Der Diskurs um die Homöopathie ist ein Phänomen mit bemerkenswerter Volatilität. Immer wieder flammt er auf, wird öffentlich diskutiert, medial begleitet – und ebenso regelmäßig wieder verdrängt. Für die wissenschaftsorientierte Kritik bedeutet das: permanente Wachsamkeit, ständiges Neuansetzen, immer wieder der Versuch, das Thema im politischen Bewusstsein zu halten. Nun appelliert das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) an die Gesundheitsministerin.
Besonders deutlich wurde die beschriebene Dynamik im Frühjahr 2024: Mit dem zweiten Referentenentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Streichung der Erstattungsfähigkeit für Homöopathie und andere "besondere Therapierichtungen" an. Ein Schritt, der längst überfällig war – und ein Signal, das Hoffnung machte. Doch nur wenige Wochen später folgte der Rückzieher. Ohne Erklärung, ohne öffentliche Einordnung. Das politische Barometer fiel schneller, als es gestiegen war.
Seitdem herrscht Schweigen. Und das, obwohl der 128. Deutsche Ärztetag im selben Jahr einen wegweisenden Beschluss zur Homöopathie fasste: Sie sei mit den Anforderungen an eine moderne medizinische Ethik nicht vereinbar und habe im ärztlichen Kanon keinen Platz. Ein Paukenschlag – und doch: keine erkennbare Reaktion aus der Politik. Kein Kommentar, keine Anschlussdiskussion, keine Konsequenz. Ein Vorgang, der in seiner Ignoranz gegenüber fachlicher Expertise kaum zu fassen ist.
Das INH hat sich deshalb mit einem Offenen Brief an die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gewandt. Die Intention ist klar: Es geht nicht mehr darum, die medizinische Irrelevanz der Homöopathie zu erklären – diese ist hinreichend dokumentiert und wissenschaftlich unstrittig. Das INH wird sich künftig nur noch reaktiv zu Wirksamkeitsfragen äußern. Vielmehr geht es um die politische Verantwortung: Die gesetzliche Privilegierung der Homöopathie steht im Widerspruch zu den eigenen gesundheitspolitischen Grundsätzen, etwa der evidenzbasierten Versorgung, der Patientensicherheit und der Transparenz im Leistungskatalog; und nicht zuletzt der Förderung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung.
Dass dieses Thema immer wieder als Randnotiz behandelt wird, ist nicht nur fachlich verfehlt, sondern politisch fahrlässig. Es konterkariert die erklärten Ziele einer rationalen Gesundheitspolitik und lässt den Eindruck entstehen, dass Opportunismus über Prinzipien triumphiert.
Der Offene Brief des INH, der nachstehend veröffentlicht wird, ist daher weniger ein Appell an medizinische Vernunft, sondern ein Aufruf zur politischen Klarheit. Er macht deutlich: Die Homöopathie ist keine Marginalie. Sie ist ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit gesundheitspolitischer Verantwortung.
Frau Bundesministerin für Gesundheit
Nina Warken
Mauerstraße 29
10117 Berlin (Mitte)
28.08.2025
Zum Stellenwert der Homöopathie in Gesundheitswesen und -politik
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Warken,
als freie Arbeitsgemeinschaft klären wir seit 2016 über die Fakten und verbreiteten Irrtümer rund um die Homöopathie auf und sind ein aktiver Teil des diesbezüglichen öffentlichen Diskurses. Wir gehen davon aus, dass Ihnen die Gründe für die medizinische Irrelevanz der Homöopathie hinreichend bekannt sind und sehen deshalb davon ab, diese hier erneut im Detail darzulegen.
Unser Anliegen ist es, einer gesundheitspolitischen Problematik erneut Aufmerksamkeit zu verschaffen, die seit Jahren virulent ist, aber auf politischer Ebene immer wieder – zuletzt unter Minister Lauterbach im Jahre 2024 – vertagt wurde: die Frage, ob die Sonderbehandlung der Homöopathie im Arzneimittel- und Sozialrecht mit den Grundsätzen einer evidenzorientierten und am Patientenwohl ausgerichteten Gesundheitspolitik vereinbar ist.
Die Homöopathie profitiert gesetzlich von zwei Sonderregelungen: dem Privileg, ohne wissenschaftlichen Wirkungsnachweis die Arzneimitteleigenschaft zugesprochen zu bekommen (§ 38 Arzneimittelgesetz), und dem Katalog des § 11 Abs. 6 Sozialgesetzbuch V, der die Erstattung homöopathischer Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen ermöglicht. So erhalten Produkte ohne nachgewiesene Wirksamkeit den Status von Arzneimitteln – und damit auch den äußeren Anschein medizinischer Relevanz, insbesondere durch die Apothekenpflicht. Es entsteht eine gesetzlich geschützte Scheinwirklichkeit, die auf juristischer Etikettierung basiert, nicht auf wissenschaftlicher Evidenz.
Politisch wird dieses Thema oft bagatellisiert: etwa damit, es gehe doch nur um "harmlose Zuckerkügelchen". In Wahrheit geht es um weit mehr – nämlich um ein System institutionalisierter Irreführung. Ein System, das ärztliche Aufklärung konterkariert, Vertrauen in Wissenschaft und wissenschaftliche Medizin untergräbt und die Grenze zwischen der spezifischen Wirksamkeit medizinischer Behandlung und kontextueller unspezifischer Wirkung verwischt. Zudem wohnt der Verwendung spezifisch wirkungsloser "Arzneien" stets ein potenzielles Risiko inne: dass im Falle ernsthafterer Beschwerden eine notwendige wirksame Behandlung verzögert oder gar unterlassen wird.
Es liegt in der politischen Verantwortung, eine solche Irreführung nicht durch rechtliche Sonderwege zu legitimieren – und damit die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung nicht zu fördern, sondern zu gefährden. Der Verweis auf die Wahlfreiheit von Patientinnen und Patienten greift hier zu kurz, solange in der Allgemeinheit keine Klarheit über die tatsächlichen Eigenschaften homöopathischer Mittel besteht und damit die rationale Grundlage für eine eigenverantwortliche Therapieentscheidung fehlt.
Denn Homöopathie ist keine private Praxis wie die Anwendung üblicher Hausmittel, sondern gilt als Arzneimittel nach dem AMG, wird ärztlich verordnet, nur in Apotheken abgegeben und sozialrechtlich erstattet – und profitiert damit von einem staatlichen Vertrauensvorschuss, den sie wissenschaftlich nicht rechtfertigen kann. Was sollen die Menschen angesichts dessen denn annehmen?
Vor diesem Hintergrund hat der 128. Deutsche Ärztetag im Jahre 2024 eine eindeutige Position zur Homöopathie bezogen und gleichzeitig einen Appell an die Politik gerichtet:
1. Der 128. Deutsche Ärztetag 2024 stellt fest, dass die Anwendung von Homöopathie in Diagnostik und Therapie in der Regel keine mit rationaler Medizin, dem Gebot der bestmöglichen Behandlung sowie einem angemessenen Verständnis medizinischer Verantwortung und ärztlicher Ethik vereinbare Option darstellt.
2. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, Maßnahmen dahingehend zu ergreifen, dass Homöopathie weder als Kassenleistung zur Abrechnung kommen kann noch als Entität mit Sonderstatus in der GOÄ Erwähnung findet.
3. Die rechtliche Bewertung von Homöopathika als Arzneimittel, einhergehend mit einer Apothekenpflicht, soll beendet werden. Eine Revision der Arzneimitteleigenschaft von Homöopathika und der Binnen-Konsens-Regelung im Arzneimittelgesetz (AMG) ist erforderlich.
Da wir bislang keine politische Reaktion auf diese eindeutige Position der organisierten Ärzteschaft erkennen konnten, möchten wir Ihnen diesen Beschluss ausdrücklich zur Kenntnis bringen und unsererseits ebenfalls anregen, die Sonderregelungen zur Erlangung der Arzneimitteleigenschaft (§ 38 AMG) zu streichen, den Satzungsleistungskatalog des § 11 Abs. 6 SGB V auf medizinisch relevante Maßnahmen zu beschränken und die sog. Homöopathieziffern in der Gebührenordnung für Ärzte (Ziffern 30, 31 GOÄ) ebenfalls zu streichen.
Wir dürfen zudem darauf hinweisen, dass bereits der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Sondergutachten 2012 (BT-Drucksache 17/10323) betont hat, dass gesundheitspolitische Entscheidungen und Versorgungsangebote auf nachgewiesener Wirksamkeit beruhen müssen. Die Förderung von Wettbewerb und Innovation dürfe nicht zu einer Abkehr von evidenzbasierter Versorgung führen – vielmehr sei sicherzustellen, dass alle Leistungsangebote wissenschaftlich fundiert, qualitätsgesichert und transparent sind. Diese Leitlinie ist aus unserer Sicht unverändert aktuell und sollte konsequent umgesetzt werden. Die Duldung oder gar Privilegierung von Mitteln und Methoden ohne validen Wirksamkeitsnachweis ist insofern unvereinbar mit den eigenen gesundheitspolitischen Perspektiven des Bundes, wie sie das Sondergutachten klar zum Ausdruck bringt.
Mit freundlichen Grüßen
Informationsnetzwerk Homöopathie
Dr.-Ing. Norbert Aust, Sprecher
Dr. med. Christian Lübbers, Sprecher
Udo Endruscheit, Sprecher
Prof. Dr. Jutta Hübner, Wissenschaftliche Beirätin






