Leben im Wandel des ‚Systems’

 

Ist der 9. November 1989 ein persönlicher Wendepunkt im Leben gewesen, gibt es Konsequenzen und welche?

„Enthusiastisch war ich nach der Grenzöffnung der Idee gegenüber, Literatur anbieten zu können. Ich war Buchhändlerin mit grundlegender und umfassender Ausbildung, die in der DDR auch den Status zuließ, sich als Autor zu etablieren, und ich bin dem ‚neuen Land’ gegenüber getreten, „Literatur“ zu vermitteln. Was war? Kurz nach der ‚Wende’ übernahm Thurn und Taxis die Volks- und Kunstbuchhandlungen. Was wurde angeboten? Neben guter Literatur auch Romanheftchen, Lore, Schund, Sonderangebote, auch anderes – aber wo blieb meine Idee, Literatur, große Literatur zu verbreiten?“

Die komplette Verweigerung war die Folge, eine Abwendung von den Geisteswissenschaften hin zu dem, was anscheinend in dem neuen Land richtungsweisend war - also ein Aus-Weg, der in die Finanzwelt führte.

„Wir sind das Volk “

Um Dich richtig zu verstehen, hast Du das Land verlassen oder hat Dich das Land verlassen?

„Ja, eine nicht einfache Frage. Ich denke, dass man in jedem Land eine gewisse Heimat finden kann, auch wenn noch vieles im Argen liegt und ich viele Abstriche machen muss von dem, was eben damals meine Illusionen waren, was ich mir eingebildet hatte. Ich bin überhaupt nicht dafür zu jammern. Freiheit war ein Ideal, aber wenn ich 20 Jahre Revue passieren lasse, was ist Wirklichkeit geworden, muss ich viele Abstriche machen von dem, was werden könnte. Nur, klar habe ich meine Freiheit und kann in etwa tun und lassen, was ich will. Ich bin trotzdem Zwängen politischer oder irgendwelcher Art unterworfen. Wenn ich heute Kritik äußere, bin ich genauso weg vom Fenster wie früher. Hat sich da irgendetwas geändert? Ich stehe heute einer Regierung gegenüber, die anders, ganz anders als die der DDR ist, aber wieder ist es eine Regierung, die anderes tut als das Volk es will. Es laufen Dinge verkehrt und nicht im Sinne des Volkes. Gut, mir selber geht es heute gut, aber wenn ich das große Ganze sehe, dann habe ich Zukunftsangst.“

Vermisst Du etwas aus der vergangenen Zeit – gibt es Sehnsüchte nach einer anderen Freiheit oder beispielsweise Worten, Gerüchen?

„Gemeinschaftsgefühl, die Hausgemeinschaft vermisse ich, den Gemeinschaftssinn.“

Woran liegt’s?

„Wir werden beschäftigt mit Dingen des Staates und jeder hat mit sich zu tun.“

Gibt es Wünsche und Träume hin zur vergangenen Zeit?

„Träume aus der DDR Zeit – gibt es so an sich eigentlich nicht. Das einzige wäre, man hätte irgendwie ganz einfach die soziale Sicherheit übernehmen müssen. Zur DDR-Zeit musste sich kaum einer Gedanken machen, woher er sein Brot bekommt. Heute muss man sich überlegen, ob man es sich leisten kann, zu studieren, was ja in der DDR einfach war, man brauchte kein Geld dazu. Das Studium wurde finanziert und bedürftigen Studenten zusätzlich ein Stipendium gegeben“

Also Geld war vorhanden, nicht aber die Freiheit beispielsweise der Berufswahl?

„... Ja.“