Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKPN), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.
Die vierte und letzte Ausgabe dieses Jahres 2024 beginnt mit dem ersten Teil eines umfassenderen Projekts von Dr. Gerhard Engel, überschrieben "Soziale Nachhaltigkeit. Ein Forschungsprogramm im Rahmen des Evolutionären Humanismus." Darin steckt er den Rahmen ab, in dem sich sein Forschungsinteresse bewegt, klärt über die Bezüge zu Evolution und Humanismus auf und stellt vor allem seine Perspektive: soziale Systeme unter evolutionären Gesichtspunkten, und seine Methode: Orientierung an Popper und der Ökonomik, genauer vor, und gibt zuletzt einen kurzen Ausblick auf sein Forschungsprogramm, das in den kommenden Ausgaben veröffentlicht werden wird.
"Naturalismus als wissenschaftsorientierte Ontologie" setzt die Überlegungen von Dr. Martin Morgenstern zur Entwicklung der Metaphysik hin zu einer naturalistischen Ontologie fort. Er untersucht darin die Entwicklungen und Bedingungen, wie die Metaphysik in der Moderne durch wissenschaftliche Orientierung zu einem ontologischen Naturalismus gelangt sei. Dabei stellt er sowohl wichtige philosophische Grundsätze als Voraussetzung der wissenschaftlichen Arbeit als auch bedeutsame Einflüsse von Ergebnissen der Wissenschaft auf Menschenbild und Ontologie dar, um dann den Naturalismus als ontologische Hypothese zu empfehlen.
Um naturwissenschaftliche Orientierung geht es auch in "Immanuel Kant – ein lebenslang lernender Philosoph" von Dr. Ludwig Coenen. Der Autor zeigt darin, dass Kant für neue wissenschaftliche Erkenntnisse seiner Zeit stets offen war und sie in seinen Werken Spuren hinterließen. So wird anhand der Entwicklung der Chemie im 18. Jahrhundert die Veränderung von Kants Sichtweise auf die Chemie und deren Bewertung aufgezeigt. Die Bedeutung der Fortschritte der biologischen Forschungen für Kant wird am Beispiel der Veränderungen des Menschenbildes in Kants Anthropologie deutlich gemacht.
Dr. Jürgen Lambrecht stellt in seinem Aufsatz "Das 'Eine' Plotins als quantentheoretisches Konstrukt" eine Verbindung her zwischen den dem Anschein nach so weit entfernten Theorien der Quantenphysik und der Transzendenzphilosophie. Mit Hilfe ausführlicher Informationen zur Entwicklung der Quantenphysik zeigt er die Problematik auf, vor die die Wissenschaftsentwicklung Philosophen stellt. Nach der Vorstellung Plotins und dessen holistischer Philosophie des "Einen" bezieht der Autor den Quantenholismus und das "Eine" Plotins aufeinander und wirbt für einen offenen Blick auf alte Metaphysiken.
Mit dem vorhergesagten Ende der Metaphysik befasst sich Dr. Jan Kerkmann in "Die Metaphysik und kein Ende. Eine Kritik der Heideggerschen Metaphysikkritik". Darin möchte der Autor die Inkonsistenz dieses Narrativs bei Heidegger bis hin zu in sich widersprüchlichen Varianten desselben anhand der Auseinandersetzung mit dessen Texten nachweisen. Abschließend referiert er Auffassungen von Philosophen gegenteiliger Ansicht und argumentiert für einen weiten Metaphysikbegriff.
In "Johann Gottlieb Fichte: 'Die Bestimmung des Menschen'" stellt Jörn Sack diesen als Vertreter des deutschen Idealismus vor, der nicht nur als Philosoph aktiv war, sondern auch als Staatsbürger. Nach einem kurzen biografischen Einstieg und der Einordnung des deutschen Idealismus in die europäische Philosophie des 19. Jahrhunderts wird das Werk "Die Bestimmung des Menschen" erläutert. Dabei gelingt es Jörn Sack, Fichtes Menschenbild, seine parareligiöse Weltanschauung und seine Freiheitsliebe ebenso nachvollziehbar darzustellen wie seine Wirkung auf preußische Bürgertugenden.
Aufgrund der problematischen überzeitlichen Wirkung des Textes unternimmt es Karlheinz Rehwald in seinem Beitrag "Eine 'Dialektik der Aufklärung'?", das genannte Buch Horkheimers und Adornos gründlich zu kritisieren. Nach Begriffsklärung und Kurzdarstellung der zwei wichtigsten Grundthesen des Werkes beginnt eine ausführliche Widerlegung, die vor allem die Gleichsetzung von Wissen und Anwendung respektive Wissenschaft und Technik als grundsätzlichen Fehler der Argumentation aufweist.
Die kritischen Werke zweier großer, befreundeter Wissenschaftler würdigt Prof. Dr. Herbert Csef in "Karl Popper und Friedrich August von Hayek". Er informiert über deren Biografien und über das jeweilige gesellschaftsphilosophische Hauptwerk, bei von Hayek "Der Weg zur Knechtschaft", bei Popper "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde". Beide setzten sich für Freiheit und Demokratie ein, übten Kritik an jeglichem Totalitarismus und zeigten demokratiegefährdende Tendenzen auf. Mit einem Blick auf die Aktualität beider Werke schließt der Beitrag.
Der informative Artikel "Post-sowjetische Philosophie in den Nachfolgestaaten der UdSSR" von Prof. Dr. Anton Grabner-Haider zeigt überblicksmäßig die Entwicklung der Philosophie in der postsowjetischen Zeit. Dabei liegt der erste Schwerpunkt auf den eher westlich orientierten Staaten, nämlich Ukraine, Lettland und Litauen, der zweite auf den tiefer östlich beeinflussten, nämlich Belarus, Moldau und Georgien. Der Autor zeigt die besonderen philosophischen Interessen der verschiedenen Länder, teils mit deren historischer Begründung, und den jeweiligen Umgang mit dem russischen Einfluss.
Um Umgang mit nationalsozialistischem Einfluss geht es Dr. Sidonie Kellerer in "Heidegger-Legenden: das Beispiel der Akademie für Deutsches Recht", in dem sie zeigen will, wie Heidegger-Legenden entstanden, wie diese in der Geschichtsschreibung fortwirken, wer daran Interesse hat und wie die Forschung dazu aussieht. Dazu klärt sie kenntnisreich und mit Hilfe vieler Quellen über die Akademie für Deutsches Recht auf, um in einem zweiten Schritt die Legenden um diese Institution, Martin Heideggers Beteiligung daran sowie Methoden und Ziele der Legendenbildung zu entlarven.
Das FORUM eröffnet Prof. Dr. Paolo Scolari mit dem Beitrag "Natur, Moral, Europa. Friedrich Nietzsche und die Berge in einem Aufsatz von Robert de Traz in der Revue de Genève (1924)", in dem er über die Entstehung des erwähnten Aufsatzes berichtet, den Autor und die Zeitschrift kurz vorstellt und in den darauf folgenden Essay einführt. Dieser, betitelt "Nietzsche und die Höhen", geschrieben von Robert de Traz, übersetzt von Paolo Scolari, weist auf den Zusammenhang von Nietzsches Denken mit dem Gebirge hin, wie auch auf dessen Europäertum.
In seinem Aufsatz "Leben und Tod: Glück oder Unglück?" stellt Borislaw Wankow verschiedene Vorstellungen eines Lebens nach dem Tode und verschiedene Bewertungen des Lebens vor dem Tode vor, um einen Beitrag zur Verringerung der Todesangst, gewonnen aus der Philosophie, zu leisten.
Die Soziologin Susanne Bell setzt sich in ihrem Essay "Leben im Einklang mit der Umwelt oder doch bloß konservative Rückständigkeit? Was man von den Baduy aus Indonesien lernen kann" mit den komplizierten gegenseitigen Abhängigkeiten von Konservatismus, Fortschritt und Nachhaltigkeit auseinander.
Einen kritischen Blick wirft Prof. Karl-Heinz Dignas in seinem Artikel "Einige Bemerkungen zur Klimadebatte" auf eben dieselbe, weil er darin viele nicht eingelöste naturwissenschaftliche Standards bemängelt.
In anderer Weise sorgt sich Dr. Jürgen Lambrecht in "Philosophie und Naturwissenschaften: Ein Appell" um die Zukunft der Philosophie, die er ohne fundierte Bezüge zu den Naturwissenschaften Gefahr laufen sieht, in ihrer eigenen Blase zu verkümmern.
Dr. Steffen M. Diebold fasst in seinem Beitrag "Natur – Tod – Mythos. Ein Kurznotat zu Evolution, Religion und Wissenschaft" wesentliches Grundwissen über den Menschen und dessen Möglichkeiten und Grenzen zusammen.
Thema der letzten drei Artikel sind: Krieg und Frieden: Dr. Jutta Georg trägt in ihrem Aufsatz "… dann kommt der Krieg zu euch!" philosophische Positionen zum Krieg zusammen, von Heraklit und Cicero über Kant, Hegel und Nietzsche bis zu C. Schmitt, Clausewitz und Freud, und stellt einige Sichten auf den Frieden dar. Veranlasst durch den Ukraine-Krieg, befasst sich Prof. Dr. Hartmut Heuermann mit dem "Machtmensch Putin", wobei er die psychische Verfasstheit von Machtmenschen ebenso im Blick hat wie den Aufbau und den Ausbau von Geheimdiensten und Ideologien und deren Wirkung auf ein Volk. Prof. Dr. Hubert Kiesewetter setzt sich in seinem Artikel "Beantwortung der Frage: Wie ist Frieden möglich?" mit Theorien und Bedingungen der Friedensschaffung auseinander, mit besonderem Schwerpunkt auf der UN-Charta, mit deren Zielen, Entstehung und realer Wirkungslosigkeit, und überlegt Alternativen.
Das Heft wird abgeschlossen durch eine Reihe von interessanten Rezensionen mit großer Themenvielfalt, einer Aphorismenseite von Alexander Eilers und Informationen zur Zeitschrift und zur GKPN.
Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg: www.gkpn.de (Schutzgebühr 12 EUR zuzüglich 2,50 EUR Verpackung und Porto).
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