Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.
Das erste reguläre Heft in 2023 beginnt mit einer Erstveröffentlichung, nämlich dem Text "Der Tod von Theorien und von Ideologien" von Karl R. Popper, herausgegeben von Dr. Hans-Joachim Niemann. Dieser berichtet eingangs über die Umstände des Zustandekommens dieses Textes, den Popper als Vortrag 1976 in Sparta hielt. Poppers Text beginnt mit der Erläuterung seines Satzes "Lasst unsere Ideen an unserer Stelle sterben", danach werden Analogien zwischen biologischen Prozessen und dem Überleben von Theorien hergestellt, zum Beispiel zwischen Ideologien oder Glaubensüberzeugungen und Instinktsteuerungen. Wie diese könne die ausbleibende Anpassung zum Tod ihrer Träger führen, aber "tote" Ideologien könnten leider auch wiederbelebt werden. Im zweiten Teil geht es um den Tod von wissenschaftlichen Theorien, der an der Unterscheidung von wissenschaftlichen Verfahren, die Gewissheit erlangen wollen, und solchen, die der Wahrheit näher kommen wollen, festgemacht wird. Popper hält die Idee der Gewissheit für eine metaphysische, die getötet werden müsse.
Im zweiten Beitrag "Wer gibt der Weltgeschichte wie einen Sinn? Einige Überlegungen im Anschluss an die bekannte These von K. R. Popper" über den Sinn von Geschichte setzt sich Prof. Dr. Dragan Jakovljević kritisch mit Poppers Geschichtsbegriff auseinander, besonders mit der Auffassung, dass Geschichte keinen vorgegebenen Sinn habe. Sein Schwerpunkt ist dabei eine Untersuchung zur Doppelfrage, wer der Geschichte Sinn gebe und wie, und eine Diskussion des Sinnbegriffs, woraus sich verschiedenartige Konsequenzen ergäben.
Prof. Dr. Wulf Kellerwessel führt in seinem Aufsatz "Alexander Dugins Nationalismus, Konservatismus und seine relativistische Idee einer multipolaren Weltordnung – eine philosophisch-kritische Analyse" in das Denken von Putins Lieblingsphilosophen ein. Dabei stellt er im ersten Teil dessen Vorstellungen zu einer neuen Weltordnung in "Zivilisationen" dar, erläutert seine philosophischen Grundlagen und seine umfassende, teils hasserfüllte Kritik am Liberalismus und an den Menschenrechten. Aus Dugins Konservatismus und Nationalismus ergeben sich dann folgerichtig dessen Aussagen über den Ukrainekrieg. In der kritischen Analyse des zweiten Teils weist der Autor eine Vielzahl von Widersprüchen innerhalb der Ausführungen Dugins nach und begründet im Fazit, dass die aufgrund des Fehlens eines universalen Maßstabs selbstwidersprüchlichen Ergebnisse Dugins theoretisch und praktisch abzulehnen seien.
In seinem Text "Die Verteidigung des vernunftbasierten Diskurses in Platons Frühdialog Euthydemos" zeigt Dr. Jan Kerkmann auf, dass der Verlust einer allgemeingültigen Wahrheit und die Berufung auf "Postfaktisches" keine modernen Erscheinungen sind, sondern schon in der Bewegung der Sophistik von Platon bekämpft wurden. Der Autor hat dazu dessen Dialog Euthydemos ausgewählt, um exemplarisch die Widerlegung der drei sophistischen Hauptansätze durch Sokrates nachvollziehbar zu machen und nachzuweisen, dass der Satz vom Widerspruch die Grundvoraussetzung des vernünftigen Denkens sei, mit dem auch Skeptiker operieren müssten – bei Platon und bis heute –, und dass dies einen Ansatz zur Widerlegung biete.
Nachdem Reinhard Fiedler im ersten Teil seiner Abhandlung "Physikalismus und Geist – ein Streifzug durch die Problemgeschichte" vor allem die historische Entwicklung der Problemlösungen zu "Entstehung und Wesen von Geist" bis ins 20. Jahrhundert dargestellt hat, geht es in Teil 2 um neuere Lösungsansätze. Zunächst werden einige vorgestellt, die sich aus dem Behaviourismus weiterentwickelt haben, sowie deren Schwierigkeiten und Grenzen. Nach der Darstellung von Funktionalismus, physikalischem Reduktionismus und einer kausalen Theorie des Geistes beschäftigt sich der Artikel mit Poppers Sicht auf den Physikalismus und seiner Drei-Welten-Theorie. Den Abschluss bilden die Auseinandersetzung mit einem neuen Ansatz, sowie das Fazit, dass das klassische deduktiv-nomologische Modell des Physikalismus der Komplexität des Leib-Seele-Problems keinesfalls gerecht werden kann.
Unter dem Titel "Soziale Probleme während der Industrialisierung" weist Prof. Dr. Hubert Kiesewetter anhand zweier Problemfelder und deren Entwicklung nach, dass der Marxismus in seiner Konzentration auf ökonomische Mechanismen wesentliche Bedingungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen außer Acht gelassen habe. Am Beispiel der Bevölkerungsexplosion Anfang des 19. Jahrhunderts werden wichtige Zusammenhänge für deren Entstehung erläutert, dann am langen Schatten des Malthus’schen "Gesetzes" Fehldeutungen der Wissenschaften, aber auch die reale Entwicklung der Bevölkerungszahlen nachvollziehbar dargestellt. Als zweites Beispiel werden der Alkoholismus in der Arbeiterschaft, dessen reale Entwicklung und einige Fehleinschätzungen marxistischer Theoretiker problematisiert.
"Ohne Gott keine Moral? Kritische Analyse der Argumente für die Unverzichtbarkeit der Religionen in moralischer Hinsicht" heißt der Beitrag von Prof. Dr. Dagmar Fenner, in dem sie zunächst die Ausgangslage von religiöser und säkularer Moralbegründung beleuchtet. Nach der Vorstellung einiger Untersuchungsergebnisse zur Frage, ob religiöse Menschen die besseren seien, werden differenziert theologische und säkulare Moralbegründungen untersucht. Als deutlichster Unterschied erweist sich das Menschenbild, denn die auf einem rational wägenden und autonomen Subjekt basierende Begründung der säkularen Ethik widerspreche der in Gott oder der Transzendenz verankerten Begründung religiöser Moral und führe zu unterschiedlichen moralischen Motivationen.
Dr. Ludwig Coenen befasst sich unter der Überschrift "Ethisches Handeln als Basis von Glaubwürdigkeit" unter eher historischem Aspekt mit säkularer Ethik. Ausgehend von der verlorenen Glaubwürdigkeit der Kirchen durch den Missbrauchsskandal begibt er sich auf die Spuren von Bibel- und Kirchenkritik, von der Spätantike über Spinoza, die britischen Frühaufklärer bis zu Hume und Voltaire. Dabei zeigt er eine Entwicklungslinie auf, die von der Wunderkritik Humes und der historisch-kritischen Bibelexegese bis zu Kants autonomer Ethik führt.
Das FORUM beginnt mit Andreas Müllers Beitrag "Objektivismus Revisited: Darum scheitert Ayn Rands Ethik", in dem er die Grundzüge von Rands Objektivismus darstellt und die daraus resultierende "Überlebensethik", deren Mängel und Scheitern, aber auch ihren wichtigen Beitrag zur Verteidigung der Freiheit.
Prof. Dr. Hartmut Heuermann kritisiert in "Denglisch – von den Symptomen sprachlicher Infektion" diese um sich greifende Mischsprache, bringt viele Beispiele dafür aus Wirtschaft, Medien, Politik und Wissenschaft, zeigt Ärgernisse und Gefahren auf, die sich daraus entwickeln können, und macht Vorschläge für einen bewussteren Gebrauch des Deutschen.
Der Aufsatz "Fortpflanzung als moralisches Problem" von Dr. Sigbert Gebert setzt sich kritisch mit einem Beitrag zum Thema "Fortpflanzung" in A&K 2/2022 auseinander und betont mehr die individuelle anstelle der staatlichen Verantwortlichkeit in Bezug auf die Einlösung moralischer Forderungen.
Mit seinem Beitrag "Das Spinnennetz. Hochwertig feingliedrig und leicht zerstörbar" mahnt Gopal Kripalani einen veränderten Umgang mit Tieren an und darüber hinaus mit der Gesamtheit des Ökosystems.
In "Freunde – Demokraten – Europäer?" untersucht Dr. Jutta Georg anhand von Textstellen von Aristoteles, Hobbes, Nietzsche und Derrida, ob es Verbindungen zwischen Freundschaft und Demokratie gebe, wie diese aussähen und inwiefern dies mit Europäertum zusammenhänge.
Die nächsten drei Beiträge sind jeweils gleichzeitig Auseinandersetzungen mit Büchern. So stellt Dr. Bruno Heidlberger unter dem Titel "Reflections on Little Rock: Aber ich wusste immer, dass ich irgendwie falsch lag" das neue Werk der Publizistin Marie Luise Knott vor, die sich in 17 "Hinweisen" mit dem oben genannten Text Arendts und den Kritiken daran auseinandersetzt. Darin arbeite sie zentrale Anliegen Arendts heraus, untersuche deren blinde Flecke und den Umgang damit und zeige Arendts Politikverständnis und ihre Mahnungen für die Moderne auf neuen Denkpfaden.
"Das unheimliche Denken. Der lange Schatten von Heideggers Existenzanalyse" von Prof. Dr. Anton Grabner-Haider ist eine Auseinandersetzung mit der neuen Heidegger-Biographie von Guillaume Payen, in der den antimodernistischen Prägungen Heideggers aus seiner Jugendzeit bis in seine Philosophie, sein politisches Denken und seine letzten Vorträge nachgegangen wird, unter Einbeziehung der Schwarzen Hefte.
Roman Jordan informiert mit seinem Beitrag "Von den bakteriellen Organismen bis zum Komponistengenie. Über die Evolution des Geistes bei Daniel Dennett" die Leserschaft über das weitreichende "Panorama von Reflexionen auf das Mentale" bei Dennett und untersucht dessen Anschlussmöglichkeiten an die evolutionäre Erkenntnistheorie und bio- oder neurophilosophische Ansätze.
Den Abschluss dieser Ausgabe bilden eine Reihe von informativen Rezensionen, Hinweise auf Neuzugänge bei der Redaktion, einige Gedankensplitter in Aphorismenform und Leserbriefe.
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