BERLIN (hpd) Jahrelang dokumentierte die Zeitschrift „humanismus aktuell" die Tagungen der Humanistischen Akademie Berlin. Mit Heft 23, welches das Verhältnis von Humanismus und „neuem Atheismus" zum Thema hat, wird in Kürze die letzte Ausgabe erscheinen. Dann wird sie in eine Buchreihe überführt, die fortan im Alibri Verlag herauskommt. Den Auftakt macht das „Humanistische Sozialwort", das soeben ausgeliefert wurde.
Anlässlich der Veröffentlichung des ersten Bandes der Schriftenreihe sprach der Humanistische Pressedienst mit dem Herausgeber Horst Groschopp.
hpd: Im September 1997 erschien die erste Ausgabe der „Zeitschrift für Kultur und Weltanschauung", damals noch unter dem Titel „humanismus heute". Was gab den Ausschlag dafür, das Konzept zu wechseln und von „Zeitschrift" auf „Buch" umzustellen?
Horst Groschopp: Es liegen nun 3.000 Seiten Humanismustheorie vor. Formal gesehen ist „humanismus aktuell" schon seit Heft 17 (2005) „Buch". Doch wurde die Publikation das Image einer Zeitschrift nie los und erreichte weder die „säkulare Szene" in ihrer Gänze noch die „interessierten Kreise" darüber hinaus. Das hoffen wir nun zu ändern. Wichtig ist auch, dass wir uns hier als Berliner Akademie unseren bayerischen Freunden anschließen und unsere Bundesakademie dem Beispiel folgen wird.
hpd: Der erste Band der Schriftenreihe ist ein „Humanistisches Sozialwort". Es fällt geradezu ins Auge, dass sich die Humanistischen Akademien in letzter Zeit verstärkt mit der sozialen Frage befassen. Warum hat dieses Thema zumindest für die organisierten Konfessionslosen in Westdeutschland früher keine zentrale Rolle gespielt?
Horst Groschopp: Die Trennung von Kirche und Staat stand im Vordergrund. Es war Kalter Krieg mit all seinen Folgen. Bei den meisten organisierten Konfessionsfreien dominierte zudem der „Kirchenkampf". Der Sozialstaat war eine anerkannte Errungenschaft. Jetzt wird er wieder in Frage gestellt, ob abgebaut oder reformiert, das ist strittig. Konfessionsfreie sind hier nicht zuerst als solche gefragt, doch wer von ihnen Humanismus will, der wird darauf gestoßen.
hpd: Im Vorwort des Sammelbandes schreiben Sie, dass ein Humanistisches Sozialwort kirchliche Aussagen kritisieren und ergänzen müsse. Hat die Tagung diesbezüglich denn bereits Umrisse eines spezifisch humanistischen Profils erkennen lassen?
Horst Groschopp: Meine Problemsicht geht davon aus, dass alle vorliegenden „Sozialworte" in ihrem Kern „säkular" sind, auch die kirchlichen. Es gibt darüber hinaus dezidiert weltliche Sichtweisen, etwa wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband die Sachlage erklärt. Es wäre vermessen, wenn wir uns jetzt hinstellen würden um zu sagen, wir hätten den Stein der Weisen gefunden. Der vorliegende Band möchte allerdings eine Debatte eröffnen, was im Humanitären das Humanistische sein könnte. Er stellt dazu historische wie aktuelle Überlegungen an. Die Publikation gibt begründete Thesen und scheut sich nicht, etwa bezüglich des „bedingungslosen Grundeinkommens", sich auch auf unsicheres Terrain zu wagen.
hpd: Könnten Sie konkretisieren, wie sich unterschiedliche Menschenbilder auf sozialpolitische Konzepte auswirken? Oder ein Beispiel nennen?
Horst Groschopp: Ich möchte hier auf den Artikel von Andrea Käthner im Band verweisen. Sie leitet im Berliner HVD den Sozialbereich. Sie meint, dass ein wichtiger Unterschied in der Distanz zur „Mildtätigkeit" zum Ausdruck kommt, dass humanistische Humanität nach selbstbestimmten Lösungen sucht und nach Förderung und Entwicklung von Kompetenzen strebt, gekoppelt an die Verpflichtung zur solidarischen Unterstützung von Hilfebedürftigen, die dies aus eigener Kraft nicht vermögen. Ich würde das so ins Grundsätzliche übersetzen: Solidarität ist nicht gleich „Nächstenliebe".
hpd: In Ihrer Einleitung bin ich über das Wort „Barmherzigkeit" gestolpert. Gehen Humanisten jetzt bei den Kirchen in die Lehre?
Horst Groschopp: Zunächst, bei Caritas und Diakonie wird durchaus gute Sozialarbeit gemacht und in diesem Bereich lernen sowieso alle von allen anderen. Das ist aber hier nicht die Frage. „Barmherzigkeit" allen Menschen gegenüber, so haben wir von dem herausragenden Antikeforscher Hubert Cancik gelernt, gab es vor dem Christentum und ist neben „Bildung" eine der Kernbedeutungen von „humanitas", woraus sich das Wort Humanismus ableitet. Wir sind froh, dass unsere soziale Praxis nichts dem „eigentlichen" Humanismus Aufgesetztes ist, sondern Bestandteil. Das Ganze hat auch eine politische Spitze: Wie Kaiser Konstantin das Christentum als Staatsreligion wegen der Sozialhilfestrukturen benötigte, was oft übersehen wird, kommt auch der aktuelle organisierte Humanismus nur voran, wenn er den Menschen praktisch nützt.
hpd: Was erscheint Ihnen in der derzeitigen Phase wichtiger, um angemessene Antworten auf die soziale Frage zu gewinnen: eine umfassende theoretische Fundierung oder eine umgehende praktische Erprobung?
Horst Groschopp: Das Eine geht nicht ohne das Andere. Voran steht die Analyse. Dazu formulieren wir einige Befunde. Es ist doch nicht so, dass klar wäre, was die „soziale Frage" überhaupt ist. Es war Napoleon I., der zuerst die „question sociale" - die „soziale Frage" - formulierte. Diese Frage wie Napoleon zu stellen, ist sehr aktuell. Er sah darin nämlich diejenige Frage, die zur Erkenntnis der möglichen Ursachen führt, denen die unwürdigen, weil elenden Lagen großer Menschengruppen zugrunde liegen. Na bitte! Und wenn wir dann noch August Bebels Affront gegen die Humanisten seiner Zeit nehmen - er lehnte 1887 ihre „Humanitätsduselei" ab -, dann kann ich auf Ihre Frage nur eine ganz grundsätzliche Antwort geben: Eine konservative Wende hin zu mehr Religion in Gesellschaft und Staat als auf das Jenseits vertröstender Kitt wird sich nicht durch mehr kämpferischen Atheismus aufhalten lassen. In der gerade erst begonnenen Krise, die noch nicht die Sozialbereiche voll erfasst hat, wo ja dann die vielen Milliarden fehlen, die jetzt das Finanzsystem retten sollen, wird die „soziale Frage" auch von den Humanisten beantwortet werden müssen - und dies unter Druck.
hpd: Im Vorwort schreiben Sie, dass die Tagung nur ein Schritt auf dem Weg zur Formulierung einer humanistischen Position war. Wie konkret kann ein Humanistisches Sozialwort denn werden- es gibt ja schließlich liberale, libertäre, sozialdemokratische und sozialistische Humanistinnen und Humanisten?
Horst Groschopp: Glücklicherweise ist das so. Auch werden die politischen Antworten in diesem Palaver unterschiedlich ausfallen. Aber dass die Frage nach den ethischen Seiten von Armut und Sozialarbeit überhaupt und grundsätzlich gestellt wird unter drei Prämissen, das ist doch nicht selbstverständlich: Erstens, alle Menschen sind gleich in ihrer Würde. Zweitens können wir Antworten nur friedlich und gemeinsam finden. Drittens, wir müssen sie hier und heute und für das Jetzt finden, denn es gibt kein Jenseits. Und wir sollten ehrlich sein: zu einer humanistischen Kompetenz für das Soziale ist es ein weiter Weg.
hpd: Im vorliegenden Band zeigt die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen, dass in strategisch wichtigen Detailfragen einander ausschließende Ansätze vertreten werden. Mehrere Beiträge sehen diese Form der Grundsicherung als kommende Lösung, ein Aufsatz hingegen übt grundsätzliche Kritik an der dahinter stehenden Idee.
Horst Groschopp: Ja, einfacher ist ein Humanistisches Sozialwort nicht zu haben als über den Weg, zunächst einmal die Kriterien dafür zu finden. Wenn wir zu den vorhandenen religiösen wie nichtreligiösen praktischen wie geistigen Angeboten Alternativen wollen, dann müssen wir diese auch diskutieren. Das ist eine Existenzfrage für den organisierten Humanismus. Er wird hier irgendwann mitreden können oder er wird nicht benötigt.
hpd: Wann können wir mit der nächsten Veröffentlichung aus einer Humanistischen Akademie oder ihrem Umfeld rechnen, welche die Überlegungen weiterführt?
Horst Groschopp: Selbstverständlich arbeiten wir daran. Eine nächste Teilantwort wird es wahrscheinlich zur Humanistischen Beratung geben, wie wir die „weltliche Seelsorge" nennen. Ich will die Antwort auf Ihre Frage so einpacken: Erstens ist mehr humanistische Praxis nötig, um Kompetenz nachzuweisen. Zweitens muss auf den älteren Cato verwiesen werden, der ständig „im Übrigen" der Meinung war, „dass Karthago zerstört werden muss". Wie dieser, so muss ich auch hier „im Übrigen" die Forderung nach humanistischen Lehrstühlen stellen - nur ein Prozent der Zahl der staatlich besoldeten Theologenprofessoren in Deutschland würde völlig ausreichen, davon wieder ein Zehntel für „Praktischen Humanismus", auch die „soziale Frage" besser als bisher humanistisch-humanitär zu beantworten. Dieser Mangel steigert den Wert des vorliegenden Buches enorm.
hpd: Ich danke für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Horst Groschopp (Hrsg.): Humanistisches Sozialwort. Alibri, 2009. 124 Seiten, kartoniert, Euro 13.-, ISBN 978-3-86569-042-5
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.