Pauschalisierungen und Ressentiments

(hpd) Der Islamwissenschaftler und Orientalist Rainer Glagow will in seinem Buch das Spannungsverhältnis von Islam und offener Gesellschaft erörtern. Obwohl der Autor eine Reihe von bedenklichen Aspekten benennt ist seine Publikation mehr von einer christlich-konservativen Ideologie und weniger von differenziert-wissenschaftlichem Analysevermögen geprägt.

Inwieweit stellt der eminent politische Charakter des Islam über die Anwesenheit von Muslimen eine Herausforderung für die offene Gesellschaften dar? Diese Frage wird seit einiger Zeit emotional wie sachlich diskutiert. Dazu erscheint und erschien eine Reihe von Literatur der unterschiedlichsten Ausrichtung und Qualität. Zu diesen Publikationen gehört auch das Buch „Allahs Weltordnung. Der politische Islam als Herausforderung für Demokratie und Gesellschaft“, das der Islamwissenschaftler und Orientalist Rainer Glagow vorgelegt hat. Er lebte längere Zeit in verschiedenen arabisch-islamischen Ländern und war zeitweise Stellevertretender Leiter des Orient-Instituts in Hamburg. Insofern kann Glagow Sachkenntnis nicht abgesprochen werden. Sein Buch - um es gleich vorwegzunehmen - zeigt sich gleichwohl aber mehr einer christlich-konservativen Ideologie denn einer differenziert-wissenschaftlichen Analyse verpflichtet. In dieser Form steht es auch stellvertretend für zahlreiche jüngere Publikationen.

„Allahs Weltordnung“ gliedert sich in vier große Teile: Nach einer Einführung mit Problemaufriss geht es zunächst um die Grundlagen des politischen Islam von Muhammad bis zum Konflikt mit der Moderne. Hierzu heißt es: „Seit seiner Entstehung hat der Islam immer wieder Gewaltanwendung sanktioniert ...“ (S. 66). Danach betont Glagow die Gegensätze von christlicher und islamischer Geisteswelt. Im Unterschied zu Ersterem gebe es zwischen „islamischer Staats- und Gesellschaftsordnung und westlichem Demokratieverständnis ... keinen gemeinsamen Nenner“ (S. 98). Dem folgend widmet der Autor sich der Einwanderungspolitik und der besonderen Problematik der islamischen Zuwanderung. Hierbei heißt es: „Die Fixierung auf das Dritte Reich machte jegliches Nachdenken über die biologische Zukunftssicherung des Staatsvolkes anrüchig ...“ (S. 117). Und schließlich geht es Glagow um das Spannungsverhältnis von Islam und Gesellschaft, sollte doch Integration auf Basis der „Akzeptanz und Befolgung eines gemeinsamen Wertesystems“ (S. 207) erfolgen.

Wie dieser knappe inhaltliche Überblick schon zeigt, gehen in dem Buch angemessene Kritik und Problembeschreibung mit stereotypen Pauschalisierungen und Ressentiments einher. Durchaus nachvollziehbar verweist der Autor auf den ausgeprägten Kollektivismus und Überlegenheitsanspruch sowie die geringe Reformbereitschaft und Selbstkritik von Islam und Muslimen. Glagow macht auch auf die Islamismuskompatibilität des Islam aufmerksam. Die damit einhergehende Kritik, die Beachtung und Diskussion verdiente, wird allerdings von stark ideologisch motivierten Auffassungen und Fehlschlüssen überlagert. Dies lässt sich schon an den Formulierungen erkennen: „Der Islam eroberte ...“ (S. 26), „Die Religion besann sich ...“ oder „griff der Islam ... an“ (S. 43). Wie macht der Islam das, könnte man polemisch fragen. Nicht der Islam handelt, sondern Menschen in dessen Namen. Diese Einsicht ermöglichte evtl. differenziertere und genauere Beobachtungen und Einschätzungen bezüglich der Ursachen und Verlaufsformen von Entwicklungen.

Glagow führt aber lieber die Ursachen auf die Naivität und das Wirken von „Gutmenschen“ und „Islam-Lobby“ zurück. Letzteres nimmt stellenweise sogar verschwörungsideologische Formen an. Durchaus kritikwürdigen „Multi-Kulti“-Anhängern mal schnell ein Argumentieren aus dem „Fundus totalitären Denkens“ (S. 104) unterstellt, während gleichzeitig vom Bestehen von „Denkverboten“ (S. 116) und der „Kriminalisierung der Einwanderungskritik“ (S. 106) die Rede ist. Auch stehen Sätze wie „Der Islam ist ein Kerker, der Muslim ein Gefangener“ (S. 56) nicht unbedingt für ein differenziertes Wahrnehmungsvermögen. Kurzum, das klingt alles mehr nach emotionalisiertem Stammtisch denn sachlichem Diskurs. Peinlich ist denn auch der geschilderte „Albtraum“ für das Deutschland des Jahres 2071 mit dem Ruf „Ein Volk, ein Reich, ein Glaube“ (S. 15). In einer solchen Form stellt ein Buch keinen erkenntnisförderlichen Beitrag zu einer durchaus notwendigen Debatte über ein komplexes gesellschaftliches Thema dar.

Armin Pfahl-Traughber

Rainer Glagow, Allahs Weltordnung. Der politische Islam als Herausforderung für Demokratie und Gesellschaft, Mering 2010 (Edition D21 im Holzheu-Verlag), 223 S., 14,80 €