Das aktuelle Heft von "Aufklärung und Kritik" (AuK), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg, ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zu Verfügung gestellt.
Liebe Leserinnen und Leser,
hiermit möchte ich Sie zur Lektüre unseres ersten regulären Bandes 2020 einladen, der sich schwerpunktmäßig mit den Herausforderungen der Zukunft und der gesellschaftlichen Gegenwart befasst.
Im ersten Beitrag, "Post- und Transhumanismus. Eine metakritische Perspektive", nimmt Prof. Dr. Harald Seubert diese den beiden philosophischen Richtungen gegenüber ein. Nach der Begriffserklärung stellt er sie in die Tradition der Utopien und weist ihre zwei gegensätzlichen Quellen nach, nämlich die militärisch-technische und die kreativ-experimentelle. Deren unterschiedliche Folgen sind von Fabrik 4.0 bis hin zu Visionen von digitaler Unsterblichkeit spürbar. Sodann überdenkt dieser anregende Aufsatz die Rolle des Humanum in dieser Entwicklung.
Im zweiten Beitrag untersucht Denis Bobanović den Zusammenhang von "Kryptototalitarismus und Diskurs", indem er zunächst verschiedene Diskurse und ihre Wirkungsweisen vorstellt. Im Weiteren weist er nach, dass die Vielzahl von Diskursen zu immer mehr Information – aber auch immer mehr Intransparenz führt. Sehr bedenkenswert ist seine These, dass durch die rasante Entwicklung des Datenverkehrs und dessen Auswertung durch KI Demokratie zunehmend zu einem Kryptototalitarismus mutiere.
Mit einer weiteren Zukunftsperspektive setzt sich Prof. Dr. Hans Friesen in "Weltrepublik und Weltethos als Ordnungsrahmen für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Herausforderung des 21. Jahrhunderts für alle Einzelnationen der Erde" auseinander. Ausgehend von Hobbes und Locke konstatiert er einen relativ gelungenen Status quo der demokratischen Staaten im Inneren, bewertet aber das Verhältnis der Nationen untereinander als demgegenüber unterentwi-ckelt, und untersucht dieses Problem.
Jörn Sack unternimmt in seinem Aufsatz "Von künftiger vernünftiger ('idealer') Staatlichkeit weltweit" den Versuch, die Frage nach der Zukunft von Staatlichkeit als Ordnungsrahmen für Gesellschaften - der Gestaltungsmacht von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft zum Trotz – zu beantworten. Dabei findet er interessante Lösungsvorschläge und wichtige Aufgaben für die Philosophie.
In seiner Abhandlung "Transformation von Religion in modernen Gesellschaften – Dynamische Prozesse der Daseinsorientierung" stellt Prof. Dr. Anton Grabner-Haider die Entwicklung der religiösen Bindungen von Glaubens- zu Kulturreligionen dar und verfolgt ihr Schicksal als Wertorientierung in den modernen Gesellschaften.
Einen ganz anderen Aspekt von Religion und ihren Nachwirkungen untersucht Dr. Clemens K. Stepina in "Kommunismus als Religion – Provokative Gedanken zur Religionskritik bei Engels und Marx". Darin bearbeitet er die These, dass Marx weiterhin bürgerliche Werte in seinem Arbeiterparadies beibehielt, um einer zweckrationalen Hölle zu entgehen – was die Konsequenz aus Engels‘ Ansatz wäre.
Mit Gedankengut aus dem rechten Spektrum befasst sich Dr. Bruno Heidlberger in "Wie aktuell ist Carl Schmitt?". Er stellt das "prägendste Gedankengebäude aus der Konservativen Revolution" vor, untersucht seine historischen und biographischen Wurzeln, seine Wirkungen und wichtigsten Aussagen – und macht besonders das völlig negative Menschenbild und das reaktionäre Politikverständnis Carl Schmitts deutlich.
In seinem Aufsatz "Was ist Freundschaft? Fluchtlinien einer philosophischen Selbstvergewisserung" geht Dr. Marko J. Fuchs der Frage nach, ob und wie man die Bedeutung des Begriffs "Freundschaft" fassen kann. Seine "Fluchtlinien" wie "Nähe und Ferne" oder "Identität und Differenz" belegt er durch ausgewählte Beispiele quer durch die Philosophiegeschichte.
Prof. Dr. Hartmut Heuermann legt in seinem Aufsatz "Der Feind in anderer Haut: Rassismus zwischen Ideologie und Fantasie" sehr viele Aspekte des Phänomens "Rassismus" dar, z.B. soziologische, psychologische, historische, stammesgeschichtliche, und erläutert ihre jeweiligen Wirkweisen in der Gesellschaft. So kommt er zu vielen kritischen Anmerkungen, aber auch zu einem vorsichtigen Optimismus dahingehend, dass "Ethnie" nicht nur in der Wissenschaft zum gängigen Begriff (ohne Nebenwirkungen) werde.
Im Forum stellen wir zunächst ein ungewöhnliches Format vor: "Prof. Dr. Dr. Dr. Roland Benedikter im Gespräch mit Henrik Woch über Zukunft, Zukünfte, Zukunftsbildung? Zukunftsdenken heute: Der neue BMBF-Zukunftskreis." Mit einem Einzelaspekt der Zukunft befasst sich Jürgen Beetz in seinem Aufsatz "Digitalisierung und Philosophie. Was sagt die Philosophie zur 'vierten industriellen Revolution'?" Die beiden folgenden Texte setzen sich mit Entwicklungen irrationaler Kräfte in unserer Gesellschaft auseinander: Dr. Bruno Heidlberger macht zuerst "Anmerkungen zu Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter", dann beschäftigt sich Prof. Dr. Hartmut Heuermann mit "Dämonismus. Von der Macht eines kollektiven Wahns." Darauf folgen zwei philosophiehistorische Abhandlungen: Dr. Matthias Mindach untersucht in "Eine handgreifliche Geschichtslüge“? Die Protestanten und Kopernikus" das Verhältnis der beiden Letztgenannten, Ernst Ziegler begibt sich auf Spinozas Spuren im Werk Arthur Schopenhauers unter dem Titel "Schopenhauer und Spinoza". Einen weiteren Schwerpunkt leitet Prof. Dr. Christian Niemeyer mit seinem Aufsatz "War der 'eigentliche' Nietzsche ein Linker?" ein, gefolgt von einer Vorstellung Lou Andreas-Salomés durch Prof. Dr. Herbert Csef in "Lou Andreas-Salomé – das 'Geschwistergehirn' von Friedrich Nietzsche". Das Motiv der Einsamkeit bei Nietzsche verfolgt Martin Burger in seinem Beitrag "'Ich bin die Einsamkeit als Mensch.', Über die metaphysische Obdachlosigkeit eines unzeitgemässen Denkers". Zwei Texte in aktuellen Zusammenhängen folgen: Prof. Dr. Thomas Rießinger stellt Neues zu Karl Popper vor, nämlich "Vielfalt des Denkens. Das 'Handbuch Karl Popper'", und der letzte Aufsatz, "Evolutionäre Anthropologie und Gesellschaftstheorie" von Dr. Christoph Meißelbach ist eine Replik auf den in A&K 4/2019 veröffentlichten Artikel von Bernd Ehlert, in dem dieser sich mit Dr. Meißelbachs Dissertation auseinandergesetzt hatte.
Die abschließenden Buchbesprechungen bieten wieder eine breite Palette von Themen, wie Gender- und Kirchenfragen, Menschlichkeit als Wert in der Gesellschaft, Christentum, Judentum, Israel und Philosophie im Zeitalter des Kolonialismus. Neuzugänge in der Redaktion schließen das Ganze ab.
Eine informative und anregende Lektüre wünscht Ihnen im Namen der gesamten Redaktion.
Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet: www.gkpn.de (Schutzgebühr 12,00 Euro zuzügl. 2,50 Euro Verp. u. Porto).
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