Mutter Teresa wurde zum Inbegriff der Güte und für die Hilfe an den Armen, so ist es nicht erstaunlich, dass der Spruch, "du kommst mir vor wie Mutter Teresa", wenn jemand etwas Gutes tut, bald zu einem Standardsatz wurde, den vermutlich schon jeder selber gebraucht oder mindestens hörte. War sie der Lichtblick, der Sonnenstrahl inmitten der nicht gerade mit Guttaten verwöhnten katholischen Kirche? Millionen liessen sich von ihren Guttaten überzeugen. Zu Recht? Oder wurden die Millionen Opfer einer genialen PR-Geschichte?
Mutter Teresa die Heilige
Am 19. Oktober 2003 fand in Rom die offizielle Seligsprechung von Mutter Teresa statt. Derzeit wird bereits mit Eile die Heiligsprechung (am 4 September 2016) vorbereitet.
Ihr Leben, aufgeopfert, um den Ärmsten zu helfen, war sie unermüdlich im Einsatz. Gründerin von Schulen und Spitälern für die Ärmsten in Indien. Gekrönt mit dem Friedensnobelpreis für ihr aufopferndes Lebenswerk. Bei Heiligen der katholischen Kirche hat es aber eine gewisse Tradition, dass in gebührendem Abstand zu ihrem Tod Stimmen laut werden, die beweisen wollen, dass es mit der Heiligkeit der Verehrten nicht allzu weit her sein kann, wenn wir alles bedenken, das sich in deren Leben auch noch zugetragen hat. Auch die Gründe, die zu ihrer Seligsprechung durch den Papst geführt haben, seien "konstruiert und das Resultat einer orchestrierten und gut organisierten PR-Kampagne".
Zusammen mit seinen Kolleginnen Geneviève Chénard und Carole Sénéchal hatte der Psychologe Hunderte Berichte über das Leben und Werk von Mutter Teresa untersucht. Die Ergebnisse der Studie erschien im französischsprachigen Wissenschaftsmagazin Sciences Religieuses und hat weltweit für Aufsehen gesorgt. "Der Papst Johannes Paul II., bürgerlicher Name Karol Józef Wojtyła, hat bei seiner Seligsprechung von Mutter Teresa ihre fragwürdige und teils unmenschliche Seite einfach übergangen", schreibt Professor Larivée. So habe sie bei ihrer ganzen Arbeit dem Leiden der Armen und Kranken auch etwas Gutes abgewinnen können.
Doch bei Heiligen kommt es auf solche Argumente im Grunde überhaupt nicht an. Denn die erste Heiligsprechung ist ja Jesus selbst zuzuschreiben, als er am Kreuz neben sich einem Verbrecher (!) versprach, ihn noch am selben Tag im Paradies wieder zu treffen. Knapper lässt sich Heiligkeit aber nicht definieren: als Existenz in der Gegenwart Gottes.
"Tutti i santi hanno i loro difetti", weiss der italienische Volksmund deshalb schon lange: "Alle Heilige haben auch Fehler". In einem Heiligsprechungsprozess der katholischen Kirche wird deshalb auf überaus skrupulöse Weise nur der "heroische Tugendgrad" der betreffenden Person festgestellt. "Heilig" darf sie dann aber erst genannt werden, wenn dieser Befund durch ein anerkanntes Wunder quasi vom Himmel her bestätigt wurde. Genau dies ist bei allen Heiligen des letzten Jahrhunderts von Pater Pio bis zu Mutter Teresa exakt so geschehen.
Auch der Mythos von Mutter Teresa als einer Frau mit heilenden Händen hält der neuen Untersuchung nicht stand. So soll die Missionarin nach Berichten in einem ihrer Krankenhäuser Monica Besra nur durch ihre Hände und das Auflegen einer Medaille der Jungfrau Maria auf den Bauch der Kranken von ihren starken Unterleibsschmerzen geheilt haben. Ein Wunder, das später als Begründung für die Seligsprechung von Mutter Teresa durch den Vatikan angeführt wurde. "Der Vatikan hat das alles ignoriert".
Zurück zur Realität. Um die Seligsprechung von Teresa offiziell zu machen, musste ein posthumes Wunder her. Das war in der kleinen Stadt Dangram schnell gefunden in Form der armen Inderin Monica Besra. Ein Jahr nach dem Tod der Ordensmutter habe sich die Frau mit Unterleibschmerzen an die Schwestern gewandt. Ein Medaillon der guten Nonne habe ihr Problem im Nu gelöst - ein Tumor im Unterleib wurde wundersam geheilt.
Monatelang protestierte der Ehemann gegen diese Version der Geschichte: "Meine Frau wurde durch die Ärzte geheilt und nicht durch ein Wunder." Tatsächlich war Besra zuvor im Krankenhaus gewesen. "Diese Wunder-Behauptung ist absoluter Unsinn und sollte von jedem verdammt werden", meint auch der Arzt Ranjan Kumar Mustafi, der Besra behandelt hat. "Sie hatte eine mittelgrosse Wucherung in ihrem Unterleib, die von Tuberkulose verursacht worden war. Die Medizin, die ihr gegeben wurde, reduzierte die zystische Masse, bis sie nach einem Jahr verschwand."
Der Ehemann hat seine Meinung noch rechtzeitig vor der Seligsprechung gewandelt. "Es war Mutter Teresas Wunderheilung, die meiner Frau geholfen hat. Nun erhalten meine Kinder und ich mithilfe der Nonnen eine Ausbildung, und ich konnte es mir leisten, ein kleines Stück Land zu kaufen. Alles hat sich zum Besseren gewandelt."
Mit ein bisschen PR-Training lernt Selku Murmu sicherlich auch, dass er diesen Teil den Reportern nicht unbedingt erzählen muss. Wer nun meint, Agnes Gonxha Bojaxhiu sei eine kontroverse Heilige, kennt die Geschichte der katholischen Kirche nicht. Dabei muss man nicht nur auf Heilig- und Seligsprechungen aus jüngerer Zeit schauen, wie z.B. die von Josemaria Escriva, Gründer der ultraorthodoxen Pressure Group Opus Dei, oder die Segnung von Erzbischof Stepinac von Zagreb, der die kroatischen Ustascha-Faschisten bei der Ermordung von 350,000 Serben unterstützte.
Otto von Corvin schrieb im Pfaffenspiegel 1845 von den "lieben, guten Heiligen", deren Hauptleistung Corvin zufolge in der Unterdrückung ihrer eigenen Wollust mithilfe verschiedener Formen der Selbstkasteiung bis hin zur Kastration bestand.
Daneben beschäftigten sich die ersten Heiligen vor allem damit, das verhasste Heidentum auszulöschen. Der Heilige Nikolaus von Myra, heutzutage bekannt für sein Coca-Cola-Outfit, zerstörte zahlreiche heidnische Tempel der Heidengöttin Diana, sein Feiertag ist der 6. Dezember, zufälligerweise Dianas Geburtstag. Auch St. Martin zerstörte viele Tempel und hackte nebenbei auch religiös verehrte Bäume um. Und der Heilige Kyril von Alexandrien befahl oder duldete die brutale Ermordung der heidnischen Gelehrten Hypatia 415. So bekannt war Hypatia, dass selbst christliche Gelehrte wie Socrates Scholasticus sie in den höchsten Tönen als schöne, weise, tugendhafte Frau lobten. Um Hypatia aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen, erfand die Kirche eine neue Heilige: Katharina von Alexandrien. Mehr als 100 Jahre vor Hypatia soll diese "intelligente, hübsche und sehr selbstbewusste junge Frau" in Alexandrien Heiden zum Christentum konvertiert haben und dafür brutal ermordet worden sein. Da es für ihre Existenz keinerlei Beleg gibt, wurde sie 1969 aus dem allgemeinen römischen Kalender gestrichen.
Sechs Jahrhunderte lang war sie eine der beliebtesten Heiligen von allen, und viele Christen ehren sie noch heute. Es ist halt eine schöne Geschichte. Nun ist da die Ikone der Güte als neue Heilige. Der Vatikan kann sich kaum etwas Besseres wünschen. Wie kann sich das Bild einer Ikone der Güte bis heute halten? Wie konnte eine fanatische Gegnerin von Abtreibung und Verhütung, die systematisch ihr Vermögen und die Natur ihrer Arbeit verschleierte, vor den kritischen Medien der freien Welt Bestand haben?
Christopher Hitchens bezeichnete sie als "Medienheilige". Kritische Berichte über ihre Arbeit muss man aber auch heute noch mit der Lupe suchen. Hunderte Bücher sind über sie geschrieben worden, Lebensratgeber für Christen und Nichtchristen, Werke mit Titeln wie "Ein Leben für die Ausgestossenen", "Die Heilige von Kalkutta", "Mutter ohne Furcht und Tadel" und "Die Kraft der Liebe".
Medien, so lernt jeder Schüler im Politikunterricht, haben einen aufklärerischen Auftrag und Anspruch. Frei von totalitärer Kontrolle und Zensur bohren sie nach, stellen kritische Fragen auch an die scheinbar Unantastbaren, an "die da oben" eben, schützen uns vor Machtmissbrauch und Manipulation. Medien müssen aber auch Umsatz machen und Geld verdienen und da beisst sich die Schlange halt schon oft in den eigenen Schwanz. Tatsächlich gibt es trotz einer gigantischen Menge von Medienerzeugnissen nur relativ wenige Journalisten, die unabhängig recherchieren: Knappe Zeilenhonorare, Vorgaben von oben und mehrere Filterstufen in den Redaktionen setzen investigativer Arbeit enge Grenzen. Die grossen Magazine können es sich leisten, für eine "Top-Story" viel Geld auszugeben, doch was eine solche Story ist, entscheidet der Chefredakteur. Eine systematische Verzerrung der Wirklichkeit bei nahezu vollständiger Ausblendung kritischer Analyse muss man im Falle Mutter Teresas diagnostizieren, wenn man ihr Lebenswerk unvoreingenommen untersucht.
Die Mediengeschichte der gesegneten Albanerin beginnt mit dem Briten Malcolm Muggeridge, "ohne ihn hätte die Welt vielleicht nie von Mutter Teresa erfahren", schrieb nach ihrem Tod die Catholic Times am 12. Oktober 1997.
Muggeridge, ein fanatischer Konservativer, der den säkularen Liberalismus für "die grösste aller destruktiven Mächte" hielt, gehörte zu den vom "Congress for Cultural Freedom" gesponserten Journalisten. Dabei handelte es sich um eine CIA-Organisation, die in Europa eine proamerikanische Gegenkultur zum Kommunismus etablieren sollte. Neben einer nichtkommunistischen Linken" wurden die abstrakte Kunst und das "postmoderne" Denken als sozial irrelevante Ausdrucksformen der liberalen Linken finanziell gefördert. (Das Standardwerk zum Thema ist "Wer die Zeche zahlt. Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg" von Frances Stonor Saunders.)
Muggeridges Arbeit am Teresa-Projekt begann 1968 mit einem BBC-Interview. Die in Albanien geborene Nonne Teresa leitete damals noch recht bescheiden ihr Haus der Sterbenden in Kalkutta - keineswegs ein innovatives Projekt, gab es vergleichbare Institutionen in Kalkutta doch schon lange vor Teresas Geburt. Die Operation nahm sich in ihrem Ausmass wie auch in der medizinischen Versorgung minimal aus. Waisenkinder wurden mit Essen versorgt, Sterbende bekamen ein Dach über dem Kopf.
Das Ganze wurde und wird im klassischen katholischen Stil betrieben - die Schwestern erhalten keine nennenswerte medizinische Ausbildung, dafür gibt es geheime Taufen der Sterbenden. Im Vergleich z.B. zur indischen Ramakrishna-Mission, die auch Bibliotheken und Schulen betreibt, oder auch der amerikanischen "Assembly of God" Mission, die jeden Tag 18’000 Mahlzeiten verteilt, ist Teresas Orden auch heute noch ein Tropfen auf dem heissen Stein.
Für den Fundamentalisten Muggeridge war Mutter Teresa jedoch die Figur, die er benötigte, um seine Ideologie weltweit zu verbreiten. Unterstützer dafür fand er vor allem in den USA. 1969 produzierte Muggeridge gemeinsam mit dem Regisseur Peter Schafer die Dokumentation "Something Beautiful for God", ein internationaler Buch-Bestseller mit dem gleichen Titel folgte. Legendär ist die Dokumentation aufgrund der Behauptung Muggeridges, man habe beim Filmen in Teresas Heim ein "photographisches Wunder" festgehalten - das sanfte Licht im finsteren Raum sei technisch unerklärlich. Erst 1994 erläuterte Kameramann Ken Macmillian, dass man einen neuen Film von Kodak ausprobiert hatte. "Als wir den endgültigen Film sahen, wollte ich schon zum Jubel auf Kodak anheben, aber Muggeridge hielt mich davon ab. Am gleichen Tag bekomme ich dann all diese Anrufe wegen des 'Wunders' in Kalkutta. In den USA feierte die religiöse Rechte Mutter Teresa, die ihrerseits begann, ihre Ablehnung von Kontrazeptiva und Abtreibung bekannt zu machen. Einflussreiche Protestanten wie Billy Graham und Katholiken wie William F. Buckley, Jr. prägten das geflügelte Wort von der "lebenden Heiligen", die "die Ärmsten der Ärmsten" in Kalkutta von den Strassen aufsammelte (eine Behauptung, die zwar erlogen war, von Teresa aber vielfach dankend wiederholt wurde).
Bereits 1971 prophezeite Muggeridge Mutter Teresa den Nobelpreis, so wie auch ihre baldige Heiligsprechung schon lange vor ihrem Tod vorausgesagt wurde.
Zunehmend entwickelte sich Teresa von der Nonne zur Medienfigur, reiste um die Welt zu diversen internationalen Anlässen als auch in liberalen Kreisen präsentierbare Stellvertreterin des Papstes. Jedem Politiker, den sie traf, bat sie um Intervention gegen Abtreibung, Pille und Kondom. Nach zwei gescheiterten Anläufen wurde ihr der Nobelpreis 1979 als Ergebnis einer gut finanzierten Kampagne verliehen, und sie nutzte die Gelegenheit, um der Weltöffentlichkeit ihre politische Plattform zu präsentieren: Ungewöhnliche Worte von einer Frau, deren selbst erwählte Aufgabe es vermeintlich war, das Leid der Welt zu lindern.
Doch in den kommenden Jahren sollte sich ein anderes Bild von Teresa herauskristallisieren: Eine Agentin des Papstes, die das menschliche Leid nicht ablehnt, sondern es zelebriert und fördert.
Während Mutter Teresa zum Darling der Rechten avancierte und auch von Liberalen wie den Clintons und Prinzessin Diana hofiert wurde, spielten die Medien das Spiel eifrig mit.
Der erste Kratzer am Bild Mutter Teresas war die britische Dokumentation "Hell's Angel" von Christopher Hitchens (1994), der 1995 das 100-Seiten-Pamphlet "The Missionary Position" folgte. Beide erörtern im Wesentlichen die gleichen Vorwürfe in sehr polemischer Weise. Dem Buch mangelt es an Quellenbelegen, doch die darin enthaltenen Fakten sind generell unbestritten, aufgrund des Stils und der Einzelkämpfer-Rolle Hitchens' war es jedoch relativ leicht, die Kritik zu ignorieren. Tatsächlich beruhte ein grosser Teil der Arbeit von Hitchens auf den Recherchen des in Grossbritannien lebenden Inders Aroup Chatterjee, der Mutter Teresas Operationen besucht und gefilmt, Beteiligte interviewt und die Reaktion der Nonnen auf bestimmte Vorfälle getestet hat.
Nun ist Chatterjees Buch erschienen, neben dem sich Hitchens Werk wie ein Schulaufsatz ausnimmt. The Final Verdict, das im Volltext auf, der Seite des Verlages herunter geladen werden kann, ist eine über 400 Seiten starke und vollständig quellendokumentierte Abrechnung mit Teresas Lebenswerk. Daneben war Chatterjee direkt am Seligsprechungsprozess beteiligt und hat den zuständigen Autoritäten im Vatikan seine Eingaben zugesandt. Er wurde sogar zu einer Frage-Antwort-Sitzung mit einer Laienprüferin eingeladen, um Teresas "Heiligkeit" zu beurteilen.
Natürlich hatten seine Eingaben keinerlei Einfluss auf den Seligsprechungsprozess, und auch Chatterjee empfahl den Kirchenleuten keineswegs, den Prozess abzubrechen: "Selbstverständlich würde ich, wenn ich ein Geschäft betreibe, meine besten Verkäufer ins Rennen schicken."
Fazit
Mutter Teresa war sicher nicht die Ikone der Güte, sie war eines der besten PR-Pferde, das der Vatikan je hatte. Ein Preis für ihre Marketing-Leistung wäre sicher angebracht gewesen, der Friedensnobelpreis war es indes nicht. Wobei sie mit Preisträgern wie Lech Walesa, Jassir Arafat, Schimon Peres, Jtzchak Rabin und Barack Obama in guter Gesellschaft war.
Erstaunlich wie sie heute noch bei vielen Menschen den Ruf geniesst, ein Engel der Armen gewesen zu sein. Tragisch für die, die in ihren Armen sterben mussten.
Millionen sind auf diese Geschichte hereingefallen, sie haben sich hinreissen lassen, Geld für die Armen zu Spenden, nicht wissend, dass es in den dunklen vatikanischen Kanälen versickerte.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autoren von seiner Webseite.
4 Kommentare
Kommentare
Angelika Oetken am Permanenter Link
Agnes Gonxha Bojaxhiu hat viel für ihre Kirche getan. Das Spendenimperium, das sie aufbaute und das es ohne ihre besondere PR-Begabung so nicht gegeben hätte, fuhr dem Vatikan ein weiteres Vermögen ein.
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Man gut, das der Mensch nur einmalig ist und so ein gleicher Mensch niemals auftaucht.
Andrea Diederich am Permanenter Link
Hauptsache der Vatikan hat ein gutes Geschäft gemacht.
Ob Notleidende noch mehr leiden müssen ist zweitrangig.
Dann ist er auch glaubwürdig.
Uwe Wüstenhagen am Permanenter Link
"Die in Albanien geborene Nonne Teresa" (s.o.)
vs