Bezaubernd: Menschenaffen wie wir

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Buchtitel: Edition Panorama

(hpd) Bilder, an denen man sich nicht sattsehen kann: Die Fotografin Jutta Hof und der Professor für Evolutionäre Anthropologie, Volker Sommer, haben Anfang Oktober einen Bildband mit ausführlichen Texten veröffentlicht. Zarte, wuchtige, wundervolle Fotos von Menschenaffen wie wir.

Jutta Hof ist als freie Fotografin tätig, mit dem Arbeitsschwerpunkt Tierfotografie und hat auf einhundert Seiten Orang-Utans, Gorillas, Bonobos und Schimpansen porträtiert, deren Namen am Ende des Buchs aufgeführt sind. Die Fotos sind im Großformat oder kleine Serien, farbige und schwarzweiße Aufnahmen von Gesichtern, Händen, Affen in Aktion. Der Verlag, in dem das Buch erscheint, Edition Panorama, ist denn auch auf Fotobände spezialisiert.

Wer Volker Sommer kennt, ahnt bereits, welcher Art seine Texte sind. Sie regen zum Nachdenken an, sie provozieren und informieren. Er hat seine Texte auf Deutsch und auf Englisch verfasst, was dem Buch einen internationalen Anstrich gibt.

Auftakte

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, mit jeweils drei bzw. vier Kapiteln. Im ersten Teil, Auftakte, geht es um Geschichte(n), Primaten und Namensgebung. Moderne Wissenschaft, allen voran die Genetik, die Verhaltens- und Neurobiologie, demonstrieren, wie nahe uns Menschen Affen stehen. Es wird fraglich, ob wir die Grenzziehungen zwischen Tier und Mensch stehen lassen können oder sollten, ob die Grenzen nicht mittlerweile so fließend sind, dass wir sie in Frage stellen müssen. Volker Sommer erforscht unsere wilde Verwandtschaft seit drei Jahrzehnten in ihrer natürlichen Heimat und schreibt aus dieser Perspektive. Ein realistischer, manchmal erschütternder, dann wieder hoffnungsvoller Blick.

Monotheismus, der Versuch, den Menschen als Krone der Schöpfung zu installieren, führte zum Dualismus Mensch oben, Tiere unten. Seit Darwin entwickelt sich aber die Erkenntnis, dass wir über weite Strecken eine gemeinsame Stammesgeschichte teilen. Als Linné sein Systema Naturae generierte, sah er keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Halbaffen und Affen und führte die Gattung Homo nur ein, um dem zu erwartenden Protest vorzugreifen. Die Primaten umfassen ungefähr 400, äußerst vielfältige Arten, die aus zwei Zweigen bestehen: den Feuchtnasen und den Trockennasenaffen (zu letzteren gehören wir Menschen). Übergreifende spezielle Merkmale fehlen und die Charakterisierung erfolgt anhand eines ganzen Katalogs von Merkmalen.

Möglicherweise sind wir eher „weise Schimpansen“ als Homo sapiens – Schimpansen und Bonobos weisen mit uns Menschen mehr genetische Übereinstimmungen auf als mit Gorillas.

Lebensbilder

Im zweiten Teil werden unsere Verwandten dann beschrieben. Wohl in zunehmender Ähnlichkeit bzw. Übereinstimmung mit uns Menschen. Es geht los mit den Orang-Utans, den „Eremiten im Wald“, die auf Sumatra und Borneo leben und meist allein herumziehen. Darauf folgen die „milden und wilden Riesen“, die Gorillas, die bis zu 500 km nördlich und südlich des Äquators in Zentral- und Ost-Afrika leben. Sie leben in „Harems“, meist ein Silberrücken mit etlichen Weibchen plus Kindern. Die zu kurz gekommenen Männer leben häufig homosexuell.

Schimpansen, die „keine besseren Menschen“ sind, sind die am besten und am längsten erforschten Menschenaffen. Sie leben in unterschiedlichen Umgebungen, zeigen also eine bemerkenswerte ökologische Flexibilität und sind am weitesten verbreitet. Sie leben in Gesellschaften, die unterschiedliche Sitten pflegen und verwenden geschickt Werkzeuge zur Nahrungsgewinnung und zum Töten von Halbaffen. Ansonsten führen sie mitunter Ausrottungskriege gegen Nachbargruppen und können vorausschauend denken und handeln. Freundlicher sind die Bonobos nicht unbedingt, jedoch sind hier die Frauen aggressiver als die Männer. Sie haben zudem ein einzigartiges System gegenseitiger Belohnung entwickelt, das auf gleichgeschlechtlichem Sex basiert und damit die Kooperation zwischen Weibchen erleichtert.
 

Horizonte

Im dritten Teil geht Volker Sommer auf Intelligenz, Philosophisches und Zukunft ein. Die Intelligenz belegt er anhand der vorausschauenden Werkzeugbenutzung zur Nahrungsgewinnung und der Kriegsführung, der Selbstmedikation, indem Kräuter gezielt aufbereitet werden sowie der Kulturfähigkeit, da sich die Gebräuche von Tieren in Bezug auf Körperpflege, Werkzeuge oder sozialem Miteinander je nach Lebensraum unterscheiden können.

Das Kapitel über Philosophie ist untertitelt mit „Die Provokation des Monismus“. Indem der Dualismus Descartes’ von Geist und Materie konsequent zu Ende gedacht wird, psychisch-„geistige“ Vorgänge komplett auf physikalisch-chemische Prozesse im Gehirn zurückgeführt werden, ergibt sich ein neuer Monismus. Kann aber alles auf Materie zurückgeführt werden, sind wir, so Sommer, „mit einem Male aufs Innigste mit den Tieren wiedervereint.“ Der rechtliche Status von Menschenaffen gehört dann diskutiert, was am Beispiel des Great Ape Project verdeutlicht wird, in dem sich renommierte Wissenschaftler und Philosophen wie Jane Goodall, Richard Dawkins und Peter Singer für grundlegende Menschenrechte für Menschenaffen einsetzen.

Einen Hoffnungsschimmer in Schreckensszenarien entwirft Sommer schließlich in den Archen in der Menschenflut, den möglichen Zukünften für unsere Verwandten. Wir, die Bewohner der reichen Länder des Nordatlantik sind es, die von den flächendeckenden Zerstörungen der Lebensräume von Menschenaffen profitieren: Die Rohstoffe für unsere duftende Seife, für unsere Computer, das Spielzeug für unsere Kinder entstammen den dafür ausgebeuteten Heimaträumen von Orang-Utans, Schimpansen, Bonobos. Millionen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ausgerottet. Einige werden in Zoos überleben.

Es ist wirklich schwer zu sagen, ob die Bilder die Texte illustrieren oder die Texte der Bildbeschreibung dienen. Beide Ausdrucksformen – Bild und Text – könnten gut für sich stehen; gemeinsam sind sie unglaublich stark. Am Ende des Buches sieht man die Bilder mit anderen Augen, erkennt Unterschiede, wo zuvor ein Affe eben irgendein Affe war. Nun ist ein Affe ein Gorilla oder ein Bonobo und: ein Individuum namens Julchen, Nakala, Malik oder Charly. Ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder mit den Fingern über die Bildseiten streiche, als würde ich das Tier streicheln. Und lächle.

Fiona Lorenz

Jutta Hof & Volker Sommer: Menschenaffen Wie Wir - Apes Like Us. Gestaltet von Marcus Bela Schmitt und Edition Panorama. 2010 Edition Panorama Germany, ISBN 978-3-89823-435-1, Euro 58.