Leben im Wandel des ‚Systems’

x-Dresden-1989.jpg

Lenin Denkmal 1989 / Alle Fotos (c) Evelin Frerk

DRESDEN. (hpd) Ein Weg durch die Jahre: 20 Jahre Mauerfall. Wir sind das Volk – ein Grund Menschen zu treffen, um ihre ganz persönlichen Befindlichkeiten zu erfahren, die sie in den Wochen bis zur Öffnung der DDR-Grenze am 9. November hatten - allerdings … 20 Jahre davor - also im Jahre 1989. Hier das erste Gespräch.

Für wie viele der Menschen in Deutschland ist dieser Wendepunkt Oktober/November 1989 nicht selbst erlebte Geschichte? Alle heute unter 20-jährigen konnten es nicht selbst erlebt haben, sie waren noch nicht geboren, die heute 20 bis 25-jährigen werden sich nicht erinnern können. Das sind zusammen rund 20.780.200 Bundesbürger bzw. 25 % der Bevölkerung.

Der 9. Oktober 1989 gilt als die Entscheidung zur Wende. 70.000 BürgerInnen hatten in Leipzig an der Montagsdemonstration teilgenommen, Freiheit gefordert, und die „Bewaffneten Organe der DDR“ blieben in den Kasernen. Ein Feuer war entflammt, das vorher auch in anderen Städten der DDR bereits geglimmt hatte. Auch in Dresden. (ZDF: Die Wende in Dresden)

Unter strahlend blauem Himmel und Sonne zeigt sich heute Sachsens Metropole. Dresden ist bunt, laut und quirlig. Besuchergruppen quellen auf die neu und wieder entstandene Hauptachse der Ladengalerien zwischen Hauptbahnhof und Altmarkt, Menschen sind auf den Beinen, mir scheint nebenbei als dröhne sogar die Straßenbahn im Minutentakt auf ihren Schienen vorbei. In der Prager Straße unweit des Hauptbahnhofes beginnt meine Verabredung und das heute am 4. Oktober 2009, genau 20 Jahre „danach“ und unsere Zeitzeugin erinnert sich:

„1989 ging in Leipzig alles viel früher los als hier: Als aber am 4. Oktober die Nachricht kam, dass die Botschaftsbesetzer, also Bürger der DDR, in Sonderzügen aus Prag rausgeholt und Dresden passieren werden, da gab es kein Halten mehr. Vorher gab es in Dresden zwar ab 18. September Friedensgebete und Montagsdemonstrationen nach dem Leipziger Vorbild und auch erste Festnahmewellen begannen, doch da waren es noch einige wenige.

Nachdem der Dresdner Hauptbahnhof am 4.10. nachmittags durch die Polizei geräumt und abgesperrt wurde, sind 8000 Menschen auf die Straße und in die Öffentlichkeit gegangen. Sie haben der Regierung das Signal gesetzt. So kann es nicht mehr weitergehen und haben ihrem Unmut Luft gemacht.“

Am 4. Oktober vor 20 Jahren war es dann soweit

„Genau hier auf dem Wiener Platz, in sichtbarer Nähe des Hauptbahnhofes, standen sich DDR-Bürger und DDR-Polizei gegenüber. Keine der Parteien wusste genau, was zu tun sei. Die einen wollten auf die Züge aufspringen, irgendwie mit und raus … und die anderen wollten für eine Veränderung demonstrieren oder sie verhindern. Bedrohlichkeit, Angst und Beklemmung alles lag in der Luft. Wasserwerfer, Mannschaftswagen mit schlagkräftiger Ausstattung und Besatzung war dagegen einseitig aufgestellt und alle Seiten standen dicht nebeneinander und sich gegenüber. Es gab Steinwürfe auf die Polizei und Wasserwerfer zurück. Der Bahnhof wurde bei den Auseinandersetzungen komplett demoliert. Es gab unzählige Festnahmen und man beschloss tägliche Demonstrationen bis sich was ändert.

Alles schien weiterzulaufen, wie wir es jahrelang kannten. Immer wieder haben wir es miterlebt, dass Menschen einfach weg waren, weg blieben oder auch wiederkamen. Es gab Verhaftungen, wie mir schien, aus heiterem Himmel heraus. – Wohin die Richtung gehen könnte, hatten wir uns alle im Laufe der letzten Jahre und vor allem der vergangenen Monate zunehmend gefragt. Niederschlagen der Opposition war die nahe liegende Variante und die andere? - Wir konnten es kaum denken, waren atemlos, fassungslos und zerrissen. Auch wenn in der DDR nicht alles gut war und die Stimmen nach Veränderung mehr und lauter geworden waren, so ganz weg vom System wollten wir doch auch nicht.“ Der Wiener Platz war also 1989 gepflastert, heute sind dort unbeweglich große Steinquader eingelassen – ein Vorteil für alle Seiten geht mir kurz durch den Kopf.

Am 8.10. gab es eine erneute Demo vom Theaterplatz aus in Richtung Hauptbahnhof. Auf der Prager Straße wurde ein Teil der ca. 20.000 Demonstranten eingekesselt. Die Konfrontation wurde durch den Dialog besiegt. Mutige Männer mit Vernunft und Sachverstand gingen auf die Polizisten zu und erzwangen ein Gespräch mit dem damaligen Oberbürgermeisters der Stadt, Wolfgang Berghofer.

Bereits am 9.10. hatte die aus dieser Situation geborene Abordnung von 20 Menschen ein Gespräch im Rathaus aus dem sich heraus ein fester und regelmäßiger Gesprächskreis entwickelt.. Das war erstmalig. Volk und Regierung in einem offenen Gespräch an einem Tisch, das hatte es zuvor in der DDR so nicht gegeben.

Beispielbild
Berghofer und Voscherau, Dezember 1989