: "Scientology will Berlin knacken". (Stern, 14.5.2008)

Es ist erstaunlich, dass die Medien über solchen offensichtlichen Blödsinn berichten.

Beide Seiten geben sich dabei nichts. So hart wie Ursula Caberta austeilt, „L. Ron Hubbard, der geisteskranke Gründer der Sekte", muss sie auch einstecken. Als Beispiel: Ihre Ankunft am 22. Juli 2000 in Clearwater, dem Hauptsitz der Scientologen, wird zum modernen ‚Spießrutenlauf'.

Hase und Igel

Alles schien sich inzwischen erledigt zu haben. Man plänkelte gegeneinander herum, klagte hier, wurde dort verurteilt, bekam dort Recht, das gleiche ‚Spiel' wie seit Jahren. Kaum jemand sprach nach der Jahrtausendwende noch ernsthaft über Scientology, bis an einem verhängten Berliner Neubau die Planen entfernt wurden und – zur Überraschung aller Politiker und Medien – an der Straßenfront der Otto-Suhr-Allee in Berlin ein mehrstöckiges Gebäude sichtbar wurde, dass unübersehbar groß ein Kreuz und einen Schriftzug präsentierte: „Scientology Kirche".

Die „riesige Deutschland-Zentrale", „angesetzt auf den Bundestag", das politische Zentrum. Der Eindruck, dass es eine gewaltige Baumasse habe, täuscht jedoch. Wer zur angeschrägten Haus-Schmalseite in die Nebenstraße hinein geht, sieht sofort, dass es eher wie ein schmales ‚Handtuch' gebaut ist: Imposante Breite, geringe Tiefe.

Im Übrigen werden, soweit es bekannt ist, alle deutschen „Kirchen" von Kopenhagen aus geleitet.

Die Überraschung konnte gelingen, weil Scientology und die Arbeitsgruppe seit einigen Jahren einen Wettbewerb betreiben, bei dem bald nicht mehr zu unterscheiden ist, wer der Hase und wer der Igel ist.

Die Logik ist einfach: Scientology wird geächtet und daran gehindert, ohne behördliche Einschränkungen für sich zu werben, also sind sie „verdeckt" unterwegs, mit vorgeschobenen Personen und Firmen. Da das früher oder später öffentlich wird, ist es dann ein spezieller Vorwurf, sie würden „verdeckt wühlen", weil sie sich so verhalten, wozu sie sich gezwungen sehen. So wurden die Gebäude der Scientology-Kirchen in Berlin und in Hamburg von anderen Firmen gekauft und (um)gebaut, da Scientology selber keine Genehmigung dafür bekommen hätte.

So sehr von Seiten der Scientology diese Einschränkungen als „lästig" angesehen werden, so sehr kann man sich dem Eindruck nicht verschließen, dass es ihren sportlichen Ehrgeiz anstachelt, diese Hürden zu umgehen und zu gewinnen.

So entstehen bemerkenswerte Zusammenhänge. Caberta und die Arbeitsgruppe brauchen Scientology, brauchen sie als gefährliche Organisation, die beobachtet werden muss – in Hamburg zudem auch noch vom Verfassungsschutz –, denn bei ‚harmlosen Spinnern' würde die Arbeitsgruppe und auch der Verfassungsschutz nicht gebraucht. Insofern kann die Arbeitsstelle eigentlich – als Widerspruch zu den eigenen Forderungen – gar kein Interesse daran haben, dass Scientology verboten werden würde, da sie dann aufgelöst werden müsste.

Die Scientologen brauchen die Arbeitsgruppe eigentlich nicht – im Gegenteil, sie würden es wahrscheinlich begrüßen, wenn Caberta aufhören würde –, aber andererseits erhalten sie durch Caberta eine Öffentlichkeit und ein Image – als gefährlich und ‚ernst zu nehmen' –, das sie sich selber schlecht zusprechen können.

Eine eigenartige Allianz

Mediale Öffentlichkeit funktioniert nach dem Prinzip, dass nur das existiert, worüber berichtet und gesprochen wird. In diesem Sinne wäre „tot schweigen" eigentlich die einfachste und wirksamste Strategie.

Ortstermin 3: Es dauerte, bis wir einen Termin bei Frau Caberta bekommen. Wir werden an dem großen Besuchertisch platziert und warten. Eine Überraschung ist, dass auf dem Tisch Hochglanz-Magazine und Werbe-CDs der Scientology-Kirche liegen. Dann kommt Frau Caberta, wir stellen uns vor. Als ich ihr erläutern möchte, welche Informationen bereits vorhanden sind, was ich gelesen habe, unterbricht sie energisch: „Wenn Sie den Namen Renate Hartwig hier noch einmal nennen, können Sie gleich gehen."
(Erläuterung: Renate Hartwig hatte 2002 in ihrem Buch „Die Schattenspieler" Frau Caberta und den Verfassungsschutz als „Heuchler und Pharisäer am Steuertrog" dargestellt, denen es nicht um den Kampf gegen Scientology sondern um den Erhalt ihrer Planstellen gehe.)
Dann monologisiert Frau Caberta eine Viertelstunde über ihre erfolgreiche Arbeit und die Gefährlichkeit von Scientology. Von den vorbereiteten zwölf Fragen können wir drei stellen, bei der vierten ist das Gespräch beendet. Die Frage war: „Können Sie mir bitte einen Scientologen nennen, der im Vorstand eines börsennotierten deutschen Unternehmens sitzt?" Antwort: „Sie glauben doch wohl etwa nicht, dass ich ihnen vertrauliche Informationen ausplaudere! Es reicht mir."

Es bedarf eines mehrmaligen Nachfragens bei der Pressestelle der Behörde des Inneren, bis die schriftlich eingereichten Fragen zurückgeschickt werden. Standardantwort auf alle Fragen ist: „Bereits bei dem Gespräch erläutert."

Auch 2007 keine Erfolge von Scientology

Der Verfassungsschutzbericht 2007 der Hamburger Behörde für Inneres hat wiederum ein 11-seitiges Kapitel zur „Scientology Organisation" mit allgemeinen Schilderungen von Organisationsstruktur und Zielen. Für 2007 wird u.a. festgestellt: „Um die Expansion in Deutschland anzukurbeln, ergoss sich im Jahr 2007 eine Flut von Werbesendungen der SO aus den USA und aus deutschen Niederlassungen über Schulen, staatliche Einrichtungen, private Firmen und Regierungsstellen." (S. 225) Abschließend wird jedoch festgestellt: „Bedeutende Erfolge der SO oder eine erfolgreiche Beeinflussung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder politischer Bereiche durch Scientologen in Hamburg konnten auch im Jahr 2007 nicht festgestellt werden." (S. 228) Mitverantwortlich dafür sei auch die „kontinuierliche Aufklärungsarbeit der zuständigen Stellen."

Dass so gut wie alle religiösen und kirchlichen Angebote in den letzten Jahren geringeren Zulauf haben, bleibt unerwähnt.

Ordnungsgeld gegen Arbeitsgruppe verhängt

Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Dezember 2005 (BVerwG 7 C 20.04 vom 15.12.2005) auf der Grundlage des GG Art.4 Abs. 1 (Religionsfreiheit) die Revision der Arbeitsstelle Scientology gegen ein Urteil des Hamburger Oberverwaltungsgerichtes vom 17. Juni 2004 zurückgewiesen und der klagenden Scientologin Recht gegeben.

„Technologie-Erklärung"

Gegenstand des Verfahrens war die so genannte „Technologie-Erklärung", die von Ursula Caberta entwickelt worden war: "Ich erkläre hiermit, dass 1. ich bzw. meine Firma nicht nach der Technologie von L. Ron Hubbard arbeiten, 2. weder ich noch meine Mitarbeiter auf meine Veranlassung nach der Technologie von L. Ron Hubbard geschult werden bzw. keine Kurse und/oder Seminare nach der Technologie von L. Ron Hubbard besuchen, 3. ich die Technologie von L. Ron Hubbard zur Führung eines Unternehmens ablehne und ich nicht Mitglied der IAS = International Association of Scientologists bin." Diese Erklärung wird von Scientology-Gegnern im Internet weiter verbreitet.

Das Hamburger Oberverwaltungsgericht hatte sein Urteil, dass die Arbeitsgruppe die Weitergabe dieser „Technologie-Erklärung" zu unterlassen habe, wie folgt begründet: „Die Klägerin könne für ihren Glauben an die scientologische Lehre beziehungsweise ihre Weltanschauung den Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. Sie habe die Lehren der Scientologen als für sich verbindlich anerkannt und glaube an die transzendenten Elemente der Lehre von L. Ron Hubbard. Deshalb sei unerheblich, ob die Scientology Kirche Deutschland und andere ihr verbundene Organisationen den Schutz des Art. 4 GG deshalb nicht genössen, weil ihnen die ideellen Ziele der Scientology nur als Vorwand für wirtschaftliche und unter Umständen machtpolitische Betätigungen dienten. Der Staat könne zwar die Öffentlichkeit oder interessierte Bürger über religiöse und weltanschauliche Gruppen informieren und sich kritisch mit ihnen auseinander setzen. Der Beklagten sei nicht verwehrt, in Einzelfällen beratend tätig zu werden, auf Nachfrage Empfehlungen zu geben und mögliche Schutzmaßnahmen aufzuzeigen. Derartige Verhaltensempfehlungen seien aber nur dann verhältnismäßig, wenn einerseits eine Gefahr von der Person oder der religiösen oder weltanschaulichen Gruppe ausgehe, der sie angehöre, und wenn andererseits bei dem Ratsuchenden ein überwiegendes anerkennenswertes Schutzbedürfnis vorliege. Von der Scientology Bewegung könnten Gefährdungen ausgehen, die es rechtfertigten, Firmen durch Übergabe der Erklärung zu helfen, sich vor einer Ausnutzung durch die Scientology Bewegung zu schützen. Ein derartiges Schutzbedürfnis habe bei dem Hersteller des Vitaminkonzentrats gegenüber der Klägerin jedoch nicht bestanden. Eine Infiltration und Einflussnahme auf das Unternehmen sei nicht zu befürchten gewesen."

Was ist eine Religion oder Weltanschauung?

Das Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Urteilsbegründung aus: „Die Klägerin kann für ihre Betätigung als Scientologin den Schutz des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nach Art. 4 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen.

Unter Religion oder Weltanschauung ist eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens zu verstehen; dabei legt die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende ("transzendente") Wirklichkeit zugrunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche ("immanente") Bezüge beschränkt (Urteil vom 27. März 1992 BVerwG 7 C 21.90 BVerwGE 90, 112 ).

Das Oberverwaltungsgericht hat der Sache nach festgestellt, die Lehren von L. Ron Hubbard bestimmten die Ziele des Menschen, sprächen ihn im Kern seiner Persönlichkeit an und erklärten auf eine umfassende Weise den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens. Es hat hierfür beispielhaft verwiesen auf die Lehren von L. Ron Hubbard über die unsterbliche Seele als Träger einer Lebensenergie, die sich durch unzählige Leben wandele, sowie über den an Erlösungsstufen erinnernden Weg zu höheren Daseinsstufen als Ziel des menschlichen Daseins.

Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, derartige Aussagen der scientologischen Lehre seien geeignet, den Begriff des Glaubens oder der Weltanschauung zu erfüllen."

Der Leitsatz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes lautet: „Die Aufgabe der Staatsleitung und die aus ihr abgeleitete Befugnis zu staatlichem Informationshandeln ermächtigen den Staat nicht, Dritten zur Verwendung im Geschäftsverkehr vorformulierte Erklärungen zu überlassen, die den Geschäftspartner des Dritten zur Auskunft über seine Beziehungen zu einer Sekte (hier: Scientology) veranlassen sollen."

Die „Technologie-Erklärung" blieb dennoch weiterhin auf der Internetseite der Arbeitsstelle stehen.

Schwerwiegende Zuwiderhandlung

Das Hamburger Verwaltungsgericht hat daraufhin am 27. Juni 2008 ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 Euro verhängt, denn „nach Art und Umfang liegt eine schwerwiegende Zuwiderhandlung vor. Immerhin handelt es sich um einen durch nichts gerechtfertigten Grundrechtseingriff."

Die Richter sprechen vom „Einsatz spürbarer Beugemittel" und erläutern die Höhe des Ordnungsgeldes. „Auf jeden Fall wird aus dem gesamten Verhalten der Antragsgegnerin [Verantwortliche Leiterin: Ursula Caberta] deutlich, dass es einer spürbaren Beeinflussung ihres widerstrebenden Willens bedarf, um sie zur Kenntnisnahme und schließlich auch zur Einhaltung ihrer Pflichten zu bewegen. Denn offenbar glaubt die Antragsgegnerin sich damit begnügen zu dürfen, stets erst dann zu (re)agieren, wenn ihr eine Zuwiderhandlung nachgewiesen wurde und eine gerichtliche Sanktion droht. Diese verfehlte Einstellung lässt - wie in der Vergangenheit - weitere Zuwiderhandlung ernsthaft befürchten, zumal die Einlassungen der Antragsgegnerin keinerlei Einsicht in die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens erkennen lassen."

Ein pensionierter Verwaltungsrichter, zu dem Vorgang befragt, ist irritiert: „Ist dieser Staat schon so verloddert, dass er eine derartige Missachtung von Gerichtsbeschlüssen durch Verwaltungsangestellte nicht mehr disziplinarisch ahndet?"

Fazit

Nach einem solchen Lehrstück in Religionsfreiheit kann man, egal, wie man zu Scientology steht, an diesem speziellen Beispiel feststellen: Entweder sind die Scientologen Kriminelle, dann müssen die straffälligen Mitglieder entsprechend vor Gericht gestellt und die Organisation ggf. verboten werden. Handeln sie aber im straffreien Raum, dann hat der Staat sie in Ruhe zu lassen und auch keine Arbeitsgruppe zu deren Bekämpfung zu finanzieren. So einfach sollte das in einem Rechtsstaat sein.

Diese Auffassung ist nicht nur formal juristisch korrekt, sondern entspringt auch dem reinen Eigeninteresse, nicht einmal selber im Visier von Verdächtigungen zu stehen, wie es am Anfang dieses Artikels (Teil 1) als realer Ansatz skizziert wurde.

Carsten Frerk

 

Link zu Teil 1