Wir wünschen uns zu verschiedenen Anlässen Glück und wissen oftmals gar nicht, was wir dabei überhaupt wünschen. Reizvoll ist es daher, mit dem Beginn des neuen Jahres, einmal darüber nachzudenken, was wir alles unter Glück verstehen können und was zu bedenken ist, wenn wir jemandem Glück wünschen.
Viele Worte, kein Inhalt: Glück-Wünschen und leere Phrasen
Zu unseren kulturell verankerten Handlungen zählt es beispielsweise, sich gegenseitig etwas zu bestimmten Anlässen, etwa zu Geburtstagen oder zum neuen Jahr, zu wünschen. Häufig zielen die Wünsche darauf ab, dass Ziele erreicht oder Ereignisse eintreten mögen. Insofern gehen die Wünsche immer mit dem Gedanken einher, etwas möge erreicht, abgeschlossen, verrichtet, erhalten oder erlangt werden. Wie die Ziele erreicht werden können oder sollten, wird innerhalb der Wünsche in der Regel nicht explizit gemacht. Es bestehen viele Möglichkeiten, beispielsweise durch eigene Anstrengungen, durch Unterstützung, durch den Zufall oder durch eine Kombination aus allen Varianten.
Ein typisches Beispiel ist es, sich Glück zu wünschen. Obwohl der Wunsch häufig auftaucht, verbalisiert oder verschriftlicht wird, ist es zumeist unklar, was unter Glück zu verstehen ist. Das ausbleibende Hinterfragen, was mit "Glück" überhaupt gemeint ist, hat, wie es bei vielen alltäglichen kulturellen und rituellen Handlungen der Fall ist, zur Folge, dass sich eine vermeintlich bedeutende Äußerung in eine bloße Phrase verkehrt, die keinerlei Inhalt aufweist. Freilich assoziiert man das Glück-Wünschen als Handlung oder den Glückwünschen als sprachliche Äußerung mit etwas Positivem. Daher kann ein Ausbleiben des Glück-Wünschens unter Umständen zu negativen Konsequenzen führen. Aber, bei Lichte betrachtet, ist sowohl das Äußern einer leeren Phrase als auch die Kritik am Ausbleiben oder zumindest die emotionale Verstimmung durch das Ausbleiben der Äußerung völlige Zeitverschwendung. Daher ist es reizvoll, sich einmal wieder zu fragen, was "Glück" meinen könnte und ob es überhaupt sinnvoll ist, es sich zu wünschen.
Reiner Zufall
Eine von vielen Varianten, was unter "Glück" verstanden werden kann, liegt vor, wenn wir davon sprechen, dass jemand Glück gehabt hat, beispielweise im Lotto oder in einer Gefahrensituation, in der jemand vor Schaden verschont geblieben ist. Der Glückspilz, das vierblättrige Kleeblatt oder der Schornsteinfeger sind unter anderem Symbole, die mit diesem Glückverständnis einhergehen. Gemeint ist stets, dass jemandem etwas Positives widerfährt, obwohl unter Umständen zwar etwas zum Positiven beigetragen wurde, aber das abschließende Auftreten und Erleben des Positiven vom Zufall abhängig ist. So hat man im Falle der Lottoziehungen seine sechs Zahlen zwar selbst aktiv angekreuzt, dass am Ende aber exakt diese Zahlen gezogen werden, ist reiner Zufall. Das Glück ist dann als die Gegebenheit von förderlichen Bedingungen zu verstehen, wobei die Bedingungen sich unabhängig von der Person, die Glück hat, einstellen.
In diesem Sinne kann es ein Ausdruck von sehr großem Wohlwollen sein, jemandem Glück zu wünschen. Man hofft es und gönnt es jemandem, dass sich für jemanden äußere Bedingungen derartig positiv einstellen mögen, dass sich etwas Nützliches, Nutzenbringendes oder Angenehmes ergibt oder ein Ausbleiben von Schaden und allerlei Negativem eintritt. Ein weniger wohlwollender Aspekt dieser Form des Glück-Wünschens ist es allerdings, dass sie auf die Fähigkeiten und Aktivitäten einer Person, der man Glück wünscht, keinen Bezug nimmt. Etwas Positives wird sich für diese Person nur dann einstellen, wenn Zufälligkeiten gegeben sind, nicht aber wenn sie aktiv etwas dafür tut. Daher ist es möglicherweise nützlicher, jemandem zumindest nicht nur ein Zufalls-Glück zu wünschen, sondern ein bisschen mehr, will man der Person nicht implizit Kenntnisse und Fähigkeiten absprechen, die sie beispielsweise eigenständig zur Verbesserung ihrer Lebenssituation nutzen könnte.
Der Besitz macht das Glück
Es mag zwar gewisse Schnittmengen geben, aber im Grunde hat jeder seine eigene Auffassung davon, was unter Glück verstanden werden kann. Glück kann unter anderem mit bestimmten grundlegenden Lebensbedingungen, etwa Gesundheit oder Erfolg, oder das Besitzen von konkreten oder abstrakteren Gegenständen wie Statussymbolen oder einer Familie in Verbindung gebracht werden. Erst das Vorhandensein von Lebensbedingungen und einzelnen Gegenständen garantiert dann so etwas wie Glück. Das Glück, das hinter solchen Überlegungen steckt, ist in der Regel vielmehr ein Gefühl, welches sich einstellt, wenn alles das, was man möchte oder sich wünschte, gegeben ist. Hat man ein Projekt erfolgreich abgeschlossen, stellt sich ein Glücksgefühl ein. Wurde der Zustand der Gesundheit erreicht, fühlt man sich glücklich. Selbst der Besitz eines geschätzten Parfüms oder ein gutes Essen in einem Restaurant können zu einem Glücksgefühl führen. Aus neurowissenschaftlicher Perspektive ist es dabei von Bedeutung, dass die zu erlangenden Lebensbedingungen oder Gegenstände dafür sorgen, dass der menschliche Körper Glückshormone freisetzt, sodass es zum einen Erleben von Glück kommen kann.
Es ist vorstellbar, dass zum Erreichen von Gesundheit oder zur Gründung einer Familie auch das Zufalls-Glück eine Rolle spielen kann, gemeinhin sind diese und andere Bedingungen und Gegenstände aber etwas, das man aktiv anstrebt und selbstständig erlangen oder erzielen kann. Insofern würde sich das Glück-Wünschen dann auf Aktivitäten einer Person beziehen, die zu einem Erfolg führen sollten, etwa dass die Person aktiv an ihre Beförderung arbeitet und diese erfolgreich erreicht. In solchen Fällen ist es üblich, nicht nur vage Glück zu wünschen, sondern zu explizieren, was man damit meint, sodass man in einer Aufzählung beispielsweise angibt, jemandem Erfolg bei der Arbeit oder allgemein Gesundheit zu wünschen.
Auch dieses Glückverständnis sowie das daran anlehnende Glück-Wünschen bergen einige Problematiken. Augenscheinlich ist es nicht möglich, Glück zu erleben oder zu haben, wenn bestimmte Bedingungen und oder Gegenstände nicht gegeben sind. Derjenige, der in sein Glückverständnis den Besitz eines teuren Autos integriert, wird nur dann glücklich sein, wenn er das Auto tatsächlich besitzt. Ohne Besitz müsste er sich, konsequent gedacht, als unglücklich bezeichnen. Selbiges ist der Fall, wenn man davon ausgeht, dass Gesundheit zum Erreichen von Glück nötig ist. Daraus leiten sich sofort weitere spannende Fragen ab: Was heißt es für jemanden, gesund zu sein? Wer definiert, ob jemand gesund ist oder nicht? Ist jemand, der, auf Grundlage welcher Definition auch immer, als ungesund gilt, nicht mehr als glücklich anzusehen beziehungsweise gibt es für ihn keinerlei Chance, glücklich sein? Wenn Gesundheit beispielsweise darin besteht, keine motorischen Einschränkungen aufzuweisen, verbringt jede Person, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, dann gleich ein Leben im Unglück? Tatsächlich weisen diese und weitere Fragen auf konzeptionelle und theoretische Schwierigkeiten hin, wenn man Glück im Grunde genommen nur als den Besitz von etwas, der eine Gefühlsregung zur Folge hat, versteht.
Eine andere Schwierigkeit wird offensichtlich, wenn man bedenkt, dass der Besitz von etwas zwar zu Beginn glücklich macht, sich aber schnell eine Sättigung einstellt und das anfängliche Glücksgefühl wieder verloren geht. Das neue teure Auto macht nicht auf Dauer glücklich. Ebenso ist jemand nicht tattäglich von einem andauernden Glücksgefühl durchzogen, der keinerlei gesundheitlich Beeinträchtigung aufweist. Auch das Vorhandensein von Familie, Freunden oder Lebenspartnern wird ein Glücksgefühl hervorrufen, oftmals jedoch genau das Gegenteil bewirken, etwa dann, wenn es zu Streitigkeiten kommt.
Schließlich ist das Glück-Wünschen auf Grundlage eines Glückverständnisses als Besitz von etwas nebst ausgelösten Glücksgefühlen problematisch. Wer beispielsweise zu Neujahr oder zu einem Geburtstag jemandem wünscht, dass er einen bestimmten Beruf erhält, ein Projekt erfolgreich abschließt, eine Reise in ein fernes Land antritt oder eine Familie gegründet, erfährt einerseits zwar wohlwollende Wünsche, gleichzeitig wird der Beglückwünschte jedoch stark auf einzelne Aspekte seines Lebens reduziert. Obwohl ein die Eigenschaften, Bedürfnisse und Überzeugungen einer Person oder das Leben als Mensch im Ganzen umfangreiche Komplexitäten darstellen, wird nur auf einzelne Teilbereiche, die sich zudem ausschließlich auf den Besitz von etwas beziehen, fokussiert. Die gesamte Person in ihren jeweiligen vielschichtigen Lebensumständen wird nicht beachtet. Zudem werden innerhalb des Glück-Wünschens Werte tradiert, die Grund genug zur kritischen Reflexion geben. Warum ist der Besitz eines Statussymboles etwas, das zu erwünschen ist, oder etwas, das jemand gewünscht werden sollte? Warum wünscht man jemandem vornehmlich den Besitz von etwas und nicht einmal den Verzicht von etwas? Besonders in der heutigen Lebensrealität, die sich aus Ressourcenknappheiten bei gleichzeitiger Ressourcenverschwendung und dem steten Drang nach einem Immer-Mehr ergibt, wäre ein Glück-Wünschen, das sich auf Verzicht bezieht, viel zukunftsweisender gedacht als die Tradierung der immergleichen Wunschphrasen nebst ihren unhinterfragten Wertvorstellungen.
Ein bisschen mehr Glück
Seit der Antike gibt es eine interessante Fragekette, die auf ein Glücksverständnis abzielt, das einerseits mit weiteren Überlegungen zu ergänzen ist, aber von Beginn an auf einen viel umfangreicheren Glücksbegriff abzielt als einer, der sich nur auf Zufälle, Besitztümer und Glücksgefühle bezieht. Beispielsweise könnte man eine Person fragen, wieso sie den Abschluss eines Projektes anstrebt. Darauf kann sie vielerlei Antworten geben, wovon eine unter anderem sein kann, mit dem Projektabschluss ihre Aussichten auf eine Beförderung zu verbessern. Dann könnte man weiterfragen, wofür die Beförderung dienen soll. Eine Antwort könnte sein, mehr Gehalt zu erhalten. Was nützt mehr Gehalt? Damit wäre es möglich, sich bestimmte Dinge zu kaufen. Wozu braucht man wiederum diese Dinge? Weil deren Besitz ein Glücksgefühl auslöst. Wieso braucht man das Glücksgefühl? Weil es so etwas wie Glück garantiert. Auf die Frage hin, wieso man letztendlich Glück anstrebt, gibt es keine weitere sinnvolle Antwort, will man sich nicht gedanklich im Kreis drehen. Glück, was auch immer das ist, bildet sinnvollerweise das Ende der Fragekette. Alles, was man erstrebt, scheint daher auf so etwas wie Glück abzuzielen. Das heißt aber auch, dass der erwünschte Projektabschluss, das bessere Gehalt und die zu kaufenden Dinge nebst allen Glückgefühlen nicht den Abschluss sämtlicher Bemühungen darstellen, sondern etwas Größeres und Allumfassenderes das schlussendliche Ziel ist.
Es bleibt gleich, ob man das Ziel nun als "Glück", "glückliches Leben", "gelingendes Leben" oder anders bezeichnet. Die spannende Frage ist, was man darunter verstehen soll. Innerhalb der Geschichte der Philosophie wurden zahlreiche Antworten gegeben, die sich allesamt darauf konzentrieren, Philosophie nicht nur als ein bloßes theoretisches Handwerk, sondern als eine Lebenskunst zu verstehen. In der heutigen (akademischen) Philosophie sind Fragen nach einer Lebenskunst weniger relevant, da sich ethische Diskurse vielmehr darum bemühen, Einzelfälle, in denen es nötig ist, sich für eine Handlung zu entscheiden, zu untersuchen, anstatt das gesamte Leben eines Akteurs in den Blick zu nehmen. Dabei es ist ausgesprochen reizvoll, die Perspektive philosophischer Überlegungen auf mehr als nur Einzelfallbetrachtungen auszurichten. Beispielsweise kann eine Einzelfallbetrachtung dazu führen, dass man sich für den Kauf eines Autos aus guten Gründen entscheidet. Das wird ein Glücksgefühl auslösen und man wird von Glück in einem bestimmten Sinne sprechen. Der Autobesitz auf der einen Seite kann dann aber in Konflikt mit dem ausbleibenden Besitz von Gesundheit treten. Man hat ein Auto, ist aber nicht gesund. Ist man nun glücklich oder nicht?
Eine philosophische Schule, die der Stoa, hatte mit ihrer Auffassung eines gelingenden Lebens eine bemerkenswerte Antwort auf solcherlei Fragen: Der Besitz von etwas garantiert weder Glück noch Unglück. Es kommt darauf an, wie die Dinge, die man besitzen kann, betrachtet werden – beziehungsweise wie man mit ihnen umgeht. Beispielsweise ist Gesundheit etwas, das gewünscht und erstrebt werden kann. Sie ist aber etwas, das nicht immer gegeben ist und nur dann, wenn sie vorhanden ist, eine Annehmlichkeit darstellt. Herrscht sie nicht vor, heißt das nicht, dass ein unglückliches Leben besteht. Selbige Überlegung trifft auf das Vorhandensein von Macht, Einfluss, Geld, Freunden, Familie oder das Glücksgefühl zu. Alles kommt und geht. Und weil alles kommt und geht, kann es nicht Teil eines gelingenden Lebens sein. Stattdessen sollte es gemäß der Stoa das Ziel jedes Menschen sein, die Welt, wie sie ist, mittels Vernunftanstrengungen erkennen und verstehen zu lernen. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wird sich ein Lebensmodell herausbilden, das eine Person dazu befähigt, Annehmlichkeiten zu schätzen und Unannehmlichkeiten gleichmütig zu akzeptieren – alles in dem sicheren Bewusstsein, dass sämtliche Gegebenheiten wandelbar sind. Obwohl die Stoa (und andere Philosophieschulen, die eine Lebenskunst entwickelten) ebenso in der Lage ist, Überlegungen für bestimmte Einzelfallentscheidungen bereitzustellen, ist es ihr Hauptziel, dazu anzuleiten, das Leben im Gesamten zu betrachten und damit so etwas wie Glück in einem äußert umfassenden Verständnis in Aussicht zu stellen. Der Besitzer eines Autos tritt dabei in den Hintergrund. Bedeutender ist stattdessen jemand, der ein Auto durchaus besitzen und ein Glücksgefühl erleben kann, kraft seiner Vernunft aber fähig ist, den Besitz oder den ausbleibenden Besitz weder mit Glück noch mit Unglück gleichzusetzen, weil er sein gesamtes Leben, in dem es immer wieder wandelbare Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten gibt, im Blick behält.
Ob man nun der Stoa oder anderen Schulen und Strömungen zugeneigt ist, die eine Lebenskunst konzipierten, spielt weniger eine Rolle. Sinnvoll ist es jedoch, einmal mehr über unser Glücksverständnis zu reflektieren und beim nächsten Neujahrsempfang oder der nächsten Geburtstagsfeier ein bisschen mehr Glück zu wünschen, als wir es gewohntermaßen tun.