Ein Atheist zwischen Kopftuch und Kruzifix

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Studio Zollernhof / Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (news.de/hpd) Gehört der Islam zu Deutschland? Maybrit Illner hatte es gar auf den reißerischen Titel «Kreuzzug 2010» zugespitzt. Und sich einen cleveren Schachzug erlaubt: Atheist Michael Schmidt-Salomon trieb die religionslastige Talkrunde vor sich her.

„Die Zeiten des christlichen Abendlandes sind zum Glück vorbei“ - welch eine Provokation! CSU-Landesminister Markus Söder, und der evangelische Altbischof Wolfgang Huber zuckten merklich zusammen. Hätte dies ein Islamvertreter gesagt, der nächste Skandal wäre geboren gewesen. Doch es war der Religionskritiker und überzeugte Atheist Michael Schmidt-Salomon, der Maybrit Illners Talkrunde aufmischte.

Selbstbewusst präsentierte er seine Sichtweise der Realität: „Jeder dritte Deutsche ist inzwischen konfessionslos“. Nicht-religiöse Menschen stellten sogar die größte Bevölkerungsgruppe – und kämen trotzdem in der Diskussion um Leitkultur, deutsche Identität und Integration nicht vor, so Schmidt-Salomon. Schon zu Beginn war damit abzusehen, dass diese Talkrunde nicht auf dem Niveau einer gewöhnlichen Islam-Debatte herumdümpeln würde.

„Kreuzzug 2010 – Gehört der Islam wirklich zu Deutschland?“ Gewohnt knackig, vielleicht ein wenig arg reißerisch war der Titel, den die Moderatorin für ihre Gäste formuliert hatte. Die Einladung eines atheistischen Philosophen war ein Winkelzug Illners, der ihre christlichen und muslimischen Gäste sichtlich herausforderte. Doch für den Wind, den sie gesät hatte, erntete sie einen vergleichsweise harmlosen Sturm: Die Gäste zeigten klare Kante, ohne deshalb im Kampf der Kulturen zu versinken.

Populistischer Überbietungswettbewerb

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, diagnostizierte "seit Sarrazins rassistischen Thesen einen populistischen Überbietungswettbewerb". Immer auf die Muslime, so sein Grundtenor.

 

Markus Söder hingegen warnte davor, „Kritik am Islam als Rassismus und Populismus abzutun“. Vielmehr müsse man „die Sorgen von immerhin gut der Hälfte der Bevölkerung ernst nehmen und notwendige Diskussionen nicht erneut tabuisieren“.

Der CSUler verteidigte die Forderung seines Parteivorsitzenden Horst Seehofer: „Wir brauchen eine Zuwanderung, die Deutschland nützt!“
„Ach, Seehofer“, spottete Grünen-Chef Cem Özdemir, „der schafft es doch, am selben Tag zum gleichen Thema zwei Meinungen zu haben. Was die Menschen nun wollen, ist Einsatz für Lösungen!“.

„Religionen heraushalten“, fordert der Atheist

Ziemlich radikale Lösungsvorschläge hatte der atheistische Gottseibeiuns parat. Michael Schmidt-Salomon funkte dazwischen, bevor sich Mazyek und Özdmir auf Söder eingeschossen hatten: „Jahrzehntelang stand die absurde Forderung nach einer christlichen Leitkultur einer rot-grünen Beschwichtigungspolitik gegenüber, die Probleme geleugnet und tabuisiert hat“, so Schmidt-Salomon. Sein Fazit: „Religionen, und zwar alle, aus Staat und Forschung heraushalten!“

 

So richtig hören wollte das um Schmidt-Salomon herum niemand: Söder, Mazyek und auch der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Huber versicherten sich gegenseitig, wie wichtig Religion im Allgemeinen doch für den Zusammenhalt eines Staatswesens sei. Auf eine Debatte über lupenreinen Laizismus, wie er in Frankreich, aber auch der Türkei praktiziert wird, wollte sich keiner von ihnen einlassen. Huber philosophierte lieber darüber, dass „die Aussage des Bundespräsidenten die Beschreibung einer Aufgabe, nicht die eines Zustandes“ gewesen sei.

Söder dagegen zog sich mehr und mehr in das Schneckenhaus des Stammtisch-Phrasenmähers zurück („Wer nach Deutschland kommt, muss sich unseren Sitten anpassen und nicht umgekehrt!“, „In Klassenzimmer gehören Kruzifixe, keine Kopftücher!“). Mit solchen Sticheleien brachte er wieder Mazyek gegen sich auf, der mit der Forderung konterte, der Islam müsse als Religionsgemeinschaft anerkannt und den Kirchen gleichgestellt werden.

Bereitwillig nahmen Huber und Söder den Fehdehandschuh auf – schnell war ein kleinkarierter Hickhack entbrannt. Bis Schmidt-Salomon laut überlegte, „den christlichen Großkirchen ihre Privilegien wegzunehmen, denn das weckt natürlich Begehrlichkeiten“. Da standen die drei Streithähne zum Schutz der Religion wieder Schulter an Schulter.

Maybrit Illners ebenso trockenes wie treffendes Fazit: „Stellenweise hätten wir in dieser Sendung einen Integrationsbeauftragten gebraucht.“ Trotz aller Streiterei ist der Moderatorin jedoch ein beachtliches Kunststück gelungen: Sie hat eine Integrationsdebatte geführt, gleichzeitig aber die Rolle der Religion im Staat hinterfragt. Ein gelungener Doppeltreffer.

Von news.de-Mitarbeiter Armin Peter

Die Aufzeichnung der Sendung in der mediathek des ZDF...
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Wir bedanken uns bei news.de für die Genehmigung des Abdrucks.