Leben im Wandel des ‚Systems’

Beispielbild
Brunnen auf dem Albertplatz
Wir verlassen die Prager Straße, gehen an den Wasserspielen entlang, vorbei an den nach historischer Stadtplanung wieder nebeneinander entstandenen und sich gegenüberstehend gesetzten Einkaufspassagen und sprechen auf dem Weg zum nächsten Schauplatz aus jenem Jahr 1989, über Persönliches wie selbstbewusst gelebtes Jugend- und Erwachsenen-Leben, „damals“ in der Deutschen Demokratischen Republik.

Stasi?

„Bis Mitte der 70-er Jahre kannte ich noch nicht einmal das Wort. - Obwohl – inzwischen weiß ich, um das Interesse dieser Institution an mir. Eine Liebe gab es und sie ging zusammen und wieder auseinander und wieder zusammen und wieder und ich fragte mich, wieso denn eigentlich geht das immer wieder los. Die Antwort lernte ich nach 1989 kennen. Er war auf mich angesetzt und nun so fair, es mir zu sagen. Ein zweites Erleben war ein Lehrer! Er offenbarte nach 1989, zur Berichterstattung aufgerufen worden zu sein, die angeblich niemals einen Schüler geschadet habe! Schuppen fielen mir von den Augen: Bei „Schwerter zu Pflugscharen“ war in der letzten Schulzeit mein Engagement und ich wurde mit einer Freundin zusammen zum Schulleiter gerufen, der uns das Emblem von der Jacke abknöpfte. Na gut, habe ich damals gedacht - also keine Politik in der Schule. Dann wollte ich meinen Wunschtraum erfüllen und Germanistik studieren, wurde aber nur zum Studium an der TU für Maschinenbau zugelassen. Einen Zusammenhang mit meinem Engagement an der Schule habe ich nicht gesehen und mich ganz ehrlich auf den Maschinenbau eingelassen – wahrscheinlich war ich die Quotenfrau. Mit der Materie konnte ich umgehen. Aber Maschinenbau hatte nichts mit mir zu tun. Ich suchte eine akzeptable Möglichkeit, den Studiengang zu beenden.“

Und was kam dann?

„Ein Glücksfall - die Ausbildung zur Buchhändlerin und damit kam ich meiner Idee näher. Es gab die Leipziger Buchmesse, ich schöpfte aus einem Brunnen, der anderen verschlossen blieb, denn es gab Westkontakte, Gespräche, Bücher, die Mangelware Buch, über die ich Einblick gewann und ein ganz kleines bisschen verfügen konnte, Bibliotheken zu bedienen, Menschen zu der von ihnen gesuchten Literatur zu verhelfen und so weiter…“

Alltagsleben – vor und nach 1989?

„Gewundert habe ich mich immer über die Klagen der Menschen, die viel Zeit für das Besorgen der Grundlebensmittel aufwenden würden und das war mir fremd. Ich bin mir jetzt erst darüber klar geworden, ich hatte ein Tauschmittel: Vier Bücher von Christa Wolff waren verfügbar, eines noch frei zu vergeben …“

Dann kam der 7. Oktober 1989…

„… und damit der 40. Jahrestag der DDR. Der wurde natürlich auch in Dresden gefeiert mit Reden, Reden, Reden, Friedenshymnen, Lobesworten – aber kein Wort zu den Problemen, die uns beschäftigt haben. Wieder waren wir fassungslos.“

Am Ort des Ereignisses – wenn auch 20 Jahre später sind wir nun angekommen. Wir stehen auf dem Theaterplatz vor der Semperoper.

„Beethovens Oper Fidelio war „damals“ Feiertags-Programm-Punkt. Eine Premiere nahm ihren Lauf. Das Bühnenbild war modern, Gefangene in einem modernen Gefängnis. Das war für die DDR nicht irritierend, aber als dann der Gefangenenchor sang und das Bühnenbild bedeutete unmissverständlich: festgesetzt in einem Stasi-Gefängnis…, na, ja.“

Meine Gesprächspartnerin hat den spontanen Szenenapplaus und die stehenden applaudierenden Menschen nicht selbst miterleben können. Sie war kein geladener Gast der 40-Jahresfeier in Dresden. Aber es gibt eben Dinge, die sprechen sich blitzartig herum und auch wenn die Medien nicht berichten, bleibt die Frage offen: War das Vertrauen der DDR-Regierenden in die Intendanz der Semperoper so grenzenlos oder brachte diese Inszenierung zum 40. Jahrestag einen gewollten Stein ins Rollen der Geschichte? Mit diesen Gedanken verlassen wir nicht nur den historischen Stadtkern sondern auch die vergangene Zeit.