KONSTANZ. (hpd) Nach dem Urteil des Freiburger Verwaltungsgerichts, das entschieden hatte, die Helmpflicht auf Motorrädern gelte auch für Personen, die aus religiösen Gründen einen Turban tragen (wie im vorliegenden Fall für einen Konstanzer, der 2005 der Sikh-Bewegung beigetreten ist), erklärt der Sprecher der Humanistischen Alternative Bodensee (HABO), Dennis Riehle (Konstanz), dass die Entscheidung grundlegenden Charakter haben sollte: "Es ist ein gutes Signal, dass staatliche Vorschriften, gerade dann, wenn sie der Sicherheit dienlich sind, auch für diejenigen gelten, die sie religiösen Verpflichtungen nachrangig sehen wollen."
Nach Meinung der HABO reiht sich die Klage des Anhängers der sogenannten "Reformbewegung" in eine Vielzahl von Ansprüchen ein, die von den verschiedensten Religionen in den vergangenen Jahren geäußert wurden: "Ob es der Burkini beim Baden ist, die Ganzkörperverschleierung in der Öffentlichkeit oder die vielseitig proklamierten Sonderrechte im Bezug auf die Schule – wie Befreiung vom Schwimmunterricht für Musliminnen, die Forderung nach eigenem Religionsunterricht an staatlichen Schulen oder der Wunsch christlich konservativer Familien, ihre Kinder zuhause eigens zu unterrichten – beziehungsweise im Zusammenhang mit dem kirchlichen Arbeitsrecht und einer eigenen Paralleljustiz: In unserem Land gelten zunächst die Gesetze des Staates, die für jeden Verbindlichkeit haben. Sich daran zu halten, ist Verpflichtung eines jeden Bürgers – egal, welcher Religion oder welchem Glauben er zugewendet ist."
Trotz des aktuellen Entscheids des Verwaltungsgerichts fürchtet Riehle jedoch, dass sich die Urteile in ihrer Mehrheit auch künftig nicht verändern werden: "Blickt man auf Beschlüsse der höchsten deutschen Gerichte, so lässt sich erkennen, dass der Religionsfreiheit ein ganz besonderer Schutz zugemessen wird und selbst die Verfassungsrichter nur selten bereit sind, andere Grundrechte über diese weitreichenden Zugeständnisse an Glaubensgemeinschaften, aber auch an einzelne, sich auf das Praktizieren ihrer religiösen Vorschriften und Ausleben der religiösen Gefühle beziehende, Mitbürger zu stellen. So bleibt festzuhalten, dass das Verbot des Turbantragens beim Motorradfahren wohl eine Ausnahme in der Rechtsprechung über religiöse Praktiken sein wird – und das in einem angeblich doch säkularen Staat, der sich aber durch seinen Respekt vor der Macht der Religionen auch fortan entsprechend erpressbar macht."
2 Kommentare
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Mustafa am Permanenter Link
Religionsfreiheit (als von der Meinungsfreiheit getrenntes Grundrecht) stellt sich mir mittlerweile als Anachronismus dar. Historisch ist sie natürlich begründet.
Diese Meinung jedoch ist bereits vollumfänglich von der Meinungsfreiheit abgedeckt. Letztere muss für alles herhalten, nur für die "Göttertheorie" gibt es derzeit noch eine Ausnahme: die Religionsfreiheit. M.E. reicht aber auch hier die Meinungsfreiheit völlig aus.
In diesem Lichte betrachtet erscheint der vorliegende Konflikt geradezu lächerlich: Allein durch die Meinungsfreiheit würde niemandem eine Ausnahme im Straßenverkehr oder sonstwo gewährt. Höhere Gerichte würden sich damit auch nicht mehr befassen müssen.
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
"In unserem Land gelten zunächst die Gesetze des Staates, die für jeden Verbindlichkeit haben."
Dem ist eben ob der laufenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht so. In Art 14 GG wurde aus der Weimarer Reichsverfassung Art 136ff übernommen. Der Art 135 WRV wurde NICHT übernommen, ist es aber doch jener der dem Selbstbestimmungsrecht der Religiösen grenzen gesetzt hat. Art 135 WRV:
"Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt."
Während Satz 1 und 2 heute inhaltlich in Art 4 GG abgebildet sind, fiel der Satz 3 unter den Tisch.
Zwar steht in Art 140 GG i.V.m. WRV 137 Abs 3:
"(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes."
Diese Norm wird aber trotz der Einschränkung "des für alle geltenden Gesetzes" in laufender Rechtssprechung genau in das Gegenteil ausgelegt. Das noch klarere statement des Primats staatlichem vor kirchlichem Recht aus Art 135 Satz 3 WRV "Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt." fehlt heute.
Insofern ist das Grundgesetz im bezug auf rechtliche privilegien für Religiöse und deren Organisationen hinter den Stand in der Weimarer Republik zurück gefallen. Darüber meine ich, dass die laufende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes im klaren Widerspruch mit dem Alltagsvertsändnis von " innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." steht. Für Kirchenjuristen und Verfassungsrichten scheint ein solch einfacher Satz allerdings höchst flexibel auslegbar zu sein.