LONDON. (hpd) Simon Singh von Alternativheilern auf Verleumdung verklagt – freie Meinungsäußerung und wissenschaftliche Beweisführung sind in Gefahr.
Simon Singh, ein Brite indischer Herkunft, hat sich darauf spezialisiert, über mathematische und wissenschaftliche Themen in einer verständlichen Weise zu schreiben. Seine Werke umfassen „Fermats letzter Satz“, „Codes: die Kunst der Verschlüsselung“ oder „Big Bang: Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft“. Darüber hinaus hat Singh Dokumentarfilme für das Fernsehen erstellt und ist Treuhänder des NESTA, des National Museum of Science and Industry.
2008 hat die British Chiropractic Association (Britische Chiropraktische Vereinigung, BCA) Simon Singh aufgrund einiger Kommentare, die im Rahmen einer Kolumne der britischen Zeitung Guardian verfasste, auf Verleumdung verklagt. In diesem Artikel ging es um Singhs kürzlich veröffentlichtes Buch, „Trick or Treatment? Alternative Medicine on Trial“ (deutsch: „Gesund ohne Pillen - was kann die Alternativmedizin?“), in welchem er diverse Behauptungen über die Brauchbarkeit von Chiropraxis „über Probleme wie Ohrenentzündungen und Babykoliken“ aufstellte: „Man könnte denken, dass moderne Chiropraktiker sich darauf beschränken, Rückenprobleme zu behandeln, aber Tatsache ist, dass sie immer noch einige ziemlich verrückte Ideen haben. Die Fundamentalisten behaupten, sie könnten alles heilen. Und selbst die moderateren Chiropraktiker haben fantastische Ideen. Die Britische Chiropraktische Vereinigung behauptet, ihre Mitglieder könnten helfen, Kindern mit Koliken, Schlaf- und Ernährungsstörungen, häufigen Ohrinfektionen, Asthma und übermäßigem Weinen zu behandeln, auch wenn es dafür nicht einen Iota an Beweisen gibt. Diese Organisation stellt das ehrbare Antlitz der chiropraktischen Profession und dennoch befördert es vergnügt betrügerische Behandlungen (bogus treatments).“(1)
Die BCA musste in ihrer Verleumdungsklage nachweisen, dass sie und nicht Chiropraxis im Allgemeinen in Singhs Artikel diffamiert wurde. Zusammengefasst schlägt die BCA eine Strategie ein, mit der sie das Hohe Englische Gericht dazu bewegen möchte, Simon Singh zu verbieten, etwas zu äußern, das die BCA als Diffamierung ansieht. Sie wollen außerdem den Schaden und die Kosten des Falles einklagen.(2)
Vergangene Woche, am 7. Mai 2009, nahm der Fall eine überraschende Wendung: Das Hohe Englische Gericht in Gestalt des Vorsitzenden Richters, Sir David Eady, entschied, dass die „Bedeutung“, welche der oben zitierten Passage beigemessen werden sollte, eine Tatsachenfeststellung sei und kein Kommentar. Singhs Anwälte hatten argumentiert, es handele sich um einen Kommentar, die BCA, es sei eine Tatsachenfeststellung.
Der Richter, der nach Ansicht eines Beobachters sein Urteil bereits vorgefertigt hatte und es direkt verlas, ging noch weiter als die BCA: Nach seiner Auffassung meint das Wort „betrügerisch“ (bogus) absichtliche und gezielte Unredlichkeit. Durch den Gebrauch des Begriffs „betrügerisch“ habe Simon Singh festgestellt, dass tatsächlich die BCA bewusst unehrlich sei, während sie Chiropraxis für die Heilung von Kinderkrankheiten anpries. Dabei ignorierte der Richter den im anschließenden Absatz des Singh-Artikels definierten Gebrauch des Begriffs „betrügerisch“, in dem er sich auf seine Zusammenarbeit mit dem weltweit ersten Professor für Komplementärmedizin, Edzard Ernst, und dessen selbstkritische Erfahrungen als Chiropraktiker beruft.
Nach diesem Urteil müsste Simon Singh nun in einer Vollverhandlung beweisen, dass die BCA absichtlich unehrlich gehandelt hat. Dies wäre nicht nur schwierig, sondern würde nicht einmal Singhs Perspektive entsprechen. (3)
Da nicht nur Singh, sondern auch seine Mitstreiter um die freie Meinungsäußerung fürchten, wurde bei facebook eine Seite eingerichtet, die seine Unterstützer auf dem Laufenden hält und auf der sie ihre Meinung kundtun können.
Fiona Lorenz
(1) Vgl. http://svetlana14s.narod.ru/Simon_Singhs_silenced_paper.html und http://gimpyblog.wordpress.com/2008/08/17/the-libellous-simon-singh-article-on-chiropractors/. Der Guardian nahm den umstrittenen Artikel von seiner Internetseite, er wurde anschließend andernorts veröffentlicht.
(2) Vgl. http://jackofkent.blogspot.com/2008/08/on-english-libel-law-brief-guide-for.html
(3) vgl. http://jackofkent.blogspot.com/2009/05/bca-v-singh-astonishingly-illiberal.html