Für Humanismus mit richtigem Biss ...

Humanismus und „neuer Atheismus“

Diese erste Auswertung der historischen Entscheidung, die zweifellos mit dem Berliner Volksentscheid gefallen ist, verweist auf die Konsequenz, dass wir als organisierte HumanistInnen unser Selbstverständnis und unser Profil neu und weiter werden schärfen müssen. Gerade auch angesichts der medialen Wellen, die sich um den „neuen Atheismus“ herum schlagen, müssen wir uns darüber klar werden, wer unsere AuseinandersetzungspartnerInnen und wer unsere BündnispartnerInnen sind.

Das werden sicherlich nicht einfach dieselben sein: Die Profilierung unseres Selbstverständnisses werden wir in der Auseinandersetzung mit anderen säkularen Positionen betreiben müssen – unsere Partner in praktischen Bündnissen werden dagegen vorrangig eben diejenigen sein, mit denen wir in Berlin das erfolgreiche Bündnis geschlossen haben – religiöse Menschen mit humanem Engagement.

Diese Situation ist ein wenig kompliziert – aber eigentlich ganz klar zu begreifen und zu vermitteln: Die Diskussion über die Bibel, über die Aussprüche Buddhas oder über den Koran kann zu unserer Selbstverständigung als säkular denkende HumanistInnen wenig bis nichts beitragen; ein Atheismus, der zu humanen Orientierungen unfähig ist oder sich auch nur für antihumane Polarisierungen einspannen lässt, kommt für uns als praktischer Bündnispartner nicht in Betracht.

Bustouren zur Propagierung der Gottlosigkeit mögen ja einfach zu denken sein und manchen Konfessionslosen richtig Spaß machen – aber was dadurch gesellschaftlich bewirkt werden mag, ist angesichts der durchaus existierenden atheistischen Rechtsradikalen durchaus nicht klar. Wir als organisierte HumanistInnen können aber in der gegenwärtigen Gesellschaftskrise eine derartige Spaßguerilla nicht verantworten – denn dadurch werden Bündnisse erschwert, die wir dringend brauchen.

Das reicht vom Berliner Bündnis Pro Ethik über die armutspolitischen Bündnisse und die Arbeitsloseninitiativen, die ohne religiös gläubige AktivistInnen nicht zu machen sind, bis zu den dringend nötigen interkulturellen Bündnissen für eine gleichberechtigte Integration von MigrantInnengruppen, denen wir auch nicht die europäischen säkularen Traditionen zugrunde lagen können.

Und im Hinblick auf diese Traditionen werden wir auch noch gründliche Selbstkritik leisten müssen: Manche säkular Engagierte müssen offenbar daran erinnert werden, dass etwa die Eugenikphantasien vieler säkularer SzientistInnen und PositivistInnenin der jüngeren europäischen Geschichte eine wichtige Grundlage für verbrecherischen Praktiken von Massenmord und -verstümmelung geliefert haben. Aber auch an die Technisierungsphantasien vieler AgrarexpertInnen ist zu erinnern, wie sie – nicht nur im Stalinismus – die Grundlage zu einem faktischen Massenmord an Bäuerinnen und Bauern gebildet haben.

Deswegen haben wir keinen Grund, den Anspruch etwa einiger Vertreter des Christentums zu akzeptieren, nur sie könnten die Menschheit vor „den Totalitarismen“ schützen, die protestantischen und katholischen Parteigänger der Faschismen haben bekanntlich nicht nur in Deutschland christliche Mehrheitsströmungen dargestellt. Aber die säkularen Traditionslinien haben in dieser Hinsicht auch Selbstkritik und Trauerarbeit zu leisten.

Feindbestimmung

Es mag selbstbezogen aussehen, wenn ich in dieser Bilanzierung der Ergebnisse der Berliner Volksabstimmung auf die Angriffe zu sprechen komme, denen der HVD in Berlin seit Ende vorigen Jahres ausgesetzt war. Ich denke aber, in diesen Angriffen kommt etwas zum Ausdruck, was dabei helfen kann, die feindlichen Kräfte genauer ins Auge zu fassen, wie sie sich hier zu formieren begonnen haben.

Der ganzseitige Angriff auf den HVD, den die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 27.12.2008 abdruckte („Das Gespenst des Humanismus“) – was aufgrund der begründeten und kompetenten Gegenwehr des HVD zu einer sensationell umfassenden Richtigstellung geführt hat, unter die die FAS-Redaktion unaufgefordert schrieb: „Der HVD hat recht!“ – stand nicht zufällig im Layout unter einem CDU-Plakat aus der Hochzeit des Kalten Krieges, das die damalige SPD unter dem Slogan angriff; „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau!“

Auch die anschließenden Angriffe auf den HVD hauten in dieselbe Kerbe – der Vorsitzende des Berliner HVD, Bruno Osuch, sei ein Angehöriger einer kommunistischen Terrorgruppe gewesen (so wiederum die FAZ, gestützt auf ein von der Birthler-Behörde herausgegebenes Stasi-Dossier, in dem er sich aufgelistet findet – nach seiner Aussage ohne jedes Wissen davon) und der Berliner HVD sei überhaupt eine verfassungsfeindliche Organisation (so die Berliner CDU, wofür sie im Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses einhellige und empörte Ablehnung erfuhr).

Ich will hier nicht der Kommission unabhängiger Persönlichkeiten vorgreifen, die im Auftrag des Berliner HVD prüfen wird, ob ein Grund dafür besteht, Bruno Osuch in diesem Zusammenhang irgend etwas vorzuwerfen. Aber die Stoßrichtung und zeitliche Platzierung dieser Angriffe lassen etwas darüber erkennen, worum es denjenigen Kräften geht, die derartige Kampagnen betreiben:

Nachdem Margaret Thatchers Kampfruf „There is no alternative“ – es gibt keine Alternative zum neoliberal entfesselten Kapitalismus – aufgrund der seit 2007 deutlich erkennbar heraufziehenden Finanz- und Wirtschaftskrise seine Überzeugungskraft eingebüßt hat, soll jetzt dadurch die Angst vor jeder linker Kritik der bestehenden Verhältnisse – Bruno Osuch ist ein ganz ordentlicher Sozialdemokrat und die SPD dürfte unter den parteipolitisch engagierten HVD-Mitgliedern sehr deutlich vorne liegen – geschürt werden, dass sie mit dem Stalinismus identifiziert wird.

Von rechten christlichen Kräften der alten Bundesrepublik ist immer schon die historische Tatsache verdrängt worden, dass Christen am deutschen und europäischen Faschismus tätigen Anteil hatten – und sich nicht etwa nur darin hatten verstricken lassen. Diese Kräfte haben den Kalten Krieg historisch mit der in der Realität völlig haltlosen ideologischen Konstruktion unterfüttert, es ginge in ihm um eine Konfrontation zwischen abendländischem Christentum und gottlosem Bolschewismus.

Und offenbar machen sie heute den Versuch, sich auf kommende Auseinandersetzungen um Wege aus der kapitalistischen Krise dadurch vorzubereiten, dass sie alle Formen von politischer Kritik und sogar von praktischer, nicht christlich eingebundener Menschlichkeit auf vergleichbare Weise als „gottlos bolschewistisch“ verteufeln wollen, wie sie dies ihre Vorgänger mit beträchtlichem Erfolg in den 1950er Jahren gegenüber den Sozialdemokraten praktiziert hatten. Dass sie dafür auf alle Mittel der medialen Ablenkung und Irreführung und auf extreme Mittel wie Rufmordkampagnen zurückgreifen, lässt nicht nur erkennen, wie Ernst es ihnen ist – sondern auch wie sehr sie ihre eigenen Positionen inzwischen bedroht sehen.

Diese Angriffe auf den Humanistischen Verband stellen nicht bloß das Angebot einer Schlacht dar, die sich dann immer noch vorsichtig vermeiden ließe. Es ist vielmehr bereits eine deutliche ideologische Kriegserklärung.

Als organisierte HumanistInnen haben wir keine Wahl: Wir werden diesen Kampf führen müssen – achtsam und sorgfältig unterscheidend zwischen diesen IdeologInnen, denen, welche auf sie hereingefallen sind, und denen, die wir heute schon als potenzielle BündnispartnerInnen gewonnen haben. In dem Maße, wie es uns gelingt, unsere eigenen kritischen Positionen und unsere Parteinahme für die Kultur der Menschheit deutlich und überzeugend darzulegen, können wir dabei nur gewinnen.

Hier wird der HVD seine intellektuellen Ressourcen weiter bündeln und aktiv einsetzen müssen, um die Chancen zu nutzen, die sich aus der durch eben diese Angriffe gesteigerte öffentliche Beachtung und der zugleich deutlich gestiegenen Mitgliederidentifikation, für einen profilierten und gesellschaftspolitisch bündnisfähigen organisierten Humanismus ergeben.