Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.
Die aktuelle Ausgabe von Aufklärung & Kritik eröffnet Rüdiger Vaas mit seiner Abhandlung "Skeptizismus, Verschwörungsglaube und Realität. Erkenntnistheoretische Erkundungen an den Grenzen von Wahrheit und Täuschung". Darin erarbeitet er Kennzeichen von Verschwörungsglauben, (Denk-)Wege, die dahin führen, besonders die über einen radikalen Skeptizismus, und den Unterschied zu wissenschaftlichem Skeptizismus. Durch einen neuen Blick auf das Münchhausen-Trilemma gelingt es ihm, neuere Ansätze der Erkenntnistheorie für die Zurückweisung von Verschwörungsglauben fruchtbar zu machen.
Ein ähnliches Anliegen verfolgt Dr. Rudolf Kötter in "Gleichheit, Diskriminierung und Toleranz – Philosophische Streifzüge durch ein vermintes Gelände". Ausgehend von der Verschlechterung der Diskurskultur zeigt er schwerpunktmäßig anhand der Gender-Diskussion auf, wie man der moralisierenden Keule aggressiver Diskursmilieus gelassen begegnen könnte. Dazu bietet er einen philosophischen "Crashkurs" über so zentrale Begriffe wie "Gleichheit" oder "Diskriminierung" an, gefolgt von einer Analyse und Auflösung von moralisierenden historischen Ansätzen, zum Beispiel in der Gender-Theorie, und von der Anwendung seiner Ergebnisse auf Beispiele in aktuellen Auseinandersetzungen.
In seinem Artikel "Zum 300. Geburtstag von Adam Smith" stellt Prof. Dr. Gerhard Streminger diesen wichtigen schottischen Aufklärer etwas genauer vor. Strukturiert durch die Darstellung wichtiger biografischer Stationen, in welche die Entstehung der wichtigsten Werke eingebunden ist, werden dem Leser vor allem Inhalt und Bedeutung der zwei einflussreichsten Werke "Wealth of Nations" und "Theory of Moral Sentiments" nahegebracht, auch mit kritischem Blick auf moderne Entwicklungen.
Einen anderen Großen der Philosophiegeschichte stellt Dr. Martin Morgenstern in seinem Aufsatz "Bertrand Russell und die Aufklärung" vor. Darin untersucht er die liberalen, utilitaristischen und rationalistischen Wurzeln von Russells philosophischer Grundhaltung. Anhand des Werkes "Philosophie des Abendlandes" weist der Autor die Wertschätzung Russells für diese Grundhaltungen der Aufklärung nach, aber auch dessen kritische Auseinandersetzung damit und dessen Erweiterung davon.
Eine Konsequenz aus Russells Grundhaltung, nämlich die Zurückweisung des Faschismus, macht PD Dr. Thomas Krumm in seinem Beitrag "Populismus als neuer Aufstand gegen die Vernunft? Russell und Popper im Vergleich" zum Thema. Ausgehend von persönlichen Kontakten der beiden Denker, untersucht er die Ähnlichkeiten und Unterschiede in ihrem jeweiligen "Revolte-Modell" und deren Anwendbarkeit auf gegenwärtige Erscheinungsformen des Populismus.
In "Iwan Iljin – Anmerkungen zu einem von Putin besonders geschätzten nicht-marxistischen russischen Philosophen" setzt sich Prof. Dr. Wulf Kellerwessel mit einem weiteren Putin beeinflussenden Philosophen auseinander. Der Autor erläutert die christlich-orthodoxe Basis von Iljins Philosophie und deren umfassende Bedeutung für dessen Erkenntnistheorie, Ethik und politische Philosophie. Ein besonderer Schwerpunkt des Aufsatzes liegt, neben der Methodenkritik, auf den aus solch einer Ethik sich ergebenden Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenleben, Staatsverfassungen und Politik.
Um den ganz anders verfassten Legitimitätsanspruch einer demokratischen Staatsform geht es in Prof. Dr. Lothar Fritzes Abhandlung "Legitimation erzeugende Zustimmung. Zur Legitimität des freiheitlichdemokratischen Staates". Er legt dar, dass und wie sehr diese Staatsform von einer vernünftigen Selbstbestimmung ihrer Bürger abhängig ist, um ihre Legitimation durch eine rational begründete Zustimmung zu erhalten und zu bewahren.
Zu den Wurzeln der Idee der vernünftigen Selbstbestimmung führt Dr. Jan Kerkmann mit seinem Artikel "Über den Nutzen der Gerechtigkeit für das Leben. Überlegungen zur sukzessiven Depotenzierung der ¢δικ…α in Platons Politeia". Er macht für den Leser darin nachvollziehbar, wie es dort Sokrates gelingt, die sophistische Bevorzugung der Ungerechtigkeit zu entkräften, und würdigt die Bedeutung der Politeia für die Erarbeitung des Zusammenhangs von Gerechtigkeit, Vernünftigkeit und Glück für das Leben des Einzelnen.
Ein anderer antiker Klassiker ist Thema in "'Arbeit am Mythos'. Die 'Troerinnen' des Euripides und ihre Bearbeitungen im 20. und 21. Jahrhundert" von Dr. Konrad Lotter. Er zeigt darin, wie die Parabel des Euripides über den Krieg, der Leid auf allen Seiten, besonders für Frauen, verursache und letztlich keine Sieger kenne, im 20. Jahrhundert bearbeitet wurde. Dabei würden, je nach Autor und jeweils aktuellem Bezug, zusätzlich andere Schwerpunkte betont, beispielsweise die Frage nach der Autonomie und Eigenverantwortung des Menschen oder die nach Barbarei und Zivilisation in Zeiten des Krieges.
In seinem Aufsatz "Kreativität und Analyse. Die innere Dynamik jüdischer Philosophien im 20. Jahrhundert" gibt Prof. Dr. Anton Grabner-Haider einen Überblick über einige wichtige Beiträge jüdischer Philosophen – und einer Philosophin – zur Entwicklung der Philosophie des letzten Jahrhunderts. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf solchen Ansätzen zu Ethik und Gesellschaftsanalyse, die in der Auseinandersetzung mit der jüdischen oder christlichen Religion wurzeln.
Beginnend mit Informationen zu Günther Anders und dessen technikkritischem Ansatz gelingt es Dr. Peter Schmitt in seiner Abhandlung "Emotionen in der Mensch-Maschine-Interaktion. Zu Günther Anders' Technikkritik im Digitalzeitalter", dem Leser die Aktualität und Wichtigkeit dieser Gedanken im Hinblick auf die digitale Gegenwart zu vermitteln. Dazu erläutert der Autor zentrale Thesen über die Problematik von Emotionen im Umgang mit Technik, stellt diesen Kennzeichen individueller Freiheit gemäß dem Existenzialismus Sartres gegenüber, und stellt der Gegenwart die Aufgabe, den User als Menschen im Blick zu behalten.
Das FORUM beginnt mit Dr. Matthias Mindachs Skizze "Einstein, Büsching, Gott", in der er sich mit Einsteins vielschichtigem und uneindeutigem Verhältnis zur Religion auseinandersetzt. Prof. Dr. Hartmut Heuermann stellt in "Der Fundamentalismus – Irrweg zum 'wahren Glauben'" die Entstehung des Begriffs und der Bewegung in den streng religiösen Gemeinden der USA dar, zeigt einige der dortigen Wirkungen auf und erweitert den Blick auf den Fundamentalismus anderer Religionen. In ihrem Beitrag "Die Rekonfessionalisierung und Retheologisierung der kulturwissenschaftlichen Disziplinen der Islam- und Religionswissenschaft: Ein nicht nur wissenschaftliches Problem" formuliert und begründet Dr. Assia Maria Harwazinski ihre Sorge, dass die Interdisziplinarität der Religionswissenschaften in Gefahr sei. "Was stimmt nicht mit unserer Gesellschaft?" – dieser Frage stellt sich Prof. Dr. Lutz Ellrich, indem er vier Beispiele von Emanzipation problematisiert und sich ergebende Konsequenzen benennt. Einem Spezialproblem aus diesem Spektrum widmet sich Dr. Christian Zeller in "Warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine gute Sache ist, aber dringend der Reformen bedarf". Dazu unterbreitet er auch einige Vorschläge. Den Abschluss bilden drei Aufsätze, die sich mit anderen Schwerpunkten der Philosophie befassen. So stellt Dr. Klaus Mattheß in "Panpsychismus. Ein neuer Zugang zum Leib-Seele-Problem" die moderne Variante dieser Theorie von Thomas Nagel als möglichen Lösungsansatz eines Grundproblems der Philosophie dar. Einen anderen Lösungsansatz, nämlich den von Holm Tetens von 2015, stellt in seinem Aufsatz "Metaphysik, Leib/Seele, Theodizee" Karlheinz Rehwald vor und kritisiert dessen "rationale Theologie". Den Abschluss der Artikel bildet die kritische Auseinandersetzung Dr. Johannes Kimlings mit einem neueren Ansatz der Lösung des Induktionsproblems in seinem Beitrag "Schurz' Lösung des Hume'schen Problems durch Meta-Induktion – eine Rechtfertigung für den kritischen Rationalismus?".
Eine Reihe interessanter und thematisch weit gespannter Rezensionen sowie Kurzvorstellungen von Neuerscheinungen runden auch diese Ausgabe ab. Als "Schmankerl" gibt es diesmal einen "Tractatus logico-pragmaticus", der sich mit manchen "lieben" Gewohnheiten von fachinternen und fachfremden Diskursteilnehmern satirisch auseinandersetzt.
Bezug der Ausgabe über die Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg via Internet (Schutzgebühr 12,00 Euro, zuzüglich 2,50 Euro Verpackung und Porto).
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