Bedingungsloses Grundeinkommen und Gender

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Fotografie: Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Zunehmend versuchen Verbände von Konfessionsfreien und einzelne Personen, Humanismus und die soziale Frage zu verbinden. Neun Treffer liefert das Online-Archiv des hpd für den Begriff „Grundeinkommen“. Eine differenzierte Sicht auf Genderperspektiven fehlt jedoch – wie auch in vielen anderen Bereichen - weitgehend.

Aus Anlass des Diskussionsabends „Das bedingungslose Grundeinkommen: Chancen und Risiken aus feministischer Sicht“, der am 8. Oktober von der Berliner Gesprächsrunde „Philosophisches Quartett zum Grundeinkommen“ veranstaltet wurde, entschied sich der hpd mit Katrin Heinau, einer der ReferentInnen, ein Interview zum Thema zu führen, zumal während der eigentlichen Veranstaltung oft vom Thema abgewichen wurde und es tatsächlich mehr um das bedingungslose Grundeinkommen ging als um seine Implikationen aus feministischer Sicht.

Katrin Heinau studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Germanistik an der FU Berlin, absolvierte eine Schauspielausbildung und arbeitete in der Freien Szene als Dramaturgin und Schauspielerin. Sie arbeitete im wissenschaftlichen Buchantiquariat und unterrichtete Deutsch als Fremdsprache. Katrin Heinau lebt als freie Schriftstellerin in Berlin, sie schreibt Prosa, Lyrik, Theatertexte und Hörspiele.

hpd: Würdest du die Idee des Grundeinkommens, wie auch du es vertrittst, zunächst kurz erläutern?

Katrin Heinau: Im Rahmen des Netzwerks Grundeinkommen wird das Grundeinkommen immer als ein bedingungsloses Grundeinkommen gedacht. Die Bedingungslosigkeit ist der Hauptunterschied zu verwandten Konzepten, die derzeit in den Parteien diskutiert werden. Durch die Bedingungslosigkeit ist das BGE fundamental vom Bürgergeld der FDP unterschieden, das dieser Tage in den Koalitionsverhandlungen auf den Tisch kommen wird. Das FDP-Bürgergeld ist zu niedrig und an Konditionen geknüpft, außerdem will die FDP dafür andere Sozialleistungen streichen. Das BGE stellt demgegenüber eine jedem Menschen ohne Bedürftigkeitsprüfung zustehende, existenzsichernde Basis dar. Viele, auch viele Linke, halten diese Forderung für übertrieben, anderen, zum Beispiel Anarchisten, geht sie nicht weit genug.
Es ist durchaus möglich, dass das BGE bestehende Geschlechterrollen verfestigt, weshalb es dahingehend wachsam zu sein gilt. So könnte die traditionelle Tendenz zur weiblichen Erwerbslosigkeit verstärkt werden. Andererseits ist es ein probates Mittel zur Armutsbekämpfung, zur Erlangungen von mehr Freiheit für Frauen (aber auch für Männer), sich z.B. von einem „Ernährer“ zu trennen oder sich aus Abhängigkeiten aller Art zu lösen, davon würden Frauen möglicherweise stark profitieren. Einerseits, andererseits - so what? Könnte man nicht zusätzlich zur Diskussion von Befürchtungen versuchen, im Grundeinkommen selbst etwas Emanzipatorisches über das hinaus zu entdecken, was es auf sozialer Ebene vermutlich auslöst?

hpd: Bevor wir mit dem eigentlichen Thema weitermachen wäre für diejenigen, die sich mit der Thematik noch nicht auskennen, nach der Finanzierbarkeit zu fragen und nach dem Betrag, an den ihr gedacht habt.

K.H.: Das bedingungslose Grundeinkommen ist implizit global gedacht. Die Höhe wäre unterschiedlich, je nachdem, wo es eingeführt werden würde. Für Deutschland wird von einem Betrag von ca. 1000 € gesprochen. So viel wie möglich! hat kürzlich Robert Ulmer, einer der beiden Initiatoren des Philosophischen Quartett zum Grundeinkommen, insistiert. Für die Finanzierbarkeit gibt es verschiedene Modelle, am populärsten ist das Mehrwertsteuer-Modell von Götz Werner. Aber auch andere Modelle sind nicht zu verachten. Wer möchte, kann sich unter www.grundeinkommen.de darüber informieren. Die Finanzierbarkeit ist gewährleistet, das steht genauso fest wie dass der Hunger in der Welt bekämpft werden könnte. Letzteres ist von NGOs überzeugend dargelegt worden, es wäre möglich, scheitert aber bisher am politischen Willen. So auch hier. Es ist eine Frage der Politik und der kulturellen Überzeugungen von dem, was Arbeit, was Tätigkeit ist, was eigentlich gesellschaftliche Anerkennung einbringt.

hpd: Was würde sich – nicht nur in Bezug auf Frauen – gesamtgesellschaftlich ändern, wenn wir das BGE einführen würden? Was würde dies für die Produktivität der Menschen bedeuten? KritikerInnen des BGE befürchten ja, dass niemand mehr arbeiten würde.

K.H.: Das ist ein populärer Einwand. Ich bin nicht der Meinung, dass niemand mehr arbeiten würde. Ich denke aber, dass es eine größere Freiheit geben würde, auch mal Nein zu sagen zu einer Arbeit, deren Bedingungen vielleicht verbessert werden müssten. Dies brächte also einen größeren Verhandlungsspielraum auf Seiten der Arbeitnehmer, aber auf Seiten der Arbeitgeber auch die Gewissheit, dass jemand, der eine Arbeit annimmt, motivierter ist als derjenige, der sich dazu gezwungen sieht, unter allen Umständen zu möglichst geringem Lohn zu arbeiten. Eigentlich hätten in dem Punkt beide Seiten Vorteile.

Kulturelle Impulse kann man in großer Zahl imaginieren bis hin dazu, dass durch eine geringere Bedeutung des Prototyps männlicher Erwerbsarbeiter die sogenannten „weiblichen“ Bereiche, also alle Sorgetätigkeiten, die „Reproduktionssphäre“ aufgewertet würde. Dabei muss man aus Gleichstellungsperspektive aber gleich wieder warnen, die bis dahin unbezahlte Reproduktionsarbeit nun als bezahlt anzusehen. Das BGE ist als bedingungslose Existenzgrundlage keine Entlohnung für welche Tätigkeit auch immer. Aber zu den kulturellen Veränderungen, die man sich mit dem Grundeinkommen vorstellen kann, gehört, dass diese Bereiche in dem Moment, in dem sie in der Erwerbsbiographie kein Hindernis mehr darstellen, auch einen anderen Stellenwert bekommen könnten.

hpd: Ich wäre mir nicht so sicher, dass sie keinen Hinderungsgrund mehr darstellen würden. Denkbar wäre es auch, dass von zwei Leuten, die sich um eine Position bewerben, trotzdem die Person ohne oder mit möglichst geringer Ausfallzeit genommen wird. Es wäre aber auch möglich, dass mit dem BGE staatlicherseits die Bereiche Pflege, Kinderbetreuung usw. weiter abgebaut würden bzw. gar nicht erst im nötigen Ausmaß aufgebaut werden. Auch wenn das BGE kein Lohn für die Sorgetätigkeit sein sollte, birgt es doch ein hohes Missbrauchspotential, um Frauen unter dem Vorwand der Entlohnung in genau diese Tätigkeiten abzudrängen.

K.H.: Ja, das ist denkbar und das kann ich nicht wegdiskutieren und möchte es auch nicht wegdiskutieren. Dies gehört zu den begründeten Einwänden, wenn es darum geht, was das BGE kann. Dazu ist zu sagen: Man muss wachsam bleiben im Falle einer Einführung des BGE und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Aber ich würde auch sagen, dass wir die Sache des BGE, wenn wir sie an und für sich richtig finden, nicht durch solche Einwände behindern dürfen, sondern eher durch Maßnahmen flankieren müssen, die wir dann gegebenenfalls auch erst erfinden müssen. Denn wir können bei einer umfassenden Neuerung, wie sie das BGE darstellen würde, noch gar nicht sagen, was dann die richtigen Maßnahmen wären. Erstmal müssen wir uns aber generell auf den Weg begeben. Manche Menschen haben auch den Verdacht, dass Frauen, wenn sie erstmal das BGE hätten, damit nichts „Sinnvolles“ machen würden.

hpd: Wirklich? Den Verdacht gibt es?

K.H.: Ja. Damit ist der Verdacht gemeint, Frauen würde sich dann von sich aus mehr auf ihre traditionelle Rolle beziehen. Darin steckt ein Vorwurf, der davon ausgeht, dass das, was das traditionelle weibliche Feld umfasst, in der Leistungsgesellschaft weniger wert ist. Da ist es aber nur, wenn man hinterher den Rentenbescheid sieht, der dabei rauskommt. An und für sich sind diese Tätigkeiten nicht weniger wert. Ganz und gar nicht. Es gibt außerdem auch Belege dafür, dass Frauen ihr kleines Geld, wenn sie es bekommen, zur finanziellen Unabhängigkeit nutzen, dass sie als Kleinunternehmerinnen tätig werden. Dass sie mit dem Geld, das sie bekommen, nicht nur den Kühlschrank ihrer Familie füllen, sondern auch an ihrer eigenen Unabhängigkeit arbeiten. Das hat man z.B. gesehen an dem Pilotprojekt, das in Namibia in Gang gebracht wurde. Es handelte sich um ein befristetes Projekt, wo in einem Dorf der armen Bevölkerung - in dem Dorf sind alle arm - ein Grundeinkommen ausgezahlt wurde. Es waren natürlich weniger als 1000€, es war das, was man dort braucht. Und da haben sich sehr viele Frauen Kleinstunternehmen aufgebaut, sich unabhängig gemacht von ihren Männern. Und das finde ich beispielhaft. Wir sehen das auch an den Mikrokrediten in den Entwicklungsländern. Sie werden von einigen Instituten überhaupt nur an Frauen ausgezahlt, weil sie verlässlicher sind als die Männer. Das spricht für die Sichtweise, dass Frauen bei Einführung des BGE ökonomisch aktiv würden.

hpd: Nun könnten wir sagen, dass die Kultur in Namibia schon aus der ökonomischen Ausgangssituation heraus anders ist und hier erstmal der Backlash einsetzen würde. Aber ich denke auch, dass wenn es überhaupt dazu kommt, die progressiven Bewegungen schnell wachsen würden.

K.H.: Die Freiheit dazu besteht, ja. Die Freiheit dazu muss man voraussetzen, das geht gar nicht anders. Auch wenn sich jemand für die traditionelle Rolle entscheidet, muss ich davon ausgehen, dass es eine freiwillige Entscheidung ist. Ich muss aber gleichzeitig sehen, dass es Geschlechternormen gibt, und solange wie es diese Normen gibt, ist auch immer der Zweifel berechtigt, ob eine jeweilige Entscheidung frei ist. Es wird immer beides geben. Oder vielleicht wird man es nie genau sagen können, wo die Norm eine Person schon so durchdrungen hat, sie sie so sehr internalisiert hat, dass sie sich gar nicht mehr davon lösen kann. Jede Person ist anders. Freiheit ist ein problematischer Begriff, aber wir brauchen ihn, um emanzipatorische Forderungen überhaupt zu rechtfertigen.

hpd: Du hast gerade Namibia erwähnt. Gibt es ausgleichend auch Befürchtungen, dass sich die Männer auf die faule Haut legen würden?

K.H.: Es gibt die Befürchtung und es wird auch diese Männer geben. Es gibt mit BGE bestimmt Männer, die mit der Bierflasche vor dem Fernseher sitzen, und Frauen, die weiter Hemden bügeln. Das kann das BGE nicht verhindern, das ist auch zu viel vom BGE erwartet. Da muss man eher die langfristige Veränderung, die das BGE vielleicht bewirken oder mitbefördern kann, im Auge haben und sollte sich nicht eine plötzliche Revolution vorstellen allein durch eine ökonomische Maßnahme ausgelöst. Soziale Umwälzungen sind sowieso nicht allein durch ökonomische Maßnahmen herzustellen. Das ist ohnehin eine übertriebene Hoffnung. Das BGE kann in der Hinsicht erstmal nicht mehr als eine finanzielle Basis für mehr Spielraum schaffen. Was die Einzelnen aus diesem Spielraum machen, das werden wir sehen und das hängt auch davon ab, wo die Gesellschaft gerade ist, in der so etwas eingeführt wird. Dazu ist noch zu sagen, das BGE käme nicht schlagartig für alle und von morgen an, sondern würde allmählich eingeführt werden, z.B. zuerst für Kinder ab einem bestimmten Jahrgang. D.h. die Akzeptanz für das BGE würde sich allmählich entwickeln und auch die Kulturimpulse würden sich langsam auswirken. Das ist alles nicht als Revolution gedacht, sondern als Reförmchen an Reförmchen.

hpd: Bekanntermaßen tritt Gewalt gegen Frauen bis hin zur Ermordung bei Trennungen und Scheidungen auf. Ich habe auch von Fällen gelesen, bei denen die Männer ihre Frauen töteten, weil diese mehr verdienten als sie selbst. Könnte das BGE – was kein grundsätzlicher Einwand ist – zum Anwachsen von Gewalt führen?

K.H.: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber mit BGE wird niemand reich und es wird an alle in derselben Höhe ausgezahlt. Die Unabhängigkeit, die sich daraus ergibt, ist eine auf niedrigem Niveau. Mit 1000€ bin ich weder reich noch unabhängig im Sinne der Wohlstandsgesellschaft, sondern damit bin ich erstmal auf dem existenziellen Level unabhängig. Viel ist das wirklich nicht. Allerdings werden Menschen auch wegen weniger umgebracht. Ich würde sagen, die Probleme zwischen den Geschlechtern entstehen dann – von den traditionellen Normen ausgegangen – wenn jemand aus diesen Normen ausbricht. Das kann auch Männer, die sich der Erziehung widmen, betreffen, wenn sie dadurch Außenseiter in ihren Männerzirkeln werden. Es gibt unendlich viele Lebensrealitäten parallel. Fälle von Gewalt gibt es als „Bestrafung“ für Unabhängigkeit so wie es eine Vielzahl von Frauen geben wird, die von derselben Maßnahme, die hier Gewalt auslöst, da sehr profitieren werden. Das ist, glaube ich, bei jeder emanzipatorischen Maßnahme so, dass ihr eine Dialektik innewohnt. Nicht alle profitieren davon in gleichem Maße. Das ist auch gar nicht möglich. Nehmen wir die sogenannte Homo-Ehe als Beispiel: Eine Gruppe, die sich emanzipieren will, erhebt einen Rechtsanspruch, der wird auch gewährt. Dann gibt es aber auch sofort diejenigen innerhalb der Zielgruppe der Maßnahme, die sagen, dass sie die Homo-Ehe gar nicht wollen. D.h. einer emanzipatorischen Forderung wird nachgegeben und sofort oder schon auf der Strecke sagen Einzelne und vielleicht gar nicht wenige: Diese Homosexuellen, von denen die Rede ist, damit bin ich gar nicht gemeint. Zu dieser Gruppe oder zu dieser Identität möchte ich mich gar nicht rechnen.

Ich glaube, diese Vielzahl von Lebensrealitäten zu berücksichtigen und zu denken ist sehr, sehr wichtig. Von Judith Butler lässt sich in dem Punkt viel lernen.
Übrigens ist die Gesellschaft ja verpflichtet, Personen, deren Aufbegehren und Unabhängigwerden sich gefährlich für sie selber auswirkt, zu schützen, um auf deine Frage zurückzukommen. Daran könnte man arbeiten. Sollen die Frauen, deren Männer sich durch ein BGE zum Mord veranlasst fühlen, doch bitte Polizeischutz bekommen!

hpd: Das Grundeinkommen würde von unserem Staat erstmal an die Menschen ausgezahlt, die auch StaatsbürgerInnen sind. Das würde heißen, dass diejenigen, die die Staatsbürgerschaft nicht besitzen, eventuell in Arbeitsbereiche abgeschoben würden, die sonst niemand mehr machen will und machen muss. Da gäbe es bestimmt auch viel Arbeits- und Korrigierbedarf?

K.H.: Ja. Das BGE ist in seiner Konsequenz ein Weltgrundeinkommen, d.h. implizit fordern wir, auch wenn wir es nicht ständig sagen, ein Weltgrundeinkommen. Und infolgedessen, da gehe ich mit dem Kandidaten von Wahlkreis 84 in Berlin (Kreuzberg-Friedrichshain), Thomas Feldhaus (parteilos), d’accord, fordern wir auch offene Grenzen. BGE und offene Grenzen sind zusammen sinnvoll. Es ist eine weitreichende Idee, was kann man mehr fordern als eine existenzsichernde Summe Geldes für jeden Menschen auf der Welt und offene Grenzen noch dazu? Das klingt total utopisch. Es ist zunächst aber konsequent und zeigt die Tragweite der Idee auf. Interessant ist was Thomas Feldhaus dazu sagt und auf welche Untersuchungen er sich bezieht: offene Grenzen sind durchführbar, nach und nach. Die Staaten müssten sich multilateral zusammentun und ihre Grenzen öffnen. So könnte man das allmählich steigern. Die Befürworter des BGE müssen sich unbedingt mit diesem Thema befassen, weil es natürlich absolut unbefriedigend ist, sich vorzustellen, dass das BGE nur für deutsche Staatsbürger gilt. Das wäre fatal.

hpd: Viele KritikerInnen des BGE befürchten, dass mit Einführung von BGE und offenen Grenzen Deutschland eine Einwanderungswelle erführe, die es nicht mehr aufnehmen könnte.

K.H.: Die Einführung ist mehr prozessual zu denken. Wenn die Einführung für Kinder ab einem bestimmten Jahrgang beginnt, ist der Anreiz der Einwanderung vermutlich noch nicht gegeben. Außerdem glaube ich nicht, dass viele Menschen nur aus finanziellen Erwägungen heraus bereit sind, ihre Heimat zu verlassen. Diese Befürchtung teile ich nicht. Ich sehe auch keine Migrantenströme auf uns zukommen, nur weil es hier vielleicht für Kinder ab Jahrgang sowieso Geld gibt, das mehr wäre als das Kindergeld.

Ich möchte diese Frage zum Anlass nehmen, auf eine andere Ebene der Überlegungen zu wechseln. Wir haben jetzt das BGE auf der sozialen Ebene diskutiert. Ich bin aber der Meinung, wir sollten einmal versuchen, es politisch-philosophisch zu sehen und zwar die Bedingungslosigkeit zu denken. Die berechtigten Fragen sollen nicht beiseite geschoben werden, sondern ich will auf eine Ebene, die diesen Fragen etwas hinzufügen kann, das BGE zu verstehen hilft und Ängste gegenüber einer möglichen Einführung bekämpft. Die Bedingungslosigkeit ist der Clou bei der Debatte. Auf sie kommt es an. Es geht nicht um weniger als einen Rechtsanspruch für jeden und unter allen Umständen. D.h. Männer, Frauen, Kinder sowieso, aber – da kann man unter Gerechtigkeitsaspekten zusammenzucken – es würde auch Straftätern ausgezahlt werden sowie denjenigen, die das Geld nicht in gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeit umsetzen, die der Gesellschaft nichts zurückgeben. Es ist übrigens sehr schwierig, dieses Nichts-Zurückgeben zu definieren, es wäre uns wohl sehr unbehaglich damit. Manche Befürworter knüpfen an die Forderung nach dem Grundeinkommen eine Art Bringschuld. Was soll das heißen? Ich denke, diese Bringschuld darf es nicht geben. Wir dürfen an der Freiwilligkeit überhaupt nicht rütteln.

Ich möchte eine prominente Vordenkerin der politischen Philosophie bemühen. Es gibt mehrere, aber zunächst einmal: Hannah Arendt. Sie hat den Begriff „Natalität“ ins Feld geführt, der mit „Gebürtlichkeit“ oder „Geboren-Sein“ übersetzt werden kann, als es ihr darum ging, die Möglichkeit von Handeln ontologisch zu denken. Das klingt zunächst nach einem Gedankensprung, erklärt sich aber aus einem emphatischen Verständnis für das Geboren-Sein des Menschen. Der Begriff ist mit spirituellen Konnotationen versehen, und das ist gut, wenn es um die Tragfähigkeit einer umwälzenden Veränderung geht, die eine kulturelle Basis braucht. Mir selbst und Hannah Arendt ist der Bezug zur christlichen Kirche nicht wichtig, darum geht es nicht. Wenn ich Neuerung als etwas Positives begreife, als Möglichkeit von Veränderung, dann kommt mit jedem neuen Leben die Möglichkeit von Veränderung und Erneuerung in die Welt, dann wird Handeln überhaupt möglich. Bei Hannah Arendt ist übrigens politisches Handeln gemeint. Ein handlungsfähiges Leben wäre unter den Bedingungen des BGE adäquat begrüßt und finanziell mit dem Nötigen ausgestattet. Es wäre auf der gesellschaftlichen Ebene willkommen geheißen.

hpd: Ich hätte das zunächst anders aufgezogen. Wenn in der deutschen Verfassung die Würde des Menschen und damit auch ein würdevolles Leben sowie das Recht auf Leben so entscheidend eingefordert werden, dann ist eine finanzielle Absicherung des würdevollen Lebens nur konsequent. Es gibt doch bestimmt auch menschenrechtliche Begründungen des BGE?

K.H.: Ich versuche beides zusammen zu denken. Der bereits erwähnte Thomas Feldhaus beruft sich zur Einführung des BGE nur auf die Menschenrechte. Er nennt das BGE ein Menschenrecht, mit dem ernst gemacht werden müsse. Denn in einer Welt, in der ich für das Überleben Geld brauche, müsste ich es folgerichtig auch bekommen, und zwar in einer existenzsichernden Höhe. Meine kleine Tochter war, als sie drei Jahre alt war, der Meinung, Geld müsse an den Bäumen wachsen, ganz einfach weil man es braucht, und dann muss es auch da sein.

hpd: Du wolltest dich vorhin noch auf eine andere Vordenkerin beziehen?

K.H.: Ich wollte darauf hinweisen, dass es eine Gruppe gibt, die das Geboren-Sein des Menschen im Zusammenhang mit der Befürwortung des BGE ebenfalls betont: Die Gruppe Gutes Leben, die das Manifest „Sinnvolles Zusammenleben im ausgehenden Patriarchat“ verfasst hat. Die Autorinnen äußern übrigens gleichfalls die Sorge, dass die durch die Erwerbsarbeit erreichte Unabhängigkeit mit der Einführung des BGE zurückgeschraubt werden und es zu einer Verstärkung traditioneller Rollen kommen könnte. Die Befürchtung des Backlash ist also sehr präsent. Aber, wie ich vorhin schon sagte, einer jeden emanzipatorischen Forderung ist eine gewisse Ambivalenz inhärent.

hpd: Du interessierst dich auch für die Implikationen des BGE auf der symbolischen Ebene und hältst das BGE für eine Fortsetzung des mütterlichen Prinzips? Würdest du das erläutern?

K.H.: Ich möchte die Bedingungslosigkeit als Fortsetzung des „Werkes der Mutter“ verstehen, mit Luisa Muraro gesprochen. „Werk der Mutter“, damit ist die frühkindliche Bindung von Mutter und Kind als Prototyp für Bindungen überhaupt gemeint. In der Sprache der psychoanalytisch beeinflussten Philosophie heißt es, in der kindlichen Entwicklung komme irgendwann der Punkt, an dem man sich aus der Bindung zur Mutter lösen und in die „Ordnung des Vaters“ übergehen muss, die die gesellschaftliche Ordnung bestimmt. Die symbolische Ordnung der Mut-ter trete in den Hintergrund. Insbesondere die Mutter-Tochter-Beziehung wird dadurch ausgelöscht oder gestaltet sich extrem schwierig. Dies ist ein problematisches Verhältnis innerhalb des Patriarchats, es ist nicht „natürlich“ schwierig. Nun kann es aber diesen Ort, der nicht von der Norm durchdrungen ist, innerhalb der bestehenden Ord-nung nicht geben. Es stellt sich die Frage: Wie führt man denn dann überhaupt weibliche Erfahrung in diese symbolische Ordnung ein, Erfahrung, die ja gemacht wird und artikuliert werden soll und muss, um nicht in Krankheit umzuschlagen?

Zum Denken der Geschlechterdifferenz gibt es tolle Vorschläge aus der italienischen Frauenbewegung, die ich immer noch aktuell finde. Ist also das BGE etwas Mütterliches? Mit „mütterlich“ meine ich eine Gabe ohne die Verpflichtung zur Gegengabe. Das haben wir als Säuglinge und Kleinkinder erfahren – mal vorausgesetzt alles ist gut gegangen. Dieses Verhältnis stellt auf der symbolischen Ebene einen Prototyp dar. Es geht um Repräsentationen in unserem kulturellen Wissen, die ein uranfängliches Bezogensein des Menschen aufnehmen. In der Mütterlichkeit und auch umgekehrt, in unser aller Kindsein und dem damit verbundenen, natürlichen Annehmen von Lebensnotwendigem läge als Denkfigur des BGE eine feministische Sprengkraft, die die Leistungsnormen des Patriarchats und die Illusionen des autonomen Subjekts angreifen könnte.

hpd: Machst du damit nicht eine Gleichsetzung von Patriarchat und Kapitalismus? Ich gehe davon aus, dass sie nicht identisch sind, sondern dass beide „Systeme“ auch unabhängig voneinander existieren können, auch wenn sie sich gegenseitig beeinflussen. Und würdest du etwas zum Ideal des autonomen Subjekts sagen?

K.H. Patriarchat und Kapitalismus können nicht identisch sein, Patriarchat ist eine Herrschaftsform, Kapitalismus ein ökonomisches System. Den Zusammenhang kann ich im Rahmen dieses Interviews nicht aufzeigen, der Hinweis möge genügen, dass ihr jeweiliges Gegenteil, miteinander zusammenhängend, die längere Zeit der Menschheitsgeschichte bestimmt hat. In den matrifokalen oder matrilinearen Gesellschaften, von denen es übrigens immer noch einige gibt, lebten die Geschlechter egalitär ihre je eigenen Potenzen. Biologische Vaterschaft hatte keine soziale Bedeutung - genau darauf basiert die patriarchale Bemächtigung. Diese Gesellschaften waren oder sind friedlich, nicht expansiv und Jahrtausende alt. Unter Matriarchaten stellt man sich gemeinhin etwas anderes vor, eine Art Umkehr der Verhältnisse unterm selben Signum der Herrschaft. Das ist ganz falsch und liegt zum Teil an der anachronistischen Ableitung des Wortes „Matriarchat“ von „Patriarchat“. Um Herrschaft geht es gar nicht. Griechisch arché bedeutet auch gar nicht Herrschaft, sondern Anfang, Ursprung. Von diesen Gesellschaften können wir einiges lernen.

Das autonome Subjekt ist eine Konstruktion des Männlichen. Der Mann denkt sich autonom. Die feministische Kritik hat in die Konstruktion des Weiblichen, zunächst als Kritik des objekthaften Status, den die Frau darin hat, und dann darüber hinaus, die Beziehung eingeführt, vor allem die Beziehung zu anderen Frauen und zum Tochter-Kind, die weibliche Genealogie. So enthält die Konstruktion des Weiblichen in seiner Bezogenheit ein symbolisches Bild natürlicher Abhängigkeit, die vom Körper ausgeht. Und etwas anderes als den Körper haben wir ja nicht!

Die Fragen stellte Katharina Eichler

Die Bilder sind Inszenierungen von Evelin Frerk