Zum Geburtstag und Gedenken an den vielleicht bedeutendsten Kirchenkritiker

Die Aufklärungsarbeit von Karlheinz Deschner fortsetzen

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Straßenpflaster-Portrait von Karlheinz Deschner vom Würzburger Straßenmaler Marcel.
Straßenpflaster-Portrait von Karlheinz Deschner

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Straßenpflaster-Portrait von Karlheinz Deschner vom Würzburger Straßenmaler Marcel.
Straßenpflaster-Portrait von Karlheinz Deschner

Am 23. Mai 2024 wäre Dr. Karlheinz Deschner 100 Jahre alt geworden. Zum Gedenken an den Schriftsteller, Historiker und Alumnus der Universität Würzburg zauberte der Würzburger Straßenmaler Marcel das Bildnis "Katze sein bei Deschner" vor dem Kaufhof auf das Pflaster.

Zum Portrait des Autors der "Kriminalgeschichte des Christentums" hatte sich der Straßenmaler durch ein Foto von Evelin Frerk und mein gleichnamiges Gedicht "Katze sein beimDeschner"1 inspirieren lassen. Die freien Verse hatte ich dem Kirchenhistoriker Deschner zum Dank für die Vollendung des zehnten und letzten Bandes seines Hauptwerkes gewidmet.

Über die Hälfte seines fast neunzigjährigen Lebens widmete Karlheinz Deschner der akribischen Darstellung der "Kriminalgeschichte des Christentums", die zuerst den Titel "Gott geht in den Schuhen des Teufels" tragen sollte. Dass Karlheinz Deschner mit seiner Historiografie des Machtmissbrauchs der Kirche auch Gläubige beschämt, ist nur allzu verständlich, aber kein Grund zur Fortsetzung peinlichen öffentlichen Schweigens darüber.

Mit seiner pointierten und unwiderlegbaren Kritik am Christentum ermutigt Deschner auch heute noch Gläubige, selbständig zu denken, wozu auch Bundespräsident Joachim Gauck die Laien beim Katholikentag 2014 in Regensburg aufgerufen hatte. Das unermüdliche Engagement Karlheinz Deschners brachte Norbert Ahrens einmal so auf den Punkt: "…dass Sie eigentlich jemand sind, der Kirche und Religion viel, viel ernster nimmt als die meisten der getauften Christen – Priester, Prälaten, Bischöfe eingeschlossen."2

Dies hatte Karlheinz Deschner oft gehört und sich bei einer seiner vielen Lesungen mit Ironie gegen dieses eigenartige Lob verwahrt. Er wollte für seine Haltung weder gleich nach seinem Tode noch in 500 Jahren heiliggesprochen oder gar zum Kirchenlehrer erhoben werden, denn er war bekennender Agnostiker.3

Am Ende seiner mit tiefer Empathie für alle Opfer der Kirchengeschichte dargebotenen Vorträge erstickte er den spontan aufbrausen wollenden Applaus durch diese Bemerkung sogleich im Keim: "Spenden Sie bitte jetzt keinen Applaus. Tun Sie für einen Menschen einfach etwas Gutes, Dankeschön und alles Gute."4

"Dass Deschner sein umfangreiches Werk ohne jede institutionelle Stützung in unermüdlicher privater Forschung – ganz auf sich gestellt – geschaffen hat, verdient größte Bewunderung"5, so Prof. Hans Albers 1976 in einem Gutachten zu Karlheinz Deschners Antrag auf Gewährung eines Stipendiums bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Doch glaubte Albers nicht, dass Karlheinz Deschner innerhalb eines theologischen Forschungsinstituts hätte erfolgreicher sein können, "…solange solche Einrichtungen kirchengebunden sind, ist kaum daran zu denken, dass sie einen unabhängigen Forscher dieses Schlages fördern."

Urkunde zur Ehrenmitgliedschaft im bfg Würzburg
Urkunde zur Ehrenmitgliedschaft im bfg Würzburg (heute HV Würzburg)

Das Ehrenmitglied des bfg Würzburg (heute Regionalgruppe der Humanistischen Vereinigung – HV) Karlheinz Deschner hat es verdient, dass wir auf der Grundlage seines Erbes weiter forschen. Dazu wünsche ich mir einen "Karlheinz-Deschner-Kreis". Dieser soll die Aufklärungsarbeit des bedeutendsten europäischen Kirchenhistorikers der Gegenwart mit Forschung und Symposien zur neueren Kriminalgeschichte nicht nur des Christentums fortsetzen. Gemeinsam mit Vertretern der Religionen und Weltanschauungen soll man universale humanistische Ideen zur friedlichen Koexistenz der verschieden- und nichtgläubigen Menschen auf allen Ebenen in die Gesellschaft hineintragen. Das schuldet man dem Respekt für Gläubige und Nichtgläubige.

Dieses Engagement soll die allseits bekannten Alleinvertretungsansprüche so genannter "Amtskirchen" als vermeintliche Hüterinnen von Moral und Ethik in Gesellschaft und Staat zurückweisen. Wir Demokratinnen und Demokraten dürfen in der "Zähmung von Religionen und Weltanschauungen", deren fundamentalistische Anhänger sich als die wahren Träger der abendländischen Kultur darstellen, niemals nachlassen.

Die Worte des katholischen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen der Katholischen Elternschaft Deutschland in Würzburg "Ohne Gott ist kein Staat zu machen"6 fordern zur Wachsamkeit auf. Als Christ durfte er das außerhalb des Parlaments natürlich sagen, für den zweithöchsten Repräsentanten des Staates war das aber eher peinlich. Humanistinnen und Humanisten sind diesbezüglich anderer Meinung. Wir können in gemeinsamer Treue zum Grundgesetz den Staat mit und ohne Gott gemeinsam machen. Er und seine RepräsentantInnen müssen sich neutral verhalten.

Ähnliche Gedanken wie Lammert vertrat Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) im Brief an die HV Würzburg als Rechtfertigung für die Ablehnung der neutralen Gestaltung der öffentlichen Trauerhalle am Hauptfriedhof im Stadtrat mit diesen Worten: "… dass die christlichen Symbole in der Trauerhalle Werte widerspiegeln, die für die gesamte Kultur stehen und damit letztlich auch glaubensunabhängig sind."7 Wie kann denn ausgerechnet das überdimensionierte Kreuz – mit oder ohne Gekreuzigtem – Symbol für Humanisten, Juden, Muslime, Andersgläubige und Nichtgläubige sein? Auch wenn zu Lammerts Äußerung und Schuchardts Erklärung keine offenen Proteste zu vernehmen waren, heißt das noch lange nicht, dass alle anders- und nichtgläubigen DemokratInnen mit dieser verfassungsfernen Meinung einverstanden sind.

Wir Demokratinnen und Demokraten dürfen in der "Zähmung von Religionen und Weltanschauungen" (...) niemals nachlassen.

Genau auf solcherlei dialektische Tricks von Klerikern und Laien hatte Deschner mit seiner Religionskritik konsequent aufmerksam gemacht. Das Wächteramt in der Demokratie, wie es der Aufklärer Karlheinz Deschner verstand, müssen wir daher auch in Zukunft unbedingt zum Schutz unserer Offenen Gesellschaft wahrnehmen.

Der säkulare Staat, dem die Trennung von Staat und Kirche zur Wahrung positiver und negativer Religionsfreiheit durch seine Verfassung auferlegt ist, muss sich des noch heute gültigen Kirchenstaatsvertrags zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich aus dem Jahre 1933 schämen und sich dieses Knebelvertrages entledigen. Ebenso ist die Ablösung der seit der Säkularisation 1803 bis heute zu zahlenden Staatsleistungen an die Kirchen durch Landesgesetzgebung gemäß Grundgesetz endlich auszuhandeln, das ist gültiges Gesetz.8

Erst wenn wir alle uns aus der unseligen Umklammerung der Kirchen gelöst haben werden, können wir gemäß Schlussartikel des Grundgesetzes eine Verfassung in Kraft treten lassen, "…die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."9 Niemand muss Angst haben, dass deswegen unser Sozialsystem zusammenbricht. Selbstverständlich sitzen bei der Neuverhandlung des Verhältnisses von Staat und Kirche die Kirchen als "die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften" mit den Weltanschauungsgemeinschaften als die Vereinigungen, die sich "die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen" gemeinsam mit am Verhandlungstisch.10 Gelänge das nicht, dürfte man das gültige "Hitlerkonkordat" in Übereinstimmung mit dem Kirchenkritiker Deschner als "späten Sieg der Nazis" betrachten – was doch DemokratInnen nie und nimmer gut heißen könnten.

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1 Stößel, Frank: Gedichtsammlung, unveröffentlicht; Text siehe Anhang zu diesem Artikel. ↩︎

2 Ahrens, N. in Gieselbusch, H.: Eine unwiderstehliche Mischung in: Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 10, S. 244 ↩︎

3 Deschner K.: Lesung: Kriminalgeschichte des Christentums Bd. 3, Landesversammlung des bfg Bayern, Bayreuth 1990 ↩︎

4 Ebenda ↩︎

5 Albert, H. in Gieselbusch, H.: Eine unwiderstehliche Mischung in: Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 10, S. 239 ↩︎

6 Lammert, Norbert: Gastbeitrag, Main-Post vom 13.5.2014, S. 2 ↩︎

7 Schuchardt, Christian: Brief des Oberbürgermeisters der Stadt Würzburg an den HVD Würzburg, 22.5.2014 ↩︎

8 Artikel 140 Grundgesetz: Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung ↩︎

9 Artikel 146 Grundgesetz ↩︎

10 Artikel 140 Grundgesetz: Artikel 137 Weimarer Reichsverfassung ↩︎