Das kirchliche Arbeitsrecht und das strenge Gebot:

Du sollst nicht streiken gegen Gott

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ver.di-Streik (Symbolbild)

Kirchliche Arbeitgeber beschäftigen bei den Kirchen selbst und bei deren Wohlfahrtsverbänden wie Caritas und Diakonie bundesweit mehr als 1,5 Millionen Menschen. Wenn es darum geht, Forderungen ihrer Belegschaften nach arbeitsrechtlicher Gleichbehandlung abzuwehren, kennen sie kein Pardon. Das zeigt ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Erfurt. Die Kirchen- und Arbeitgeberseite besteht auf dem, was sie "Dritter Weg" nennt. Ein Weg, den jedoch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Diskriminierung ansehen – im Vergleich mit Angestellten bei weltlichen Unternehmen.

Die Gewerkschaft ver.di hatte für den 1. August zu einem Warnstreik an dem kirchlichen Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar aufgerufen. Daraufhin beantragten die evangelische Kirche, das Diakonische Werk Mitteldeutschland und die Klinikleitung im Eilverfahren vor dem Erfurter Arbeitsgericht, den Streik zu untersagen. Entsprechend entschied das Arbeitsgericht und verbot den Warnstreik, den die Gewerkschaft denn auch absagte. Ein Richterspruch, den die Anwaltskanzlei, die Kirche und Klinikum vertreten hatte, denn auch triumphierend so kommentierte:

"Das Arbeitsgericht Erfurt hat im Ergebnis die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, gemäß der 'tariftreue' kirchliche Einrichtungen nicht bestreikt werden dürfen. Damit hat das Arbeitsgericht Erfurt ausdrücklich die verfassungsrechtlich geschützte Autonomie der Kirchen und ihrer Einrichtungen gestärkt, obwohl die Gewerkschaft Verdi behauptet, dass sich das Verständnis des Verhältnisses von Streikrecht und Kirchenautonomie wandele."

Ganz anders sehen das die gerichtlich gestoppten Arbeitnehmer des Klinikums. So sagte nach einer Pressemitteilung der Gewerkschaft ver.di der Fachkrankenpfleger Mathias Korn, der sich in der Mitarbeitervertretung des Klinikums und auch bei ver.di engagiert: "Wir fühlen uns wie vor den Kopf gestoßen. Wir wollen nichts anderes, als über unsere Arbeitsbedingungen so mitzubestimmen, wie es auch in weltlichen Betrieben möglich ist. Dass Diakonie und Kirche darauf mit Ablehnung und Anklage reagieren, finde ich als Beschäftigter, aber auch als Christ, sehr irritierend." Schließlich stehe die Kirche sonst für Dialog und Teilhabe. Gegenüber ihren eigenen Beschäftigten werde sie diesem Anspruch jedoch nicht gerecht. 

"Wir wollen für unsere belastende und wichtige Arbeit angemessen bezahlt werden", so der Krankenpfleger. Insbesondere Beschäftigte der unteren Entgeltgruppen seien in den kircheneigenen Regelungen der Diakonie Mitteldeutschland deutlich schlechter gestellt als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). So verdiene beispielsweise eine einjährig ausgebildete Pflegehilfskraft mit langjähriger Erfahrung bis zu 900 Euro monatlich weniger.

"Es geht uns aber auch um demokratische Mitbestimmung", betonte Mathias Korn. "Wir wollen, dass über unsere Arbeitsbedingungen nicht länger in Kommissionen hinter verschlossenen Türen entschieden wird, sondern dass wir selbst Einfluss nehmen können." Dass das auf dem kircheninternen "Dritten Weg" nicht geht, habe sich zuletzt bei der Inflationsausgleichsprämie gezeigt: Obwohl rund 10.000 Diakonie-Beschäftigte in Mitteldeutschland für eine höhere Prämie unterschrieben, hätten die Arbeitgeber dies einfach ignoriert. "Wir wollen transparente Verhandlungen auf Augenhöhe", fordert die Gewerkschaft und beklagt die "juristischen Winkelzüge" der Arbeitgeber.

Der Grundsatzstreit

Der Streit um den untersagten Warnstreik an dem kirchlichen Klinikum in Weimar betrifft ein altes Privileg der Kirchen im Arbeitsrecht. Der von den Kirchen für sich reklamierte "Dritte Weg" bedeutet, dass die Arbeitsrechts- und Tarifregelungen weder durch einseitige Arbeitgeberbeschlüsse ("Erster Weg") noch durch mit Gewerkschaften abgeschlossene Tarifverträge ("Zweiter Weg") geregelt werden, sondern eben auf einem "Dritten Weg": Kommissionen, in denen Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sitzen, beraten und entscheiden unter Beteiligung von kirchlichen Vertretern über die Arbeitsbedingungen. Rechtlich berufen sich die Kirchen dabei auf ihr durch Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung garantiertes sogenanntes "Selbstbestimmungsrecht". Danach kann jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ordnen und verwalten.

Die Deutsche Bischofskonferenz wird geradezu pathetisch, wenn sie mit Blick auf den "Dritten Weg" gar von einem "geschwisterlichen Gespräch" redet und erklärt:

"Streik und Aussperrung sind mit den Grunderfordernissen des kirchlichen Dienstes unvereinbar, weil Dienst in der Kirche dem Konsensprinzip und dem Versöhnungsauftrag verpflichtet ist. Streitigkeiten werden idealtypischer Weise im geschwisterlichen Gespräch gelöst. Arbeitskampfmaßnahmen, die die andere Seite zu überwältigen suchen, sind mit diesem Prinzip unvereinbar. Die Kirche gäbe ihren Sendungsauftrag preis, wollte sie die Glaubensverkündigung und ihr karitatives Wirken unter den Vorbehalt der wechselseitigen Druckausübung zur Wahrung der eigenen Vermögensinteressen stellen."

Weltliche Instrumentarien zur Regelung der Arbeitsvertragsbedingungen wie Tarifvertrag, Streik und Aussperrung seien mit dem Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft unvereinbar, so die Bischöfe. Daher würden die Arbeitsbedingungen nicht durch Tarifverträge, sondern durch paritätisch besetzte arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt.

Das klingt doch sehr nach Friede, Freude, Eierkuchen und einem gönnerhaften "Wir regeln das schon zu eurem Besten". Hartmut Kreß, emeritierter Professor für Ethik/Sozialethik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, fasste die Gegenargumente schon vor ein paar Jahren treffend in einem Artikel für die juristische Plattform Legal Tribune Online zusammen.

Wenn argumentiert werde, "gegen Gott könne man nicht streiken" und die kirchlich praktizierte Nächstenliebe dürfe durch Streik nicht unterbrochen werden, so werde suggeriert, dass in kirchlichen Einrichtungen permanent das Hochethos der Nächstenliebe realisiert würde und bei Kirchen keine Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern existierten, schreibt Kreß. "Die kirchlich Beschäftigten – von Ärzten bis zu Erzieherinnen – werden hierdurch zu Staatsbürgern mit reduzierten Grundrechten. Dies ist auch deshalb zu kritisieren, weil die Kirchen besonders große Arbeitgeber sind. Außerdem werden ihre Einrichtungen weitestgehend öffentlich refinanziert."

Im aktuellen Ampel-Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht dieser mut- und kraftlose Satz: "Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann." Eine Formulierung, in der sich die längst überholte gebückte Haltung gegenüber den Kirchen manifestiert. Den Kirchen, denen der Staat immer noch, nicht nur im Arbeitsrecht, staatliche Privilegien garantiert – auch wenn die meisten Menschen nichts mehr mit ihnen am Hut haben: Nach den jüngsten Zahlen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland hat der Anteil der Konfessionsfreien in Deutschland mittlerweile das selbe Niveau erreicht wie der addierte Anteil von Mitgliedern der katholischen und evangelischen Kirche.„“

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