Magdeburger streiten um „Herrgotts Kanzlei“

MAGDEBURG. (hpd) In Magdeburg wird um ein Gotteshaus gestritten. Denn seit 2007 versucht ein Verein, die Ulrichskirche wieder aufzubauen. Das nach Kriegsende gesprengte Gebäude soll mit Hilfe privater Investoren und Spender an seinem alten Standort rekonstruiert werden. Ziel ist, dass die evangelische Kirche bis zum Reformationsjubiläum im Jahr 2017 wieder im Stadtzentrum Einzug halten kann. Aber nicht alle Einwohner sympathisieren mit der Idee von einem weiteren Sakralbau im Herzen der Stadt. Bald soll ein Bürgerentscheid die Frage klären.

Dass Tote wiederauferstehen können, will Tobias Köppe beweisen. Der Mediziner arbeitet als plastischer Chirurg im Dreifaltigkeitskrankenhaus Wesseling bei Köln. Neben der Rekonstruktion von Menschen fühlt er sich aber zu Höherem berufen.

Vor drei Jahren gründete er deshalb das „Kuratorium Ulrichskirche“, welches die 1956 gesprengte Ulrichskirche im Magdeburger Stadtzentrum wieder auferstehen lassen will. Sein Faible für die religiösen Gebäude hat er schon früh entdeckt: „Im Dom weiß ich einfach, dass ich zu Hause bin. Das spürte ich schon als sechsjähriges Blumenkind bei der Hochzeit meiner Tante im Dom“, so Köppe. Vor rund fünf Jahren stieß er dann auf Unterlagen über die ehemalige Kirche im Zentrum von Magdeburg.

Das Gebäude der Kirche St. Ulrich und Levin, kurz Ulrichskirche, blickte bis zu ihrer Sprengung auf eine über 950-jährige Geschichte zurück. Besondere Bedeutung erhielt das im Jahr 1004 nach christlicher Zeitrechnung errichtete Gebäude in den Religionskriegen zwischen Protestanten und Katholiken.

Als Karl V. 1547 die Truppen der Reformation in der Schlacht bei Mühlberg besiegt hatte, flohen die Gelehrten der Wittenberger Universität vor der Verfolgung durch die Gegenreformation nach Magdeburg. In der Kirche arbeiteten sie an Streitschriften gegen Kaiser und Papst der katholischen Kirche, verbreiteten diese von dort aus in ganz Deutschland. Der christliche Sakralbau erhielt deshalb durch die zentrale Rolle für die Gläubigen den Beinamen „Unseres Herrgotts Kanzlei“.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieg verblieb das Gebäude ausgebrannt und ohne Dach. Die Türme waren weitestgehend intakt, ein Wiederaufbau nicht unmöglich. Aber in die Visionen der neuen Stadtplaner passte das Gotteshaus im Zentrum nicht. „Eine neue Stadt für einen neuen Menschen“ – dieses Leitmotiv prägte die Städtebauplanung der gerade gegründeten DDR.

Besonders Walter Ulbricht, fanatischer Kommunist und Staatsratsvorsitzender, wandte sich gegen die Architektur der christlichen Religion. In seiner 1953 gehaltenen „Turmrede“ plädierte Ulbricht entschieden für den Ausschluss anderer Turmbauten in seiner urbanen Vision von „Stalinstadt“, das heute als Eisenhüttenstadt bekannt ist. Die Bezeichnung von Kirchenbauten durch Ulbricht als „individualistisch-kapitalistische Verdummungsanstalten“ wird zwar vielfach kolportiert, ist aber nicht sicher belegt.
Der Kulturwissenschaftler Gottfried Korff stellte jedenfalls fest, dass die Rede Ulbrichts das „harsche ideologische Gegeneinander von Christentum und sozialistischer Säkularreligion“ belegt. 1956 wurde die Ulrichskirche in Magdeburg schließlich gesprengt, wie auch weitere sieben christliche Gotteshäuser mit nennenswerten Beschädigungen beim Wiederaufbau der Stadt weichen mussten.

„Eine von acht, eine für alle!“ - Köppes Leitspruch soll nun die überwiegend nichtreligiösen Magdeburger dafür begeistern, das abgerissene Gotteshaus wieder zu errichten. Mitten im Zentrum der Stadt. 2007 gründete er den Förderverein, der von anfangs 57 Mitglieder auf heute 219 Förderer anwuchs. Im Vorstand arbeiten neben Tobias Köppe namhafte Vertreter der evangelischen Kirche, auch der tiefreligiöse Bundespräsident Christian Wulff sympathisiert mit dem Projekt und hat Unterstützung in Aussicht gestellt.

Allerdings hat sich seit 1956 in Magdeburg Einiges verändert. An Stelle der religiösen Propaganda, wie sie im westlichen Nachkriegsdeutschland bald wieder ihren angestammten Platz einnahm, galt für große Teile der Magdeburger Bevölkerung lange die sozialistische Heilslehre via politisch verordnetem Diktum.

Dass sich der metaphysisch fundamentierte Staatssozialismus und das monotheistische Christentum dabei im Kern spinnefeind waren, ist kein Geheimnis. Nach dem Fall der Mauer hinterließ die DDR so eine überwiegend gottlose und kirchenferne Bevölkerung.
Im Wiederaufbau der Ulrichskirche sehen Kirchenmitglied Tobias Köppe und seine Unterstützer nun die Chance, das wieder zu ändern. Und weil sie auf ein tragfähiges Netzwerk zurückgreifen können, präsentiert sich der Förderverein exzellent und kann bei seinem Vorhaben mit hervorragendem Marketing punkten.

Prominente Unterstützung der gläubigen Minderheit

Und was woanders die Moschee ist, wurde deshalb in Magdeburg die Ulrichskirche. Weil heute rund 80 Prozent der Einwohner gottlos glücklich sind, fremdeln viele Magdeburger mit der Idee eines Sakralbaus an diesem zentralen Ort.

Die Fronten sind dabei klar: Die kirchliche Seite versucht, sich in der Elbstadt bis 2017 an prominenter Stelle zu platzieren. Die Rekonstruktion wäre ein großartiger Erfolg. Gegner des Wiederaufbaus lehnen den Wiederaufbau von „Herrgotts Kanzlei“ entschieden ab. Und zwischen beiden Polen gibt es viele Argumente.

Für die Minderheit, welche christliche Gottgläubige heute in Magdeburg darstellen, ist jedenfalls noch reichlich Platz für Rituale und das nötige Gemeindeleben vorhanden – auf welche auch humanistische Jugendorganisationen zurückgreifen. Die Stadt beherbergt insgesamt über zwei Dutzend anderer Kirchengebäude, darunter den großen Magdeburger Dom.

Während nun in den letzten Jahren intensiv über das Für und Wider der Ulrichskirche gestritten wurde, bleiben die Fronten ungeklärt. Säkulare Organisationen, welche den Stimmen der Kritiker eine professionelle Plattform bieten könnten, haben sich in Magdeburg nach Ende der DDR nicht gebildet.

Alternative Bebauungen kommen in den nächsten zehn Jahren jedenfalls nicht in Frage. Ein Beschluss des Stadtparlamentes legte fest, dass außer der Rekonstruktion der Ulrichskirche dort keine anderen Bauvorhaben möglich werden sollen.

Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Leserumfrage der Regionalzeitung „Volksstimme“ ergab dabei vorerst einen knappen Vorsprung für die Gegner der großräumigen Grünfläche, die derzeit das Stadtzentrum prägt. Von insgesamt 534 Stimmzetteln sprachen sich 278 Stimmzettel gegen den Wiederaufbau des religiösen Gebäudes aus, 256 Stimmzettel plädierten dafür.

Ob es zum Wiederaufbau kommt, hängt aber auch von den Mitteln ab. Die Finanzierung des Wiederaufbaus soll den klammen Haushalt der Stadt jedenfalls nicht belasten. Die voraussichtlichen Kosten von 30 Millionen Euro sollen, so hofft das Kuratorium, durch private Spenden finanziert werden. Gelingt die Einwerbung der Mittel, ist als Bauherr und Betreiber eine Stiftung vorgesehen. Die Kirchenfreunde sind jedenfalls sicher, dass die Baukosten keine unüberwindbare Hürde darstellen.

Im vergangenen Juli formierte sich schließlich ein Bündnis aus Magdeburgern, die das umstrittene Projekt mit Hilfe eines Bürgerentscheids einem endgültigen Ergebnis näher bringen wollen. Unterstützt wird die „Bürgerinitiative für einen Volksentscheid“ vom Stadtverband der LINKEN. Das Begehren war vorerst erfolgreich: Im September konnten die erforderlichen 10.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung vorgelegt werden.

Der Magdeburger Stadtrat soll nun am 27. Januar 2011 darüber entscheiden, wie der Bürgerentscheid durchgeführt wird. Wahrscheinlich ist dabei, dass die Abstimmung zusammen mit der Landtagswahl am 20. März 2011 durchgeführt wird.

Ob sich Tobias Köppe sich durch die Wiederbelebung von „Herrgotts Kanzlei“ verewigen kann und die Kirche bis 2017 im Herz der Elbstadt wieder einziehen wird, bleibt somit vorerst ziemlich offen. Köppe jedenfalls hofft, dass Magdeburg so bald wieder seine „städtebauliche und geistige Mitte“ zurückerhält.

 

Arik Platzek

Weitere Informationen
1. Webseite des Fördervereins Kuratorium Ulrichskirche
2. Webseite für einen Bürgerentscheid Ulrichskirche