„Der Baum der Verwandlung blüht ewig.“

Du bist Fotografin, du hast in Ost-Berlin, in der DDR gearbeitet, mehr und speziell in Ost-Berlin...?

Anfangs nur in Ost-Berlin. Aber dieses Ost-Berlin, an welches ich mich erinnere, ist nicht das Ost-Berlin nach dem gängigen Klischee. Es war die Mitte von Berlin, das Herzstück Berlins, aber auch Deutschlands und Europas. Und dieses Herz war der Alexanderplatz. Die Friedrichstraße, die Potsdamer Straße, der Potsdamer Platz, das waren alles Ruinen. Die Ruinen haben mir damals gesagt: „Gut, magst du auch eine Ostlerin sein, du lebst jetzt hier im Herzen Berlins, im Herzen Europas, und wenn es eben so ist, dann ist es eben so, akzeptiere, wie es ist.“


Haben die Menschen hier in Berlin deine Arbeiten gesehen?

Anfang der 80er Jahre bin ich davon ausgegangen, dass ich meine Art der Fotografie nicht zeigen kann, weil ich ja das Menschenbild der DDR-Behörden und der Funktionäre total unterwandert habe. Die waren der Meinung, dass sie alle sozialen Probleme gelöst hätten und wir im Schlaraffenland lebten, in einer Art Paradies. Ich muss sagen, mein Naturell ist schon immer etwas anders gewesen, ich war immer schon eine Einzelgängerin. Immer bin ich aus der Reihe getanzt, habe so geredet, wie mir der Schnabel gewachsen war. Ich habe mich nicht bevormunden lassen, und merkwürdigerweise haben das viele Menschen in der DDR akzeptiert und sogar toll gefunden.

Ich habe mich immer gefragt, in was für eine Welt ich hineingeboren worden bin, was die Menschen sich zumuten lassen und ertragen, und wohin man eigentlich Menschen bringt? Ich habe oft gedacht, das halte ich nicht lange aus. Die französischen Romanciers - dazu gehörten beispielsweise Balzac, Zola, Stendal, und Flaubert -, haben einen so wunderbar klaren Blick auf ihre Zeit und die sozialen Verhältnisse gehabt. Sie haben mich beeinflusst. Wesentliches Gedankengut habe ich von ihnen übernommen. Schon als Kind habe ich sie gelesen. Mein Blick wurde geprägt. Ich wollte mich fotografisch so artikulieren, wie sie es mit dem Wort getan haben. Ich habe hier von Anfang eine Welt gesehen, die absolut überhaupt nicht paradiesisch war, in der nichts gelöst war, es waren Seifenblasen.

Frappierend war: Die DDR hat jedes Jahrzehnt - wenn sich wieder einmal ein Jubiläum ergab -, 20, 30, 40 Jahre DDR gefeiert, als würde sie bis zur Unendlichkeit bestehen. Tatsächlich wurden es vierzig Jahre und ich habe gedacht, seltsam, hier in Deutschland und in Berlin hält sich nichts lange, alles geht nach kurzer Zeit sang- und klanglos unter. Wie ist denn der Anfang gewesen, wie hat sich dieses Deutschland das erste Mal vereinigt? Das war in Versailles! In Versailles, am Königssitz von Frankreich, ist der deutsche Kaiser gekrönt worden. Für mich vollkommen absurd. Dahinter steckt eine so anmaßende Machtpolitik: Der momentan Siegreiche zwängt dem momentanen Verlierer seine Prämissen auf. So ist es 1989 auch mit der DDR gemacht worden. Und da ja alles dual ist im Leben, polar, und alles zwei Seiten hat, müssen wir uns heute nicht wundern, wenn wir jetzt das Gegenteil ausleben. Wir sind die Gemolkenen und im Hintergrund ziehen ganz andere die Fäden, von denen wir gar nichts mitkriegen. Wir merken nur, dass wir unsere ganze Kreativität und Potenz nicht ausleben können in diesem Land, sie wird bewusst gebremst.


Wie waren anfangs die Reaktionen auf deine Fotografie?

In der DDR?


Ja. Wem hast du zuerst deine Bilder gezeigt?

Ich war jung, ich war hübsch und stand mit beiden Beinen auf der Erde, habe meine Weiblichkeit auch ausgekostet. Von Anfang an hatte ich diesen klaren Blick. Auch mit meinen Worten habe ich klar gesagt, was ich denke. Mein Äußeres und diese Attitüde passten aber irgendwie nicht zusammen. Oft wurde mir von Hausfrauen gesagt: „Ja, Gundula, du kannst doch alles haben im Leben, warum musst du denn diese schrecklichen Bilder machen? Du siehst so toll aus, die Welt würde dir zu Füßen liegen.“ Ja, das waren noch die harmlosen Reaktionen. Die schärfere war, dass Leute regelrecht bösartig und hysterisch wurden, mich verleumdeten und die übelsten Gemeinheiten über mich erzählten. Das war Krieg. Es war so, als wären meine Bilder eine Kriegserklärung. Diese harten Reaktionen hatte ich nicht erwartet. Es gab aber auch Menschen, die begeistert waren, die genau so empfunden haben wie ich. Sie haben mich dann ein bisschen beschützt.


Du hast für deine Arbeit einen Preis bekommen?

In Japan: "The 12th Prize for Overseas Photographers of Higashikawa Photo Fiesta". Dort hin werden weltweit Fotografen eingeladen. Vor mir war Robert Frank da. Ich habe die Bilder gezeigt, die zuletzt in der DDR entstanden sind: „Der große und der kleine Schritt“ und dafür habe ich diesen Preis bekommen.


Das war noch zu DDR-Zeiten oder danach?

Das war 1996. In der DDR hat mir niemand einen Preis zugesprochen. Im Gegenteil. 2005 hat eine englische Kunsthistorikerin über Aktfotografie recherchiert und war erstaunt, dass es mich augenscheinlich nicht gibt: „Wie kann es sein, dass Sie als wichtigste Protagonistin dieses Genres in den DDR-Medien nur mit ein oder zwei negativen Nebensätzen auftauchen?“ 2009 passiert noch dasselbe. Die Recherche einer Galeristin endete für sie verblüffend. Obwohl ich schon ein großes Lebenswerk mit 20 Serien, 20 Kurzgeschichten und vielen Filmen habe, gibt es weder eine Monographie noch ein Buch über mich. In den Bibliotheken oder über den Buchhandel Informationen über mich einzuholen, ist sozusagen erfolglos. Da wundern sich viele.

Es ist eine Aufforderung, die du so aussprichst?

Ja?