Hommage an Karlheinz Deschner von Michael Schmidt-Salomon
Einleitend begründete der Moderator Christoph Bopp (RMS) diesen Programmpunkt. Ein fundamentaler Dissens habe seit Bestehen der von Karlheinz Deschner initiierten Stiftung bestanden. Obwohl er wie für Robert Mächler so auch für die Stiftungsräte die „Idealbesetzung“ für einen Träger des Robert-Mächler-Preises gewesen wäre, konnte Deschner selbst bis zum Schluss einer Nominierung aus naheliegenden Gründen nicht zustimmen. Bopp betonte indes, dem Rest des Stiftungsrates habe die Vorstellung „entschieden Unbehagen bereitet, „die Arbeit der Robert-Mächler-Stiftung abzuschliessen, ohne die wichtige Stellung, die Karlheinz Deschner für Robert Mächler hatte, noch einmal in den Vordergrund zu stellen“. Man sei daher glücklich über die Aufhellung dieses „schwarzen Flecks“ durch eine Hommage an den herausragenden Kirchenkritiker. Michael Schmidt-Salomon, wie Deschner auch in der Schweiz einem größeren Publikum bekannt als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung und als streitbarer Verfasser des Manifest für einen evolutionären Humanismus und jüngst von Jenseits von Gut und Böse. Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind, sei „auf jeden Fall der geeignete Mann“ für die folgende Hommage an Karlheinz Deschner. Dessen Schlusswort dürfe als angemessener Ausklang der Arbeit der Robert-Mächler-Stiftung erachtet werden. Deren Präsidentin Regula Niederer brachte durch Überreichung eines Blumenbouquets an Karlheinz Deschner den Dank für dessen aufklärerisches Wirken im Namen aller Stiftungsräte zum Ausdruck.
„Juwel der Aufklärung“ und „Deschner-Virus“
In seiner Hommage an Karlheinz Deschner verwies Michael Schmidt-Salomon zunächst auf die Gegensätze in der Lebensweise zwischen sich selbst – glaubenslos, kommunikativ und lustvoll lebend – und Robert Mächler – äußerlich abgeschieden, ein Asket, des transzendenten Sinngrundes auch noch nach seinem Kirchenaustritt bedürftig. Dennoch gebe es zwischen ihnen eine große Gemeinsamkeit: Die „Begegnung mit Karlheinz Deschner, seinen Werken, seiner Person“ habe ihrer beider Leben verändert: „Ohne Deschner wäre Mächler wohl nie zu dem Religionskritiker geworden, den wir heute schätzen. Und auch ich hätte mich kaum der Religionskritik je zugewandt, wäre ich nicht rechtzeitig mit dem ‚Deschner-Virus’ infiziert worden.“ Das aber setze die Bereitschaft voraus, „der Beweisführung zu folgen“ und „sich von der Leidenschaft der Texte anstecken zu lassen“, um danach, wie Mächler und er selbst, wie auch viele andere Autoren, die Deschner lasen, diesen „Virus“ weiter-zugeben – Multiplikatoren mit Anteil an seinem Millionenpublikum.
Robert Mächler sei 1962 so weit gewesen. Damals habe Deschners Buch Abermals krähte der Hahn über Grundlagen und Geschichte des christlichen Glaubens letzte Bindungen daran lösen helfen, vorbereitet durch seine kritische Jesus-Betrachtung in Der christliche Freigeist von 1961. 1963 folgte mit dem Kirchenaustritt ein Schlussstrich.
Michael Schmidt-Salomons Abkehr von der Kirche erfolgte 30 Jahre später. Anfang der 90er Jahre, vorbereitet durch entsprechende Lektüre, welche ihm die Unvereinbarkeit von Glauben und Wissen verdeutlichten, sei er aus der Kirche ausgetreten, hinfort, so schien es, desinteressiert an Religion als einem „komischen Relikt aus unserer kulturellen Evolution“. Doch die Begegnung mit Karlheinz Deschner und seiner Kriminalgeschichte des Christentums in der Trierer Tuchfabrik machte ihn auf neue Weise hellhörig, ohne dieses Zusammentreffen, so Schmidt-Salomons Überzeugung, wäre sein weiterer Weg ziemlich anders verlaufen, gäbe es seine Bücher nicht und auch nicht seine Tätigkeit für die Giordano-Bruno-Stiftung mit all den neuen wichtigen Begegnungen. Beeindruckt sei er damals in Trier freilich nicht nur von den erschütternden Fakten gewesen, „die dieser zerbrechlich wirkende Mann aus der Versenkung des kollektiv Verdrängten ans Tageslicht förderte“, sondern auch „von der Brillanz seiner Formulierungen, der Schärfe seiner Diktion, nicht zuletzt auch von der kompromisslosen Klarheit, mit der er auf die feindseligen Angriffe aus dem Publikum reagierte“. Das sei selten ge-wordene „Streitkultur der Aufklärung“. Die Lektüre der Deschner-Bücher habe ihm weiteren Anstoß gegeben, um sich selbst „mehr und mehr auf dem Gebiet der Religions- und Ideologiekritik zu engagieren“.
Der große, nachhaltige Erfolg der Bücher Deschners – nicht wenige Kirchenaustritte seien nachweislich auf deren Konto gegangen – beruhe, so Schmidt-Salomon, vor allem auf der Fähigkeit, das, was „an dieser Religion, diesem Staat, dieser Gesellschaft, dieser Kunst“ nicht stimme, „prägnant auf den Punkt zu bringen“, „brillant, intellektuell wie emotional ansprechend“ – neben den großen literatur- und kirchenkritischen Werken schon im Roman-Erstling von 1956 Die Nacht steht um mein Haus, woraus der Laudator zitierte, oder, seit 1986, in Deschners Aphorismen. Gleich welcher Gattung seine Texte entstammen, sie seien „ins Literarische transformierte Kompositionen, Wort gewordene Musik“.
Dieser „Wissenskünstler“ habe klar gemacht, „dass man sehr wohl auf der Klaviatur des emotionalen Ausdrucks spielen kann, ohne dabei den Verstand zu betäuben“. Er habe, „jenseits der ausgetretenen Pfade staubiger Wissenschaftsprosa“ von Fachhistorikern, „kritische Rationalität, wissenschaftliche Systematik, humanistisches Ethos, künstlerische Sensitivität und ästhetische Gestaltungskraft“ in genial-erfrischender Weise zu kombinieren verstanden und so „nicht nur die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, sondern auch zwischen Wissenschaft und Laienpublikum“ überwunden.
Wer nun Deschner als Religions- und Kirchenkritiker rühme, dürfe nicht seine wichtigen Impulse auch auf anderen Gebieten übersehen, sei’s im Bereich der Wissenschaftstheorie (ethische Fundierung der Wissenschaft), der Geschichtsschreibung (kritischer Umgang auch mit Geschichte im Allgemeinen), der Literatur (literarische Meisterwerke in allen Gattungen), der Literaturkritik (frühzeitige Würdigung maßlos unterschätzter Autoren wie Musil, Jahnn und Broch), der Tierrechtsbewegung (nicht nur literarisches Engagement für den Tierschutz und einen ethisch fundierten Vegetarismus) oder auch, last but not least, der „Streitkultur der Aufklärung“: Deschner habe mit seinem Leben und Werk „eindrucksvoll demonstriert, dass gerade dort ‚aufrechter Gang’ gefordert ist, wo andere reflexartig (also unreflektiert) auf die Knie fallen“.
Er sei somit „stets ein schmerzender Stachel im Fleisch der Zeit“ gewesen, „an dem sich die Diskussion immer wieder neu entzünden musste“. Deschner, dem Aufklärung in erster Linie ein „Ärgernis“ sei („Wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher“.), habe alle mit dem Projekt Aufklärung verbundenen Risiken kennen gelernt – ein Vorbild für viele, seit 1988 mehrfach ausgezeichnet mit namhaften Preisen. Ein Preis fehle in der beeindruckenden Übersicht seiner Ehrungen: der Robert-Mächler-Preis, dessen keiner würdiger wäre als der Autor der Kriminalgeschichte des Christentums, Initiator der Mächler-Stiftung. Dieser wichtige Preis blieb Deschner aus eigener Entscheidung zwar versagt. Der Laudator zeigte sich jedoch überzeugt, dass es „Unterschiede in den Halbwertzeiten der kulturellen Erinnerung“ gebe: man werde sich an Karlheinz Deschner noch erinnern, „wenn keiner mehr weiß, wer Jürgen Habermas, Boris Becker, Karl Lagerfeld oder Michael Jackson war“.
Denn Deschners Werk gehöre „zu den kostbaren Schätzen der Aufklärung“; es sei ein „Juwel, das auch in Zukunft noch funkeln wird, um die Welt zu erhellen und jenen Dreck zu verdeutlichen, der ansonsten liebend gerne wieder unter den Teppich gekehrt würde“. Karlheinz Deschner werde „als Aufklärer noch lange ein Ärgernis bleiben“, nicht nur wegen der Aktualität seiner Themen, sondern vor allem, weil Schriftsteller seines Formats „seltene Ausnahmeerscheinungen“ seien „im Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt“.
Schlusswort von Karlheinz Deschner
Dem Dank an die Stiftungsleitung, den Moderator und den Laudator (für eine „entwaffnend freimütige“ Rede „voller Schwung und Begeisterung“) ließ Deschner, eingedenk vielfacher Bedingtheit eigener „Leistung“, Reflexionen über das Konstrukt „Willensfreiheit“ folgen: Ehrliche Wahrnehmung der Determinierung unseres Seins, unseres Denkens, Fühlens und Tuns, durch unübersehbar viele genetische, biographische und kulturelle Einflüsse und Prägefaktoren könne dieses traditionsbedingt-beliebte Postulat nur ad absurdum führen: „Ist nicht jede Wahl“, fragte Deschner, „die wir zu haben glauben, eine Scheinwahl? Sind wir nicht, dem Augenschein zum Trotz, immer nur so ‚frei’ wie der Schauspieler im Stück? So ‚frei’ wie bei unserer Geburt? Oder bei unserem Tod? Geht es uns nicht, Produkte billionenfacher Kausalkonnexe, in Wirklichkeit wie dem Lauf des Wassers, das seinen Weg nimmt?“ Deschner erinnerte an prominente Gewährsleute dieser Skepsis, von Michael Schmidt-Salomon in seinem jüngsten Werk zitiert, an große Denker wie Spinoza, an Marx und Darwin, La Mettrie und Hume, an Schopenhauer, Nietzsche, Einstein, Freud. Dies vor Augen, sehe er sich nicht zum Stolz auf seine Arbeit berechtigt, die er, „gewiss verkürzt, sehr ungeschützt gesprochen, nolens volens einfach tun musste und mit Hilfe vieler anderer tat“. Deschner zitierte in diesem Zusammenhang auch seinen Freund Robert Mächler, der, „wiewohl in puncto Willensfreiheit moderater“, u. a. bekannt habe, was er am wenigsten verstehe, sei „die Möglichkeit, in einer Welt voll übemächtiger Kausalität sich selber zu bestimmen“. Er nenne uns lakonisch „Lebenslängliche“ alle, „Gefangene“ unserer Existenz.
Mit Mächler teilt Deschner auch, worauf er in diesem Schlusswort sein Augenmerk richtete, die Kritik an den Kulturbetreibern, am tagtäglichen Unterhaltungsschund wie an der gehobenen Kulturproduktion, ja, in gewisser Weise auch an der Kunst selbst. In der egozentrischen Werkbesessenheit habe Mächler einen allen gemeinsamen geistigen Willen zur (geistigen) Macht am Werk gesehen, „von pausenlosem Ehrgeiz berauschte Konkurrenten, wahre ‚Balettmeister der Eitelkeit’“. Mit Mächler versteht Deschner auch den Aufschrei Heinrich von Kleists: „O hätten alle, die gute Werke geschrieben, die Hälfte von diesem Guten getan, es stünde besser um die Welt.“ Die Brisanz von Mächlers Forderung eines „Gesamtkunstwerks Menschheit“, seines Rufs folglich nach Geistigen, „die mehr Lichtbringer für das Volk“ sind als „Feuerwerker für die Elite“, begreift man nach Deschner nur „angesichts einer in wahnwitzigen Händeln sich fortwälzenden Weltgeschichte, angesichts eines kaum glaublich grassierenden sozialen Elends, einer Welt, in der wir voll bewusst Millionen um Millionen Menschen jahraus jahrein, Jahrzehnt und Jahrzehnt kaltblütig verhungern lassen“. Genau besehen, so Deschner, war Kultur immer, in Antike, Mittelalter und Neuzeit, „der dünne Firnis nur auf der Fratze ungeheurer Barbarei“, „manifest am scheußlichsten“, wie auch von Mächler angeprangert, „ im Umgang mit den Tieren, unser weitaus größtes Verbrechen seit fast unendlichen Zeiten, und noch heute Tag für Tag begangen, von Christen wie Nichtchristen gleichermaßen“. Und mit Mächler steht auch Deschner „auf der Seite der Armen, der Unterdrückten, Betrogenen“, er stimmt Mächler zu, der etwa die enormen Summen für Weltraumforschung unsittlich nennt, solange Millionen Menschen auf Erden hungern, der in psychiatrischen Kliniken nur geisteskranke Zwerge sitzen sieht und hinzufügt: „Die Riesen laufen frei herum in Politik, Wirtschaft, Literatur und Kunst.“
Den „religiösen Riesen“ hat Deschner mit Mächler besondere Beachtung geschenkt. Zwar hätten sie, so Deschner, über Gottvater und Sohn anders gedacht, aufgezeigt in seinem Mächler-Auswahlband Zwischen Kniefall und Verdammung. Robert Mächler – Ein gläubiger Antichrist; zu seiner eigenen agnostischen Position stehe alles Wesentliche im Essay Warum ich Agnostiker bin (neu abgedruckt in Oben ohne. Für einen götterlosen Himmel und eine priesterfreie Welt). Über die institutionellen Reli-gionen aber, voran die christlichen Kirchen, seien sie seit Mächlers Kirchenaustritt 1963 stets einer Meinung gewesen – 1993 von Mächler unter dem (den Gästen vorliegenden) Titel Wofür ich gelebt haben möchte, auch mit Hinweis auf göttliche Steinigungsgesetze im Alten, auf Höllendrohungen im Neuen Testament, kurz und treffend zusammengefasst: „Von allen Religionen hat das Christentum die übelsten Früchte hervorgebracht. (...) Ihr Gutes wurde bloss in Einzelnen wirksam, ihr Schlechtes war der Ursprung der grössten, verbrechenreichsten Geistestyrannei der Geschichte.“
Der Beifall für diese Rede war besonders lang und andauernd, etliche äußerten sich hernach betroffen.
Dank und Verbschiedung
Der Moderator Christoph Bopp fügte seinem Dank an alle Beteiligten den Hinweis bei auf die bis in den Dezember hinein zu besuchende Robert-Mächler-Ausstellung (Staatsarchiv in Aarau: Buchenhof, Entfelderstrasse 22; Öffnungszeiten Di-Fr 8.30-17 Uhr, Sa 8-11.45 Uhr) sowie auf die Website der Robert-Mächler-Stiftung, wo demnächst alle Reden im Wortlaut abrufbar sind; Interessenten stehen sie auch in broschierter Form zur Verfügung. Der Apéro mit Brot und Wein von einem Bauernhof aus der Umgebung lud ein zum regen Gedankenaustausch über diese dicht gefüllten zweieinhalb Stunden eines denkwürdigen Tages in der Bäderstadt Baden bei Zürich.
G. R.