Der lange Schatten des Kirchenbanns

(hpd/HU) Der Arbeitskreis Staat und Kirche der Humanistischen Union kritisiert

gerichtliche Entscheidung zum kirchlichen Sonderarbeitsrecht

 

In einem jetzt bekannt gewordenen Urteil hat das Landesarbeitsgericht Mainz (Az. 7 Sa 250/08) die Kündigung einer dreifachen Mutter für rechtens erklärt. Die 45jährige Altenpflegerin war aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil sie die Unterdrückung von Frauen durch die Kirche nicht mehr mittragen wollte. Das Gericht bestätigte die darauf erfolgte Kündigung durch ihren Arbeitgeber, eine katholischen Altenpflegeeinrichtung: Das "Beendigungsinteresse" der katholischen Kirche sei höher zu bewerten als das Interesse der Arbeitnehmerin an einer weiteren Beschäftigung.

Dazu erklärt Johann-Albrecht Haupt für den Bundesvorstand der Humanistischen Union: "Leider hat das Landesarbeitsgericht Mainz mit seiner Entscheidung eine unerträgliche Rechtslage bestätigt. Über 1,5 Millionen Arbeitnehmer in kirchlichen oder kirchennahen Einrichtungen stehen vor dem beruflichen Aus, wenn sie in Wahrnehmung ihrer Religionsfreiheit ihrem Gewissen folgen und - wie die Klägerin - aus der Kirche austreten." Dabei unterscheide die katholische Kirche nicht zwischen Angestellten, die leitend bzw. in der Verkündigung tätig sind und ganz normale Arbeitskräften. In der heutigen Arbeitsmarktsituation müssen Beschäftigte in kirchlichen Betrieben schon aus Angst um ihren Arbeitsplatz ihre Mitgliedschaft in der Kirche aufrecht erhalten. "Damit schränkt der kirchliche Arbeitgeber die Religionsfreiheit seiner Angestellten massiv ein." Aus bürgerrechtlicher Sicht sei diese Praxis nicht hinnehmbar, so Haupt. "Zur Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz gehört auch das Recht, sich von einer Religionsgemeinschaft abzuwenden. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit gilt für alle Menschen in Deutschland und darf nicht dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen untergeordnet werden." Er mahnte an, dass kirchliche Arbeitgeber und Gerichte die üblichen Regeln des Kündigungsschutzrechtes einhalten sollten. "Es muss wenigstens im Einzelfall geprüft werden, welche besonderen Anforderungen der jeweilige Arbeitsplatz an die Beschäftigten stellt und in welcher persönlichen sowie sozialen Situation sich die Betroffenen befinden."

Die katholische Kirche beruft sich auf ihre "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" von 1994, denen sich kirchliche Arbeitnehmer/innen nach einer Art Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterwerfen müssen. In der Grundordnung heißt es in Artikel 5 Absatz 5, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus der Kirche austreten, nicht weiterbeschäftigt werden können. "Das ist", erläutert Haupt, "schon deshalb widersprüchlich, weil das katholische Kirchenrecht den 'Kirchenaustritt' eigentlich nicht kennt. Der vor staatlichen Behörden erklärte Austritt ist nach päpstlicher Rechtsauffassung unmaßgeblich; eine Auffassung, die von den deutschen Bischöfen jedoch nicht beachtet wird." Überdies verpflichte Artikel 4 der Grundordnung auch nichtkatholische und sogar nichtchristliche Mitarbeiter/innen zur Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber. Die katholische Kirche geht also selber davon aus, dass sie Nicht- Kirchenmitglieder beschäftigt.

Misslungen sieht Haupt auch den Versuch des Landesarbeitsgerichts Mainz, die Kündigung kirchenrechtlich zu begründen. Nach Ansicht der Richter habe sich die Klägerin illoyal gegenüber der Kirche verhalten, weil der Kirchenaustritt zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche gehöre und mit dem "Kirchenbann" belegt werde. "Dabei hat das Gericht übersehen, dass es einen Kirchenbann nicht (mehr) gibt.

EU-Richtlinie beachten

In einem anderen Fall - Nichteinstellung einer muslimischen Bewerberin durch die Diakonie - hat das Arbeitsgericht Hamburg auf die EU-Richtlinie verwiesen.

Bei richtlinienkonformer Auslegung sei das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft kein absoluter und abschließender Maßstab für eine unterschiedliche Behandlung. Vielmehr dürfe für die konkrete Tätigkeit das Selbstverständnis der Kirche nur dann eine entscheidenden Rolle spielen, wenn diese dazu in einer direkten Beziehung stehe, was nicht für jegliche Tätigkeit bei der Kirche sondern nur für den so genannten „verkündungsnahen" Bereich anzunehmen sei.

In der EU-Richtlinie 2000/78/EG heißt es eindeutig, dass nur dann eine „Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtsmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt."

Kirchenrechtliche Situation

Zur kirchenrechtlichen Situation erläutert Friedrich Halfmann vom Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e.V. die Hintergründe.

Wenn man von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (AZ 2 BvR 1703, vom 4.6.1985) ausgeht, dann haben Arbeitsgerichte das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zu achten, denn es gewährleistet „die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes ..., dass die Kirchen bei einer arbeitsvertraglichen Gestaltung des kirchlichen Dienstes das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zugrunde legen und die Verbindlichkeit kirchlicher Grundpflichten bestimmen könnten".

Danach stellt sich die Frage: Auf welche kirchliche Rechtsquelle muss sich die deutsche Justiz beziehen, wenn sie dieser Verfassungsgarantie gerecht werden will? Was erachtet die deutsche Justiz als die für sie verbindliche kirchliche Gesetzgebung?

Bezüglich dieser Frage gibt das LAG-Urteil auch angreifbare Antworten. Es verweist auf nicht existierende Quellen: CIC can. 2314, CIC can. 2314 § 1 n. 1
Ferner hat sie diese angebliche Quelle auch noch falsch gekennzeichnet: codex juris canonicus, richtig: codex juris canonici. Die genannten Canones waren Bestandteil des CIC/1917, der nach der Inkraftsetzung des CIC/1983 außer Kraft gesetzt wurde.

Ferner führt das Gericht nicht zutreffende Kennzeichnungen der Folgen des staatlichen Kirchenaustritts im katholischen Grundverständnis an. Es ist nicht korrekt von der Beendigung der Zugehörigkeit zur Kirche zu sprechen. Auch die Behauptung des Arbeitsgerichtes Kaiserslautern /Pirmasens ist falsch, „Ein Austritt aus der Kirche sei grundsätzlich als Trennung von der Kirche als Glaubensgemeinschaft zu werten".

Das Kirchenrecht kennt keinen Straftatbestand „Kirchenaustritt"

Falsch sind ferner Begründungen, wie: „Der Kirchenaustritt gehört nach Kirchenrecht ... ". Das Kirchenrecht, der CIC/1983, kennt keinen Straftatbestand „Kirchenaustritt". Hilfsweise wird diesbezüglich von der deutschen Bischofskonferenz der can 1364 CIC/1983 herangezogen. Die katholische Kirche erblickt im staatlichen Kirchenaustritt entweder Apostasie (Abfall vom Glauben), Häresie (Irrlehre) oder Schismas (Kirchenspaltung) Ferner sind Kennzeichnungen wie abtrünnig und Kirchenbann problematisch.

Richtig ist: Je nach (Erz-) Bistum wird als Folge des staatlichen Kirchenaustritts eine direkt (ipso facto oder eo ipso) oder auf Grund eines ordentlichen kirchlichen Gerichtsverfahrens (latae sentiae) ausgesprochene Beugestrafe verhängt, die dem Kirchenmitglied bestimmte innerkirchliche Rechte nimmt. Es handelt sich gerade nicht um einen (totalen) Ausschluss aus der Kirche, sondern nur um den Ausschluss von der Teilnahme an mehreren Sakramenten z.B. der kirchlichen Eheschließung und des Verbots, kirchliche Ämter zu bekleiden. Die Inanspruchnahme des Bußsakramentes z.B. als Ausdruck der Reue über den Schritt, wird sogar ausdrücklich erwartet.

Wichtig ist der strikte Bezug auf das Kirchenrecht, bzw. auf das Gesetzbuch der Gesamtkirche, also auf den CIC/1983 und dessen authentische Interpretation. Die urteilenden Richter haben zu Recht das römische Gesetzbuch, auch wenn sie es falsch zitiert haben, als die für sie authentische Autorität angesehen. Leider haben sie dies aber nicht durchgehalten. Um das zu verdeutlichen, bedarf es eines kleinen Exkurses.

Exkurs zu: Defektionsklausel

Im kirchlichen Eherecht war es erforderlich geworden, von höchster kirchlicher Autorität klären zu lassen, ob und inwiefern ein Kirchenglied, das vor dem Amtsgericht aus der Kirche ausgetreten war, noch dem kirchlichen Eherecht und damit der Formpflicht zur kath. Eheschließung unterworfen war. Im Kirchenrecht sprach man in einem solchen Fall von einer Defektionsklausel.

Die Anfrage in Rom bezüglich der genannten Unklarheit ging Anfang dieses Jahrhunderts von drei süddeutschen Bischöfen aus.

Die erste Klärung erfolgte am 3. Mai 2005. Der Präsident des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte (PCLT) stellte in seiner Antwort vom 3. Mai 2005 klar, dass bei einem staatlichen Kirchenaustritt (erst) dann im kirchlichen Sinn von einem Kirchenaustritt ausgegangen werden dürfe, wenn neben der inneren Entscheidung, die Kirche zu verlassen, eine äußere Kundgebung dieses Willens vorliege und, das ist für unser Problem entscheidend, wenn die Kundgabe direkt von einer zuständigen kirchlichen Autorität angenommen worden sei, z.B. durch den Ortsordinarius, den Pfarrer.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat am 22. August 2005 aus Angst vor möglichen Konsequenzen dieser Klarstellung dagegen gehalten und ihre alte Position bekräftigt, dass der „... vor der staatlichen Autorität vollzogene(r) Austritt aus der Katholischen Kirche den Tatbestand des actus formalis defectus ab Ecclesia catholica erfüllt und die entsprechenden Konsequenzen (im Eherecht etc.) nach sich zieht". Der Vorsitzende der Bischofskonferenz sollte das jedoch endgültig in Rom klären.

Nach einer entsprechenden Intervention der Deutschen Bischofskonferenz in Rom erfolgte am 13. März 2006 erneut die nahezu gleichlautende Interpretation der Defektionsklausel durch den Päpstlichen Rat für Gesetzestexte (Prot. Nr. 10279/ 2006) Diese Klarstellung wurde ausdrücklich als authentische, mit päpstlicher Autorität versehene Interpretation bezeichnet. Demzufolge entfaltet ein staatlicher Kirchenaustritt erst dann seine binnenkirchliche Wirkung als Kirchenaustritt, wenn alle drei Bedingungen erfüllt sind.

Deutsche Bischofskonferenz verweigert sich dem Vatikan

Der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat sich daraufhin am 24.04. 2006 zu Wort gemeldet und sich definitiv geweigert, die päpstlich autorisierte Rechtsverkündung vom 13.3.2006 anzuerkennen. Die Deutsche Bischofskonferenz besteht also nach wie vor auf ihrer bisherigen Sicht.

Um diesen brisanten kirchenrechtlichen Dissens ist es bis jetzt kirchenpolitisch (noch) still geblieben, vor allem, weil außerhalb des kirchlichen Raums kaum jemanden davon wirklich berührt wird.

Viele katholische Kirchenrechtler halten sich zurzeit bedeckt. Einige andere wie Georg Bier, Heribert Hallermann, Klaus Lüdicke, Norbert Lüdecke, René Löffler und Hartmut Zapp erachten die Position der Deutschen Bischofskonferenz für rechtswidrig. René Löffler nennt sie ausdrücklich so.

Der staatliche Kirchenaustritt ist kein Austritt aus der Kirche

Wenn die Verfassungsgarantie des GG das kirchliche Selbstbestimmungsrecht so gewährleistet sehen will, wie das LAG Mainz sagt, dass „die Kirchen bei einer arbeitsvertraglichen Gestaltung des kirchlichen Dienstes das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zugrunde legen und die Verbindlichkeit kirchlicher Grundpflichten bestimmten könnten", dann hätte das Gericht nach dem 13.März 2006 von der neuen kirchlichen Rechtslage ausgehen müssen.

Der staatliche Kirchenaustritt der gekündigten Frau kann kraft dieser höchsten kirchlichen Gesetzesautorität (Jurisdiktionsprimat des Papstes) innerkirchlich nicht als Austritt aus der Kirche verstanden werden-

Das LAG Mainz hätte sich dementsprechend auch nicht (mehr), ob aus Unkenntnis, Bequemlichkeit oder überzogener Kirchenfreundlichkeit, der überholten Rechtsauffassung der Deutschen Bischofskonferenz anschließen dürfen und der Kündigung durch den kirchlichen Arbeitgeber wegen „Kirchenaustritts" widersprechen müssen.

 

Die Urteilsbegründung im Wortlaut (Unter „Rechtsprechung" Aktenzeichen AZ 7 Sa 250/08 eingeben)